Wie das Muttersöhnchen Valentin Landmann zu den Hells Angels kam
Zwischen Himmel und Höllenengeln

Valentin Landmann war nicht immer der schillernde Anwalt, der er heute ist. Er verfolgte eine akademische Musterkarriere – bis er in Hamburg in Kontakt mit den Hells Angels kam. Eine Begegnung, die alles veränderte.
Publiziert: 27.04.2017 um 20:55 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 17:24 Uhr
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Flirt mit der dunklen Seite des Menschlichen: Valentin Landmann inszeniert sich in Mephisto-Pose.
Foto: Rikke Skaaning
René Lüchinger

Irgendwann Ende der 70er-Jahre klopft ein bebrillter Mann in Anzug und Krawatte, darüber ein helles Regenmäntelchen, an einer Tür auf der Hamburger Schanze. Darüber steht «Angels Place». Es ist das Vereinslokal der berüchtigten Hells Angels an der Elbe. Valentin Landmann, der Mann im Spiesser-Outfit, hatte sich in Hamburg nicht etwa verlaufen, sondern zielgerichtet diese Adresse angesteuert.

Es öffnet einer, der aussieht wie Rübezahl mit rotem Bart und Bikerkluft. Er schaut verdutzt auf den, der vor ihm steht; bürgerliche Oberwelt trifft auf gesetzlose Unterwelt.

Was will der Gestrandete bei den harten Jungs?

Das ist es, was der brave Jurist und angehende Professor Landmann gesucht hat. Etwas naiv fragt er Rübezahl, ob der ein Panzerknacker sei. Der Angesprochene findet das lustig, lacht heraus und lädt den komischen Kauz auf einen Drink in das Clublokal der Angels ein.

Das Glas reicht dem Gast eine Dame aus dem Milieu, und der Small Talk mit Rübezahl entwickelt sich entspannt, ja fast freundschaftlich. Auch wenn dem harten Burschen nicht ganz klar wird, was der hier Gestrandete eigentlich von ihm will.

Seit der knapp 30-jährige Landmann sich aus den Klauen seiner stets gestrengen, ewig Leistung fordernden Mama Salcia Landmann zu befreien sucht, ist er auf der Suche nach sich selbst. Den ersten Schritt zu eigener Mündigkeit hat der Sohn bereits mit 16 gemacht. Damals löste er sich von der israelitischen Religionsgemeinde, legte seine jüdische Identität ab und liess sich bei den Behörden als religionslos eintragen.

Dramatischer Bruch mit der bürgerlichen Herkunft

Nun, nach dem Besuch bei den Hells Angels, folgt der nächste und wesentlich dramatischere Bruch mit seiner bürgerlichen Herkunft. Valentin Landmann findet bei den Rockern eine neue Familie.

Diese Metamorphose geht einher mit einer fast kafkaesken äusseren Verwandlung. Aus dem Akademiker mit Brille wird einer, der an Wochenenden in die Lederkluft der Hells Angels schlüpft. Um den Hals bindet er sich eine rote Bandana. Er legt sich eine Braut aus der Halbwelt zu und lernt, ein schweres Motorrad zu fahren. Die angefangene, bereits 600 Seiten starke Habilitation bleibt unvollendet.

Stattdessen fokussiert Valentin Landmann seinen wissenschaftlichen Eifer auf die Schnittstelle zwischen der Unter- oder Halbwelt und der legalen, bürgerlichen (Ober-)Welt. Der verhinderte Professor entwickelt eine ökonomische Theorie zur Resozialisierung der Gestrauchelten dieser Welt, die durch Schicksal oder Umstände in die Illegalität der Halbwelt gedriftet sind.

Und das geht dann so: Ökonomisch betrachtet, stellt die Illegalität für die dort Aktiven einen unkalkulierbaren, potenziell existenzgefährdenden Risikofaktor dar. Wenn es aber gelingt, diesen Menschen die Tür zur legalen Welt zu öffnen und ihnen klarzumachen, dass sie dort ihre Träume verwirklichen und mit ihren Begabungen auch ökonomisch sicherer leben können, könnte der illegale Sumpf trockengelegt werden. Es wäre die Vermählung der «Welt der Guten mit der Welt der Bösen», wie Landmann das nennt.

Bordell ohne Zuhälter aus der Halbwelt

Für ihn ist das keine graue Theorie. Der Jurist ist federführend beteiligt, als in Zürich-Wollishofen mit dem «Petite Fleur» 1998 das erste offizielle Bordell der Stadt entsteht. Dort gehen Sexarbeiterinnen legal und ohne Zuhälter ihrer Arbeit nach. Bezahlt werden sie oft genug von Männern, die in bürgerlichen Familien leben: Exponenten der vordergründig sauberen Oberwelt also.

Damit hat nicht einmal Valentin Landmanns Mutter Salcia ein Problem. Statt mit dem Sohn zu schimpfen, verweist sie auf die biblische Prostituierte Rahab aus Jericho: «Ohne diese Dirne wären die Juden vielleicht nicht einmal nach Kanaan gekommen.» Und überhaupt: Im Judentum sei die Prostitution weder verpönt noch verachtet, geschweige denn kriminalisiert.

Auch mit dem Engagement des Sohnes für die Hells Angels hat die Mama kein Problem. Als in den 80er-Jahren die Polizei beginnt, Jagd zu machen auf die Biker in Zürich, sieht sie Parallelen zur Judenhatz in den 30er-Jahren. Als Akt der Solidarität steigt Mama Landmann noch mit 75 Jahren in den Seitenwagen eines Harley-Fahrers.

Gutachten des Star-Psychiaters

Bei Valentin Landmann hat freilich auch dieses Tun tiefere Ursachen. In einem Gutachten des renommierten Psychiaters Mario Gmür steht: «Die Hells Angels wirkten auf Landmann, der eher mit weiblichen, sanften Charakterqualitäten ausgestattet war, als ‹richtige Männer› im Sinne eines männlichen Gegenpols anziehend, und er suchte bei ihnen zweifellos auch die Möglichkeit zu einer männlichen Identifikation, die ihm in der von Mutterdominanz und Vaterlosigkeit gekennzeichneten Jugend verwehrt gewesen war.» 


Lesen Sie morgen: Warum Valentin Landmann der Geldwäscherei schuldig gesprochen wurde.

Teil I auf Blick.ch: Am Anfang war das Muttersöhnchen

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Manfred Schlapp: «Valentin Landmann und die Panzerknacker», Offizin Verlag, Zürich.

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