Theaterpremiere
Thomas Bernhards «Gehen» in der Zürcher Winkelwiese

Verrückt werden, zerbrechen an den Umständen: Darüber berichtet Thomas Bernhards Erzählung «Gehen». Michael Wolf bringt den Text in seiner tristen Grossartigkeit auf die Bühne des Theaters an der Winkelwiese in Zürich.
Publiziert: 20.01.2017 um 09:21 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 00:46 Uhr
Michael Wolf spielt im Theater an der Winkelwiese in Zürich den Monolog «Gehen» von Thomas Bernhard.
Foto: Donovan Wyrsch

«Gehen», 1971 erschienen, ist eine sprach- und denkakrobatische Textmasse, die auf der Bühne zu reproduzieren, geschweige denn überzeugend zu spielen nur jemand vermag, der über herausragende darstellerische und rhetorische Fähigkeiten verfügt. Michael Wolf meistert die Herausforderung mit spielerischer Leichtigkeit. Die 80 anspruchsvollen Minuten vergehen im Flug.

Ein Getriebener ist er, dieser Erzähler in seinem übergrossen dunklen Anzug. Beladen mit einer Geschichte, die er nun loswerden kann. Karrers Geschichte. Oehler, mit dem er, seit Karrer verrückt geworden ist, nicht mehr nur am Mittwoch, sondern nun auch am Montag geht, hat sie ihm erzählt. Denn Oehler war dabei, als Karrer die Grenze zum Verrücktsein überschritt - im «rustenschacherschen Laden» mit der, so Karrer laut Oehler, «tschechoslowakischen Ausschussware».

Aber eigentlich war diese «Debatte» um die mangelhaften Hosen nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die «Umstände in der Folge eines Verschlimmerungsprozesses, der lange gedauert hat», sind es, die Karrer in den Wahnsinn, ins Irrenhaus und dort in die Hände des völlig inkompetenten Psychiaters Scherrer getrieben haben.

Scherrer ist eine Stütze des «grenzenlos verstandes- und gefühlslosen» Staates, «der alles unternimmt, um einen zu zerstören», lässt Thomas Bernhard (1931-1989) Oehler sagen. Mit aller Härte geht der österreichische Schriftsteller ins Gericht mit seiner Heimat und deren «toten» Geschichte.

Fortlaufend lässt er seine Anklage kreisen. Was mitunter komisch wirkt, ist einfach nur entsetzlich. Selbst in den wenigen Sequenzen des Abends, in denen Michael Wolf so etwas wie Heiterkeit ausstrahlt, ist die Trostlosigkeit und Unerträglichkeit von Karrers Existenz mit Händen zu greifen.

Unter der Regie von Isabelle Menke gibt der Schauspieler alles. In der Ladenszene steigert sich seine Verzweiflung in einen wahren Rausch, bevor er resigniert zur Ruhe kommt. Er hätte sich ändern müssen, hätte weggehen müssen, so Karrer, sagt Oehler, weggehen aus diesem Land. Jetzt ist es zu spät.

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