SonntagsBlick-Redaktor Peter Padrutt ist vom Coronavirus besonders bedroht
Wie lebt es sich als Risikopatient?

Für manche könnte Covid-19 tödlich sein. SonntagsBlick-Redaktor Peter Padrutt fordert mehr Solidarität mit alten Menschen und chronisch Kranken.
Publiziert: 08.03.2020 um 15:13 Uhr
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Redaktor Peter Padrutt macht Home-Office.
Foto: Thomas Meier
Peter Padrutt

Der erste Tag im Home-Office ist ein Geschenk. Ich muss nicht um sechs aus dem Bett, um in die Redaktion zu hetzen. Ich lasse erst mal entspannt einen Kaffee raus, inhaliere die beiden Medikamente, die meine transplantierte Lunge vor Mikroben schützen. Heute muss ich keine stechenden Blicke ertragen, weil ich im proppenvollen Bus zu meinem Schutz eine Maske trage. Alles so schön friedlich ...

Mein Arbeitsplatz ist unspektakulär: ein Sofa, ein Laptop, neben mir schnarcht der Hund. Manchmal setze ich mich an den Flügel und spiele «I Will Say Goodbye» von Bill Evans, dem drogensüchtigen Jazzgenie, das seine Not irgendwann nur noch in Töne fassen konnte.

Doch nach ein paar Tagen fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich hasse diese Ruhe hier, sehne mich nach dem Newsroom, meinem Irrenhaus, in dem alle wild durcheinander quatschen – am liebsten möchte ich jetzt sofort über Storylines und Fotos streiten.

«Ich habe Angst, dich irgendwann anzustecken.»

Dann die Nacht auf Donnerstag – allein am Mittwoch waren in Italien 41 Menschen an Covid-19 gestorben. Meine Frau weckt mich. «Ich habe geträumt, dass Männer mit Schutzanzügen alle Hunde in der Stadt eingesammelt haben», sagt sie.

Ich schmiege mich an sie. Stille. Dann meint sie: «Ich habe Angst, dich irgendwann anzustecken.» Pia arbeitet in der Spitex mit alten Menschen. «Wir sollten uns überlegen, getrennt zu schlafen und nicht mehr gemeinsam zu essen.» Ich schweige. Nebenan, im Zimmer der Tochter, ist es ruhig. Sie arbeitet in der Kinderkrippe eines Zürcher Spitals. Morgen fliegt sie zu ihrem Freund nach London. Für eine 21-Jährige ist Covid-19 nicht so aufregend. Man lebt ewig. Ist auch richtig so.

Ich aber gehöre zu den Risikopatienten. Zu jenen 20 Prozent, bei denen nach einer Covid-19-Infektion mit einem schweren Verlauf zu rechnen ist. Seit etwas mehr als sechs Jahren lebe ich mit zwei neuen Lungenhälften. Meine Cystische Fibrose hatte die Transplantation notwendig gemacht. Mein Immunsystem wird gedrosselt, damit die neue Lunge mich nicht verlässt. Viren schiessen sich gerne auf mich ein: Sogar einen vom Typ Corona hatte ich mir schon eingefangen. Im Vergleich zu dem, der Covid-19 auslöst, war es ein harmloses Mikröbchen.

Seltsamer Humor

Soll man wegen eines Fünftels der Bevölkerung, für das der Virus kein kleines Grippchen ist, so ein Theater machen – Konzerte absagen, Fussballspiele ausfallen lassen, Clubs schliessen? Müssen Veranstalter finanziell draufgehen – nur wegen ein paar chronisch Kranken? Wir können uns ja zu Hause einsperren. Die Komikerin Hazel Brugger sagte beim Swiss Music Award vor einer Woche: «Wisst ihr, was wir uns gesagt haben? Laden wir diejenigen, die zu schwach sind, um das hier zu überleben, doch einfach aus!» Lustig, die Hazel!

Hier frotzelt der Luxus der Gesunden. Der Philosoph Karl Jaspers (1883–1969), der vermutlich auch an Cystischer Fibrose litt, schrieb einmal: «Gesunde können Kranke nicht verstehen. Unwillkürlich beurteilen sie die Kranken in ihrer Lebensführung, ihrem Verhalten und ihren Leistungen so, als wenn sie auch gesund wären. Sie verstehen nicht, was die eigentlichen Leistungen sind im Kampfe mit der Schwäche. Sie achten diese Leistungen nicht, da sie dieselben nicht kennen.»

«Nur» zwei Prozent?

Das heisst: Die wenigen mit einem schwachen Immunsystem – die Herzkranken, die Diabetiker, die Krebspatienten – gehören aus Sicht der Gesunden ins Seuchen-Exil. Flurbereinigung. Nur zwei Prozent sterben an Covid-19, das erträgt die Welt doch.

Es gibt nur einen Fehler bei dieser Überlegung: Die Gefahr durch Covid-19 ist eine andere – es ist die grosse Streuung des Virus. 60 bis 70 Prozent könnten sich irgendwann anstecken, auch in der Schweiz. Damit würde auch die Zahl der komplexen Fälle bei Jüngeren und bis dahin Gesunden zunehmen. Und damit ihr Anteil unter den Toten.

Vor ein paar Tagen fragte mich jemand, wie es ist, wenn man wie einige Covid-19-Patienten künstlich beatmet wird. Als ich vor meiner Lungentransplantation intubiert wurde – man mir also einen Schlauch für die künstliche Beatmung in die Luftröhre schob –, da versuchte ich weiterzuatmen. Doch die Maschine diktierte den Rhythmus. Kalt, hartnäckig, brutal. Noch schlimmer war das Absaugen des Schleims. Nur Morphium half gegen den Schmerz. Das möchte ich nie mehr erleben. Nie, nie mehr!

Wütend auf den Immunologen

Gestern ging ich kurz zum Supermarkt. Den Mundschutz trug ich über den Ohren, damit ich ihn nur noch runterziehen musste, sobald ich im Laden bin. Wieder diese Blicke. Nachdem ich bezahlt hatte, reinigte die Kassiererin hinter mir sofort das Förderband. Auf Tele Züri sagte Beda Stadler, ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern: Wer jetzt mit einem Mundschutz rumlaufe, sehe aus wie ein Fasnächtler. Ich wollte schon in die Sendung anrufen, war sauwütend. Meine Frau beruhigte mich: «Mach dich nicht lächerlich!»

Heute schaute sich Pia Bilder von der Isola dei Gabbiani auf Sardinien an. Wir haben zwei Wochen im Juni gebucht. «Denkst du, wir können doch noch hinfahren?» Wir schwelgen in Erinnerungen. Den Surfern zuschauen, Cappuccino schlürfen. Kitschig, aber immunstimulierend.

Ich brauche kurz Zeit. Dann sage ich: «Klar!»

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