Foto: Markus Stücklin

Vor 35 Jahren machte der TV-Mann seine Aids-Erkrankung publik
André Rattis Courage wirkt bis heute nach

Während Covid-19 bisher kaum Prominente betraf, sorgten vor 35 Jahren bekannte Aids-Patienten für ein zunehmendes Bewusstsein der damals kaum bekannten Krankheit. Der erste öffentliche Fall in der Schweiz betraf TV-Mann André Ratti.
Publiziert: 28.06.2020 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 28.06.2020 um 11:02 Uhr
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Am 2. Juli 1985 trat TV-Mann André Ratti vor die Kamera und erklärte, dass er homosexuell sei und Aids habe.
Foto: ullstein bild via Getty Images
Peter Padrutt und Jean-Claude Galli

Vor 30 Jahren schrieb der britische Mediensoziologe Philip Strong einen Artikel zur Furcht während Epidemien. Es war die Zeit des Ausbruchs von Aids. Viel davon, was er schreibt, deckt sich mit der Orientierungskrise, in die uns Covid-19 gestürzt hat. Es zeigt sich: Was wir heute als singulär empfinden, passierte schon damals. Nur ausgeprägter. Misstrauen und Angst machten sich breit – dazu kam noch die Stigmatisierung.

Am Anfang war der Hass

1981 waren in Los Angeles die ersten fünf Aids-Fälle der USA gemeldet worden. Die Patienten waren an einer seltenen Form einer Lungenentzündung (Pneumocystis Pneumonia) erkrankt. Symptome: Fieber, Nachtschweiss, Lymphdrüsenschwellung, Kaposi-Sarkome. Die Anfänge der Krankheit war von Vorurteilen, Hass und einem sicheren Tod geprägt. Eine diffuse Angst zog über den Erdball. Und bald waren auch Sündenböcke gefunden: die Schwulen, die Drogensüchtigen und die Prostituierten.

«Die Chronik der Aids-Epidemie ist eine Chronik von Courage wie auch von Feigheit», schrieb Randy Shilts (1951-1994) 1987 in seinem Aids-Standard-Werk «And the Band Played On». Zu den Mutigen zählte auch der Schweizer TV-Moderator André Ratti (1935–1986), der vor genau 35 Jahren, am 2. Juli 1985, vor die Kamera trat und erklärte, dass er homosexuell sei und Aids habe.

«Da stirbst du mal dran»

Die Nation erstarrte im Schockzustand. Vor seinem Tod, ein Jahr später, sagte Ratti in einem Interview: «Ich habe plötzlich gewusst: Du hast diese Scheisskrankheit, und da stirbst du mal dran. Da habe ich mir gesagt, das Einzige, was du machen kannst, André – stell dich der Öffentlichkeit. Mach mal etwas ganz Verrücktes. Sag, wer du bist. In einem Land, das so verlogen ist wie die Schweiz.»

Für den Politiker und Präventiv-Mediziner Felix Gutzwiller (72), der damals die ersten Aids-Kampagnen mit dem BAG lancierte, ist Ratti bis heute ein Vorbild. «Die Bevölkerung realisierte erstmals, dass es sich um eine tödliche Krankheit handelte», sagt er. Der TV-Mann sei «eindrücklich, eigenständig und mutig» gewesen.

Der frühere «Tagesschau»-Moderator Charles Clerc (77) lobt Ratti als «ein Phänomen». Man habe sich auch privat gekannt. «Er war ein herzlich guter Mensch, nur manchmal etwas anstrengend.» Eineinhalb Jahre später stülpte sich Clerc in der «Tagesschau» ein Kondom über den Finger, um die Zuschauer für die Stop-Aids-Kampagne des BAG zu sensibilisieren. «Es war eine so schreckliche Zeit wie heute mit Covid-19. Uns war klar, dass man mit einem Knaller die Öffentlichkeit wachrütteln muss», blickt er heute zurück. «Wir sagten uns: Wir müssen jetzt einfach etwas machen, was einschlägt.»

Die weltbekannten Gesichter von Aids

Ein Knaller globalen Ausmasses folgte noch im selben Monat wie Rattis Outing im Fernsehen. Am 21. Juli 1985 brach US-Star Rock Hudson (1925–1985) im Pariser Luxushotel Ritz zusammen und wurde ins amerikanische Krankenhaus eingeliefert. Gerüchte um eine mysteriöse Lungenkrankheit hatte es seit Monaten gegeben. Sein Umfeld entschloss sich schliesslich aufgrund der unzähligen Medienanfragen zum Handeln. Pressesprecherin Yanou Collart verlas am 25. Juli vor dem Spital eine Mitteilung, welche die genaue Diagnose und Hudsons Homosexualität öffentlich machte. «Wenn sie das hören wollen, dann geh und wirf es den Hunden zum Frass vor», soll Hudson gesagt haben, als er den Inhalt absegnete.

Unvergessen bleibt auch sein erster öffentlicher Auftritt danach, als er – einst ein attraktiver Hüne – völlig eingefallen in einer TV-Talkshow seiner langjährigen Filmpartnerin Doris Day (1922–2019) auftrat. Am 2. Oktober starb Hudson als erstes weltbekanntes Aids-Opfer. Ihm folgten US-Entertainer Liberace (1919–1987), Pop-Künstler Keith Haring (1958–1990), Queen-Frontmann Freddie Mercury (1946–1991), «Psycho»-Schauspieler Anthony Perkins (1932–1992) oder Ballett-Star Rudolf Nurejew (1938–1993).

Alle diese Beispiele inklusive Ratti zeigen, wie sich Aids über Schicksale bekannter Leute in die Köpfe der Menschen brannte. Viele Kreative starben an der Immunschwäche, anders als bei Covid-19. Beinahe als Einziger machte Schauspieler Tom Hanks (63) seine Erkrankung bisher öffentlich – und er hatte sie nur leicht. Eben jener Hanks spielte übrigens 1993 die Hauptrolle in «Philadelphia», dem ersten grossen Hollywood-Film, der den Umgang mit Aids zum Thema nahm.

Aids wurde greifbar dank öffentlicher Gesichter – das war damals Segen und Fluch. Die Bilder ausgemergelter Stars lösten Angst aus, man ergötzte sich aber auch an ihren Auftritten. Aids hatte ein Gesicht. Ein grausames. Covid-19 hingegen bleibt bisher hinter den Kulissen.

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