Die Enkelin musste ihn stets «Pablo» rufen. «Grossvater» wollte er nie hören.
Nein, eng war das Verhältnis nicht zwischen Marina Ruiz-Picasso (68) und Pablo Picasso (1881–1973), dem grössten Künstlergenie des 20. Jahrhunderts. Als er starb, hatte sie nur Verachtung für ihn übrig. 2001 veröffentlichte sie die vernichtende Abrechnung «Und trotzdem eine Picasso».
Und trotzdem: Sie erbte von ihrem Vorfahren nach jahrelangem Familienstreit ein riesiges Vermögen, mit dem sie nun zurückgezogen in Cologny bei Genf lebt. Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» listet Marina Ruiz-Picasso in der aktuellen Sondernummer über die 300 Reichsten aus der Schweiz mit einem Vermögen von 1,5 bis 2 Milliarden Franken.
Picasso hinterliess kein Testament
Als eine von fünf Erbberechtigten kommt sie zur Maler-Villa in Cannes (F) und zu mehr als 10'000 wertvollen Werken, die sie laufend verkauft. Denn die Kunst von Picasso ist ein sicherer Wert. Auch Jahrzehnte nach dem Tod des Malers steht sie hoch im Kurs: Allein 2015 soll die Enkelin Gemälde für gegen 300 Millionen Franken verkauft haben. Private Sammler aus China, Taiwan und Hongkong sind zurzeit die zahlkräftigsten Käufer der figurativen Arbeiten und Porträts Picassos.
Auf der Liste der 50 am teuersten gehandelten Gemälde ist kein Name so häufig vertreten wie der des Spaniers: ganze acht Mal. Die Werke kamen allesamt in den vergangenen 30 Jahren unter den Hammer und erbrachten einen Verkaufserlös von über einer Milliarde Dollar. Zum Vergleich: Die fünf van Goghs, die zweitmeistgehandelten Bilder, wechselten für etwas mehr als die Hälfte des Gelds die Besitzer.
Im Gegensatz zu Vincent van Gogh (1853–1890) ist Picasso schon zu Lebzeiten ein reicher Mann und hinterlässt nach seinem Tod am 8. April 1973 eine enorme Erbmasse: zwei Schlösser, drei Häuser, 45'000 unverkaufte Kunstwerke, 1,3 Millionen Dollar in Gold und 4,5 Millionen Dollar in bar.
Aber nirgendwo ein Testament von Picasso.
So bahnt sich unter den Erben ein wüster Streit über die Verteilung des Reichtums an. Erschwerend kommt hinzu, dass der Macho-Maler nachweislich sieben Frauen hatte, mit zweien verheiratet war und mit dreien Kinder zeugte – ein alkoholabhängiger Sohn, verstossene Kinder, gekränkte Enkel und eine raffgierige Witwe liegen sich in den Haaren.
Und rachsüchtig ist Picassos zweite Gattin auch noch: Jacqueline Picasso (1927–1986) schliesst bei der Beerdigung alle Verwandten aus – mit Ausnahme von Paulo (1921–1975), dem Vater von Marina Ruiz-Picasso. Das treibt Marinas Bruder Pablito in eine Depression: Er trinkt in seiner Trauer Javelwasser und stirbt elendiglich nach Monaten.
Die Schweiz und Picasso: Das ist eine langandauernde und intensive Beziehung. Schon 1932 zeigt das Kunsthaus Zürich mit der Ausstellung «Picasso» die weltweit erste Museumsretrospektive des Spaniers.
1967erfolgt der legendäre Picasso-Kauf von Basel. Die Grossbürgerfamilie Staechelin braucht nach einem Flugzeugabsturz und dem anschliessenden bankrott ihrer Chartergesellschaft Geld, sehr viel Geld: 30 Millionen Franken, was heute etwa 100 Millionen entspricht.
Da bietet die Basler Regierung einen Handel an: 8,4 Millionen für zwei Picassos aus der geliehenen Sammlung Staechelin im Kunstmuseum. 6 Millionen davon müssen die Steuerzahler berappen, weshalb es zu einer Volksabstimmung kommt: Am 17. Dezember sagen 32118 Ja zum Picasso-Kredit, 27190 Nein.
Der Künstler, bereits hochbetagt, ist derart erfreut über den demokratischen Entscheid, dass er dem Kunstmuseum Basel vier weiter Gemälde schenkt. Auch Roche-Erbin Maja Sacher (1896-1989) ist entzückt, nimmt einen Picasso von der Wand und fährt ihn auf dem Rücksitz ihres Autos eigenhändig ins Kunstmuseum.
Zwei zahlen, sieben erhalten: Die wundersame Vermehrung von Basel. Auch beim Galeristen Ernst Beyeler (1921–2010) ist ein Picasso der Kern seiner grossartigen Sammlung: «Femme (époque des Demoiselles d’Avignon)» (1907) gehört seit 1965 den Beyelers und ist sozusagen das Gründerwerk der heutigen Fondation in Riehen BS.
Als Beyeler das Werk verkaufen will, stellt seine Frau Hildy (1922–2008) ihren Koffer unter den Picasso und sagt: «Wenn das Bild geht, gehe ich auch.» Beide bleiben. Und so ist das Gemälde aus der Rosa Periode von Picasso nun der Anlass für «Der junge Picasso – Blaue und Rosa Periode», die aufwendigste und kostspieligste Ausstellung der Fondation Beyeler.
Die von Renzo Piano gebaute Fondation wird in der Zeit vom 3. Februar bis 26. Mai zu einem reinen Picasso-Museum. Zu sehen sind 75 meist nur sehr selten ausgeliehene Gemälde und Skulpturen aus der ganzen Welt. Mit «Garçon à la pipe» (1905) ist das teuerste Picasso-Bild zu sehen: 2004 wechselt es für 138,2 Millionen Dollar den Besitzer.
Erstmals in Europa sind diese Picasso-Meisterwerke, allesamt Prunkstücke der Besitzer und Museen, an einem Ort zu sehen. Und voraussichtlich werden sie nicht mehr in dieser Fülle gemeinsam ausgestellt. Daniel Arnet
Die Schweiz und Picasso: Das ist eine langandauernde und intensive Beziehung. Schon 1932 zeigt das Kunsthaus Zürich mit der Ausstellung «Picasso» die weltweit erste Museumsretrospektive des Spaniers.
1967erfolgt der legendäre Picasso-Kauf von Basel. Die Grossbürgerfamilie Staechelin braucht nach einem Flugzeugabsturz und dem anschliessenden bankrott ihrer Chartergesellschaft Geld, sehr viel Geld: 30 Millionen Franken, was heute etwa 100 Millionen entspricht.
Da bietet die Basler Regierung einen Handel an: 8,4 Millionen für zwei Picassos aus der geliehenen Sammlung Staechelin im Kunstmuseum. 6 Millionen davon müssen die Steuerzahler berappen, weshalb es zu einer Volksabstimmung kommt: Am 17. Dezember sagen 32118 Ja zum Picasso-Kredit, 27190 Nein.
Der Künstler, bereits hochbetagt, ist derart erfreut über den demokratischen Entscheid, dass er dem Kunstmuseum Basel vier weiter Gemälde schenkt. Auch Roche-Erbin Maja Sacher (1896-1989) ist entzückt, nimmt einen Picasso von der Wand und fährt ihn auf dem Rücksitz ihres Autos eigenhändig ins Kunstmuseum.
Zwei zahlen, sieben erhalten: Die wundersame Vermehrung von Basel. Auch beim Galeristen Ernst Beyeler (1921–2010) ist ein Picasso der Kern seiner grossartigen Sammlung: «Femme (époque des Demoiselles d’Avignon)» (1907) gehört seit 1965 den Beyelers und ist sozusagen das Gründerwerk der heutigen Fondation in Riehen BS.
Als Beyeler das Werk verkaufen will, stellt seine Frau Hildy (1922–2008) ihren Koffer unter den Picasso und sagt: «Wenn das Bild geht, gehe ich auch.» Beide bleiben. Und so ist das Gemälde aus der Rosa Periode von Picasso nun der Anlass für «Der junge Picasso – Blaue und Rosa Periode», die aufwendigste und kostspieligste Ausstellung der Fondation Beyeler.
Die von Renzo Piano gebaute Fondation wird in der Zeit vom 3. Februar bis 26. Mai zu einem reinen Picasso-Museum. Zu sehen sind 75 meist nur sehr selten ausgeliehene Gemälde und Skulpturen aus der ganzen Welt. Mit «Garçon à la pipe» (1905) ist das teuerste Picasso-Bild zu sehen: 2004 wechselt es für 138,2 Millionen Dollar den Besitzer.
Erstmals in Europa sind diese Picasso-Meisterwerke, allesamt Prunkstücke der Besitzer und Museen, an einem Ort zu sehen. Und voraussichtlich werden sie nicht mehr in dieser Fülle gemeinsam ausgestellt. Daniel Arnet
Seit 1981 wohnt Marina Ruiz-Picasso in Cologny bei Genf
In einem ihrer raren Interviews sagte Marina Ruiz-Picasso Jahre später gegenüber dem «Spiegel», dass sie damals noch nicht das Geld hatte, «um ihn in eine Spezialklinik nach Paris oder Marseille bringen zu lassen. Mein Vater und Jacqueline hätten das Geld aufbringen können, aber sie meldeten sich nicht. Sie waren zu ergriffen vom Tod Picassos und suhlten sich in ihrem Leid.»
Verbitterung, die hier anklingt. Verbitterung darüber, eine Picasso zu sein. Schon als Marina neunjährig an Tuberkulose erkrankte, wollte der Grossvater die Kosten für die Behandlung nicht übernehmen – der Arzt musste zuerst einen Bittbrief schreiben.
Im Buch «Und trotzdem eine Picasso» erinnert sie sich, wie sie mit ihrem Vater oft stundenlang vor dem Tor zu Picassos Villa ausharren musste, bevor Jacqueline Picasso zu einer Audienz beim «König von Spanien», bei der «Sonne», bei «Gott» einliess. «Picassos Enkelin zu sein, war sehr hart», sagte Marina Ruiz-Picasso zum «Guardian». «Als Kind und junge Frau litt ich stark.»
So tritt sie nach sechs Jahren Familienstreit – ihr Vater soff sich inzwischen zu Tode – emotionslos das Erbe an. «Im normalen Leben, wenn ein Grossvater selbst wertlose Gegenstände hinterlässt, liebt man sie, weil sie ihm gehörten», sagte sie der englischen Zeitung weiter. «Bei mir war das nicht der Fall.» Nur zu zwei Picasso-Bildern hat sie eine Bindung – zu einem Porträt ihres Vaters Paulo und zu einem ihrer Grossmutter, Picassos erster Ehefrau Olga (1891–1955).
Von den anderen Hunderten Gemälden sowie Tausenden Zeichnungen, Grafiken und Keramiken kann sich die Enkelin ohne Schwierigkeiten trennen. Bei der Abwicklung der Geschäfte hilft ihr der Genfer Galerist Jan Krugier (1928–2008). 1981 – nach der Trennung von ihrem Mann – zieht Marina Ruiz-Picasso mit ihren beiden Kindern selber in ein Appartement nach Cologny bei Genf, weil sie die Schweizer Anonymität schätzt.
In der Schweiz verkaufen, in Vietnam Gutes tun
So entwickelt sich die Westschweizer Metropole zur wichtigsten Drehscheibe für den Verkauf von Picassos. Nach dem Tod von Krugier nimmt Marina Ruiz-Picasso die Geschäfte kurzfristig selber in die Hand. Die Angst geht um, sie könnte den Kunstmarkt mit Picassos fluten. Melanie Gerlis von «The Art Newspaper» sagte vor dem möglichen 300-Millionen-Deal von 2015: «Wenn sie 300 Gemälde auf einmal verkaufen würde, drückte das den Preis.»
Marina Ruiz-Picasso mag die Kunst ihres Vorfahren vielleicht nicht so sehr, den Wert kennt sie allemal. Und sie will ja möglichst viel Geld verdienen, damit sie es für einen guten Zweck einsetzen kann. 1991 gründet sie deshalb in Genf die Fondation Marina Ruiz-Picasso. Der Zweck ihrer Stiftung: Waisenkinder in Vietnam materiell und schulisch zu unterstützen.
Aus Hass auf Picasso wird Liebe für Vietnam; Nächstenliebe, die sie bei ihrem Grossvater so sehr vermisste: Auf einer ihrer Reisen nach Ho-Chi-Minh-Stadt lernt sie drei elternlose Kinder kennen, die sie sogleich adoptiert und in Genf grosszieht. Florian, May und Dimitri sind inzwischen um die 30 und dürften auch noch von Picassos Erbe profitieren: Experten gehen davon aus, dass noch genügend Werte da sind, um der nächsten Generation ein angenehmes Leben zu ermöglichen.
Die grosse Picasso-Schau «Der junge Picasso – Blaue und Rosa Periode» ist das Kulturereignis 2019. Vom 3. Februar bis 26. Mai widmet sich die Fondation Beyeler in Riehen BS den Gemälden und Skulpturen des frühen Pablo Picasso (1881–1973) aus der Phase von 1901 bis 1906. Damals war der Spanier noch ein junger Maler und erst auf dem Weg, Jahrhundertkünstler zu werden. Es ist die aufwendigste und teuerste Ausstellung des Museums. Die Ausstellungskosten betragen rund 7 Millionen Schweizer Franken, die 75 Werke sind für 4 Milliarden versichert. International ein Spitzenwert, so Direktor Sam Keller.
Die grosse Picasso-Schau «Der junge Picasso – Blaue und Rosa Periode» ist das Kulturereignis 2019. Vom 3. Februar bis 26. Mai widmet sich die Fondation Beyeler in Riehen BS den Gemälden und Skulpturen des frühen Pablo Picasso (1881–1973) aus der Phase von 1901 bis 1906. Damals war der Spanier noch ein junger Maler und erst auf dem Weg, Jahrhundertkünstler zu werden. Es ist die aufwendigste und teuerste Ausstellung des Museums. Die Ausstellungskosten betragen rund 7 Millionen Schweizer Franken, die 75 Werke sind für 4 Milliarden versichert. International ein Spitzenwert, so Direktor Sam Keller.