Charlie Chaplin hat mit seiner Darstellung des Diktators Adenoid Hynkel, unschwer als Adolf Hitler zu erkennen, Filmgeschichte geschrieben. Bereits 1940, rund ein Jahr nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, hat Chaplin mit seiner Satire den Machtwahn und die Unmenschlichkeit der Nationalsozialisten im Besonderen sowie faschistische Rhetorik generell entlarvt.
Dem grossen Diktator Hynkel hat Chaplin den kleinen jüdischen Friseur aus dem Ghetto entgegengestellt und damit die Begriffe «gross» und «klein» unterlaufen. Beide Rollen spielt Chaplin im Film selbst. Als Diktator bellt er in unverständlicher fiktionaler Sprache seinen ganzen Hass auf die Masse seiner Zuhörer nieder.
Das letzte Wort hat indes der Friseur, der wegen äusserlicher Ähnlichkeit mit dem Diktator verwechselt wird und sich am Schluss des Films seinerseits mit einer Rede an das Volk richtet: «... Lasst uns kämpfen für eine Welt der Vernunft - eine Welt, in der Wissenschaft und Fortschritt zu unser aller Glück führen sollen. Im Namen der Demokratie, lasst uns zusammen stehen!...»
Das ist die durchaus pathetische Botschaft, die Charlie Chaplin mit dem Film vermittelt, in der Übersetzung von Cihan Inan, Schauspieldirektor am Konzert Theater Bern und verantwortlich für die Regie und die Bühnenfassung. Diesen Appell will er mit seinem «Der grosse Diktator"an sein Publikum richten. «Der Text dieser Schlussrede hat absolute Gültigkeit. Diese Botschaft ist mir wichtig», sagt er im Gespräch mit Keystone-SDA. Und: «Als Chaplin-Fan musste ich dieses Stück gerade in der heutigen Zeit machen.» Insofern sei sein Bühnenstück «in seiner Anlage politisch".
Inan hat bereits in der letzten Spielzeit einen Film auf die Bühne gebracht: «Beresina oder die letzten Tage der Schweiz», nach dem Film von Daniel Schmid, mit dem Drehbuch von Martin Suter. Bereits damit inszenierte er provokative politische Satire und bereits damit hat er die Grenze von Film und Theater überschritten. «Ich komme vom Film und mache Theater wie Film als auch Filme wie Theater», sagt Inan. «Beresina» sei allerdings in der Interpretation weiter vom Film entfernt gewesen, als nun «Der grosse Diktator".
Von der Familie Chaplin hat Inan die Rechte und das Drehbuch des Films erhalten, das nur die Dialoge, aber keine Regieanweisungen enthält. «Eine grosse Ehre», betont er. «Die Chaplins wollten aber wissen, wie wir den Stoff umsetzen.» Er habe sich entschieden, möglichst nahe am Film zu bleiben.
Der Film arbeitet mit vielen Schnitten, Szenenwechsel zwischen dem Machtzentrum um Hynkel und dem jüdischen Ghetto, der Welt des Friseurs. Diese schnellen Wechsel lassen sich auf der Bühne nicht realisieren. Deshalb sieht Inan längere Szenen vor. Um dennoch die Logik der Geschichte beibehalten zu können, setzt er für die Berner Inszenierung eine Erzählerin ein, die kommentierend durch das Stück führt.
Eine Hürde, die Inan mit der Inszenierung für das Berner Theater überwinden muss, liegt darin begründet, dass Chaplin mit seinem Film Bilder und Szenen geschaffen hat, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Darauf trifft nun Inans Bühnenfassung. «Ich will eine Hommage an Charlie Chaplin und gleichzeitig dessen Idee neu denken», sagt Inan.
Vor diesem Hintergrund ist die Doppelrolle von Hynkel und Friseur eine besondere Herausforderung für den Schauspieler und Hauptdarsteller Gabriel Schneider. Er ist konfrontiert mit dem Vorbild Chaplin. «Wir wollen nicht Chaplin nachahmen, sondern Schneider hat zu einer bewusst eigenen Darstellung gefunden.»
Inan setzt in seiner Inszenierung fast durchgängig auf die Farbgebung Schwarz-Weiss, vom Bühnenbild über die Beleuchtung bis zu den Kostümen.
Farbig wird das Geschehen auf der Berner Bühne erst während der Schlussrede des Friseurs, wenn er seinen flammenden Appell an das Volk richtet, der getragen ist von der Hoffnung auf eine neue Welt. Grün wird etwa das Kleid von Hannah, der Mitstreiterin und Freundin des Friseurs und farbig das Licht - «dann, wenn wir ins Heute kommen".
Denn, so Inan, auch wenn er mit seiner Inszenierung nahe an Chaplins Vorlage bleibe, so werde die Zuschauerin, der Zuschauer mit Hynkel-Hitlers Hassrhetorik auch heutige Redner wie Donald Trump, Kim Jong Un, den deutschen AfD-Politiker Björn Höcke oder den einen oder anderen Schweizer assoziieren. «Es geht darum, wie Populisten mit ihrer Sprache verführen und was wir dem entgegensetzen; wir müssen uns den Anstand im Umgang miteinander zurückholen», sagt Inan. Premiere feiert «Der grosse Diktator» am Stadttheater Bern am 19. Oktober.
(SDA)