Es fühle sich schon ein bisschen verwirrend an, dass wildfremde Leute hier herumlaufen, sagt Kiera Chaplin (37). «Schliesslich ist das mein Zuhause.» Die Enkelin des grossen Charlie Chaplin (1889–1977) steht im hellen Wohnzimmer des Chaplin-Museums in Corsier-sur-Vevey VD, das noch immer so eingerichtet ist wie in ihren Kindheitstagen. Kiera trägt Schwarz, eine blonde Strähne hängt ihr ins Gesicht.
Seit vier Jahren ist das Chaplin-Museum geöffnet. Gegen eine Million Besucher aus aller Welt pilgerten seither an den Genfersee, um sich den letzten Wohnort des Weltstars anzuschauen. Innert kürzester Zeit hat es sich zu einer Topdestination für Touristen in der Schweiz etabliert. 2018 ist «Chaplin's World» sogar zum schönsten Museum Europas gewählt worden.
Pferde, Ponys, Hunde
Sie habe sich mit dem Gedanken an ein Museum anfänglich nicht anfreunden können, gesteht Kiera. «Es kam mir surreal vor, dass hier ein Mekka für meinen Grossvater entstehen soll.» Aber sie habe zu ihrer Herkunft ohnehin ein «komisches Verhältnis» gehabt, sagt sie lachend, und ihre schneeweissen Zähne blitzen auf.
Ihre Kindheit sei wie ein Märchen gewesen. Der riesige Garten des Anwesens – ein einziger herrlicher Spielplatz! Die Familie besass Pferde, Ponys «und mindestens zehn Hunde».
David Bowie war oft zu Gast
Kiera setzt sich ans Klavier und spielt mit leichter Hand eine kurze Melodie an. Dann steht sie wieder auf und geht zum Fenster. «Hier ist der Helikopter von Michael Jackson (1958–2009) gelandet, als er zu Besuch kam», sagt sie und zeigt hinaus in den Garten. Auch David Bowie (1947–2016) sei oft zu Gast gewesen.
Kiera lebte bis zu ihrem 18. Lebensjahr in Corsier. Dann zog sie nach London, später nach Paris. Die letzten 15 Jahre verbrachte sie in New York. Sie arbeitete als Model («Elle», «Vogue») und Schauspielerin («The Importance of Being Earnest»). «Ich war eine ziemlich wilde junge Frau mit grossem Unabhängigkeitsdrang», sagt sie. Die Kindheit sei ihr bisweilen fast zu behütet vorgekommen. «Ich wollte das andere, gefährlichere Leben kennenlernen.»
«Der Name weckt hohe Erwartungen»
Der Name Chaplin habe ihr zeitlebens Türen geöffnet und Möglichkeiten geboten, die sie wohl nicht gehabt hätte, wenn sie Meier oder Müller geheissen hätte. «Der Name weckt aber auch sehr hohe Erwartungen. Und damit muss man klarkommen können.» Fehler würden ihr viel weniger verziehen als anderen.
Seit zwei Jahren wohnt Kiera Chaplin wieder hauptsächlich in Europa. Die Schauspielerei hat sie aufgegeben, zu modeln mache ihr auch nicht mehr so viel Spass. «Das ist mir zu oberflächlich geworden.»
Ihre Berufung hat sie woanders gefunden: Vor kurzem eröffnete Kiera in Sierra Leone, einem der ärmsten Länder Afrikas, eine Schule für 400 Kinder. Nebenbei rief sie die Chaplin-Awards ins Leben, durch die jährlich Filmschaffende auf verschiedenen Kontinenten für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden.
Und seit dieser Woche führt sie im «Chaplin's World» durch die Konzerte von Starviolinist Philippe Quint (46), die das musikalische Schaffen ihres Grossvaters ehren. «Es war die absolut richtige Entscheidung, an diesem Ort das Museum zu eröffnen», findet Kiera heute. «Hier schlägt das Herz unserer Familie.»
«Ich bin noch immer ein kleiner Tramp»
Sie könne sich mittlerweile vorstellen, wieder dauerhaft in der Schweiz zu leben, erklärt die Millionen-Erbin. «Meine Rebellierphase ist vorbei.» Ihre Koffer ganz in die Ecke stellen wolle sie aber nicht. «Ich bin noch immer ein kleiner Tramp. Das liegt wohl in der Familie», sagt sie in Anspielung auf die bekannteste Filmfigur ihres Grossvaters.
Deswegen will sie auch keine Kinder. «Falls ich das Bedürfnis in zehn Jahren doch verspüren sollte, kann ich ja adoptieren», sagt sie. «Bis dahin gibt es aber noch ganz viele Sachen, die ich realisieren möchte.» Mit ihrem berühmten Namen und ihrem herzhaften Charme dürfte Kiera Chaplin das nicht schwerfallen.