Es ist eine fast unheimliche Szenerie auf dem Konstanzer Münsterplatz, die gut zum Frühmittelalter passt, in welchem das Stück spielt: Die Zuschauer werden einzeln und nur mit Hygienemaske zu den spärlich bestuhlten Tribünen eingelassen. Immerhin darf die Gesichtsmaske ausziehen, wer auf seinem Stuhl (mit Mindestabstand zu jedem andern) Platz genommen hat.
Dann gehts los. Die Mönche des Klosters Reichenau marschieren auf den seitlichen Platz vor dem Münster, der wie jeden Sommer als Bühne für die Münsterfestspiele dient. Das Visier aus Plexiglas, das die Schauspielerinnnen und Schauspieler vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus schützen soll, passt irgendwie zur schwarzen Kutte und wirkt nicht störend.
Christopher Nix, der umtriebige Intendant und Autor, der das Theater Konstanz diesen Sommer nach 14 Jahren verlässt, erzählt in «Hermann der Krumme oder die Erde ist rund» die Geschichte eines Ausnahmemönchs. Dieser lebte von 1020 bis 1054 auf der Insel Reichenau im Bodensee.
Der Knabe war körperlich schwerst beeinträchtigt und wurde von seinen adligen Eltern ins Kloster gebracht. Damals galten Behinderte als von Gott gestrafte Menschen und wurden nicht als Zöglinge aufgenommen. Laut der Überlieferung nahm das Kloster den Jungen nur auf, weil es von dessen Eltern dafür reich mit Ländereien belohnt wurde.
Hermann ist anders als die Benediktiner-Mönche. Manch einer beneidet den Aussenseiter, weil er als Adeliger den besonderen Schutz und die Förderung durch Abt Berno (Peter Cieslinski) geniesst.
Hermanns Geist ist genial. Obwohl der spastisch Gelähmte kaum kommunizieren kann, wird er zum herausragenden Wissenschaftler seiner Zeit, der eine genaue Zeitmessung entwickelt, eine Weltenchronik verfasst und Lieder wie das «Salve regina» verfasst.
Nix vergleicht den Gelehrten mit dem tausend Jahre später geborenen Stephen Hawking und lässt beide über eine virtuelle Stimme (Odo Jergitsch) miteinander kommunizieren. «Denken Sie daran, nach oben zu den Sternen zu schauen und nicht nach unten auf die Füsse», rät Stephen Hawking.
Für die Darstellung der Hauptrolle hat sich das Regie-Team (Zenta Haerter, Lorenz Leander Haas und Christoph Nix) einen Trick einfallen lassen. Hermann wird einerseits von einem schwarz gekleideten Tänzer (Mike Planz) dargestellt, der permanent auf der Bühne ist und manchmal ziemlich verstörende Bewegungen zeigt.
Hermanns genialer Geist wird von einer kleinen, schmalen, ganz in Weiss gekleideten Frau (Sarah Siri Lee König) verkörpert. Die Figur wirkt zurückgezogen und ängstlich, bringt aber mit fester Stimme Hermanns Innenwelt zum Ausdruck.
Das Theater-Team setzt den anspruchsvollen Inhalt des Stücks mit einfachen und trotzdem wirkungsvollen Mitteln (einer Nachbildung der Gestirne und einer Mondsichel-Schaukel als Requisiten) um. Zusammen mit dem Münsterchor und dem Kinderchor (unter der Leitung von Steffen Schreyer) lassen die Mitwirkenden des Theaters vor der unverfälschten Kulisse des Münsters ein rundes Bild aus einer andern Welt entstehen.
Allerdings blieb die Stimmung im Publikum eher verhalten. Es gab kaum Zwischenapplaus, und am Ende des eineinhalbstündigen Stücks blieb es einige Sekunden lang ganz still vor dem Schlussapplaus. Ob dies an dem nachdenklich machenden Inhalt des Stücks lag oder an der allgemeinen Zurückhaltung wegen der Pandemie, lässt sich nicht sagen.
Das Stück «Hermann der Krumme oder die Erde ist rund» wird bis zum 2. August noch 24 Mal gespielt. Wie das Theater am Samstag bei der Premiere mitteilte, sind bereits alle Vorstellungen ausverkauft.
(SDA)
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