Bei der Uraufführung am Sonntagabend im Berliner Renaissance Theater gibt es viel Applaus für «Entartete Kunst», vor allem aber Bravo und Jubelrufe für Hauptdarsteller Udo Samel. Der Wiener Burgschauspieler gibt den eigenbrötlerischen Kunstsammler mit einer solch furiosen Mischung aus Naivität und Wahnsinn, dass alles andere in seinem Schatten bleibt.
Der Autor, der mit seinen 80 Jahren zum Schlussapplaus nicht mehr auf die Bühne klettern mag, dankt mit einer Kusshand von unten.
«Die Geschichte hat mich fasziniert, weil sie mit dem zu tun hat, was mein ganzes Leben bestimmt», sagt der selbst aus einer jüdischen Familie stammende Harwood. «Die Nazi-Zeit ist so ungeheuerlich, dass ich mich immer wieder damit beschäftigen muss.»
Das war so bei seinem Drehbuch für Polanskis Holocaust-Drama «Der Pianist», für das er 2003 den Oscar erhielt, aber auch etwa bei der Furtwängler-Biografie «Taking Sides» oder dem Stück «Collaboration».
In «Entartete Kunst» geht es Harwood vor allem um das Psychogramm eines Mannes, der über Jahrzehnte eine atemberaubende Sammlung verschollen geglaubter Kunstwerke hortet und sich immer mehr in seinen Verdrängungsversuchen verliert. Erst 2010 war er Fahndern bei einer Zugfahrt von Zürich nach München aufgefallen.
Weiss er, warum sein Vater trotz jüdischer Herkunft der vielleicht wichtigste Kunstbeschaffer der Nazis wurde? Ist ihm klar, dass wohl viele seiner Monets, Picassos, Chagalls, Cézannes oder Liebermanns einst Juden abgepresst oder geraubt wurden?
«Sie sind meine Kinder, meine Familie», sagt Harwoods Gurlitt verzweifelt, als die Staatsanwaltschaft seine insgesamt auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzte Kunstsammlung abtransportiert. «Das ist der zweite Holocaust.»
Das Stück hat vor allem in der ersten Hälfte Längen, die Beschränkung der Handlung auf ein Verhör Gurlitts durch zwei Bevollmächtigte der Staatsanwaltschaft («Tatort»-Ermittler Boris Aljinovic und Anika Mauer) birgt wenig Abwechslung.
Und doch wird in der sorgfältigen Inszenierung von Torsten Fischer die ganze Monstrosität dieses Falles sichtbar. Vorbildlich ist auch das Programmheft, das die Debatte um NS-Raubkunst fundiert und lesbar zusammenfasst.
Dass das private Renaissance Theater den Zuschlag für die Uraufführung bekam, liegt nach Angaben des Autors an dem «Enthusiasmus», mit dem sich die Leitung des Hauses darum beworben hatte. «Ich fand es gut, das Stück zuerst in Deutschland zu zeigen», sagt Harwood.
Der im Mai 2014 gestorbene Gurlitt hatte seine Sammlung dem Kunstmuseum Bern hinterlassen. Weil eine Cousine des Sammlers das Testament anficht, ist aber noch nicht klar, ob und wann die Bilder nach Bern kommen können.
Das Oberlandesgericht München hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das klären soll, ob Gurlitt beim Verfassen seines Testaments Herr seiner Sinne war.