SonntagsFahrt mit Martin Waltz
«Das Zwinglianische habe ich unterschätzt»

Vor zwanzig Jahren kam Martin Waltz nach Zürich. Der Anfang war harzig. Aber er blieb – der Liebe wegen. Astrid von Stockar machte mit dem Bruder des zweifachen Oscar-Preisträgers Christoph Waltz eine SonntagsFahrt.
Publiziert: 29.11.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 21:09 Uhr
Ohne «Verhüterli» ans Grab von Alfred Polgar
10:41
Die «Sonntagsfahrt» mit Martin Waltz:Ohne «Verhüterli» ans Grab von Alfred Polgar
Von Astrid von Stockar

Martin Waltz hat eine Mission. Doch zunächst muss der Mann, der zu mir ins Auto steigt, einige Fragen zu Christoph Waltz über sich ergehen lassen. Martin, selber Schauspieler, freut sich über den Hollywood-Erfolg seines drei Jahre jüngeren Bruders.

«Aber weder meine Mutter noch wir Geschwister verfallen deswegen in Hysterie.“

Die Mutter, im August 90 geworden, «ist ihren Söhnen gegenüber sehr kritisch», berichtet Martin Waltz (62) fröhlich. Beide Eltern waren Bühnenbildner, die Grosseltern berühmte Schauspieler am Wiener Burgtheater. Die Latte lag also hoch – und wurde von den Brüdern oft gerissen. Als Christoph seine ersten Filme fürs deutsche Fernsehen drehte, hiess es noch: «Das ist der Sohn von der Urbancic.“ So lautete der Mädchenname der Mutter. Heute ist er der Berühmtere. Und von ihr sagt man: «Das ist die Mutter vom Waltz.” Die Familie trägt es mit Fassung.

Die Geschwister Waltz sind in Wien verwurzelt, auf dem Papier jedoch Deutsche wie ihr Vater. Denn Österreich akzeptiert keinen zweiten Pass. Nachdem Christoph Waltz («Inglourious Basterds»/«Django Unchained») gleich zweimal den Oscar holte und sich, so der Bruder, als «Repräsentant der Republik» bewährt hatte, wurde ihm 2010 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Leider versäumte er, den zweiten Pass auch für seine Geschwister zu beantragen. Sie blieben Deutsche. Er sei «ein österreichisch gefärbter Europäer», umschreibt Martin seine Nationalität. Die Schwester ist Restauratorin in München. Der jüngste Bruder wollte Dirigent werden, landete aber als Jurist in London. Christoph pendelt zwischen Berlin und Hollywood, während Martin sich vor über zwanzig Jahren in Zürich niederliess. Er war Vizedirektor des Schauspielhauses und blieb in der Limmatstadt – der Liebe wegen.

Er freue sich über den Erfolg seines jüngeren Bruders, aber «weder meine Mutter noch wir Geschwister verfallen deswegen in Hysterie». Martin Waltz
Foto: Philippe Rossier

«Es war sehr harzig am Anfang. Ich habe das Alemannische und vor allem das Zwinglianische sehr unterschätzt.» Der «Wiener Schmäh», seine augenzwinkernde österreichische Art, wurde von vielen Schweizern missverstanden: «Man kämpft hier mit dem Zweihänder, in Wien doch eher mit dem Florett.» Als Vermittler von österreichischer Literatur hat er hier eine Nische gefunden, die ihm Freude macht.

Nun aber zu seiner Mission. Die Stadt Zürich wollte das Ehrengrab des weltbekannten österreichischen Schriftstellers Alfred Polgar auf dem Friedhof Sihlfeld aufheben. Mit etwas Mühe konnte Martin Waltz dies gerade noch abwenden. Nun will er sich beim Stadtrat mit einer Lesung bedanken. Am Ende unserer Fahrt komme ich in den Genuss einer Probe-Vorstellung.

Polgar musste nach Hitlers Machtergreifung fliehen, lebte als Drehbuchautor in Hollywood, liess sich nach dem Krieg in Zürich nieder und wurde 1955 hier begraben. Wir stehen an seinem Ehrengrab auf dem Friedhof Sihlfeld – und Martin liest vor, was Polgar 1939 über Flüchtlinge schrieb:

(...) «Flüchtlinge in Menge (...) stellen ohne Zweifel die Länder, in denen sie Zuflucht suchten, vor heikle materielle, soziale und moralische Probleme. Deshalb beschäftigen sich internationale Verhandlungen, einberufen, um die Frage zu erörtern: «Wie schützt man die Flüchtlinge?» vor allem mit der Frage: «Wie schützen wir uns vor ihnen?»(...)

Erschreckend, wie sich die Geschichte wiederholt!

Und so legen wir gemeinsam eine weisse Rose auf das Grab des berühmten Flüchtlings. In der Hoffnung, dass Alfred Polgar hier künftig in Frieden ruhen darf.

Persönlich

Martin Waltz (62), das älteste von vier Geschwistern, absolvierte das Max Reinhardt Seminar in Wien, war Schauspieler und Regisseur in Bielefeld, Bad Hersfeld, Göttingen und an den Salzburger Festspielen. Er wirkte in der Direktion des Burgtheaters in Wien, als Künstlerischer Direktor des Bayerischen Staatsschauspiels München und 1989–1992 als Vizedirektor des Zürcher Schauspielhauses. Waltz lebt mit der Finanzspezialistin Fleur Platow in Zürich.

Martin Waltz (62), das älteste von vier Geschwistern, absolvierte das Max Reinhardt Seminar in Wien, war Schauspieler und Regisseur in Bielefeld, Bad Hersfeld, Göttingen und an den Salzburger Festspielen. Er wirkte in der Direktion des Burgtheaters in Wien, als Künstlerischer Direktor des Bayerischen Staatsschauspiels München und 1989–1992 als Vizedirektor des Zürcher Schauspielhauses. Waltz lebt mit der Finanzspezialistin Fleur Platow in Zürich.

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