Bruno Ganz ist tot
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Er starb 77-jährig:Bruno Ganz ist tot

Vom Arbeitersohn zur Legende
Das grosse Leben des Bruno Ganz

Der grösste Schweizer Schauspieler, Bruno Ganz, ist 77 jährig gestorben. Eine Legende zu Lebzeiten, hat der Mann aus Zürich Seebach seit den 1960er-Jahren erst die deutschsprachigen Bühnen und den internationalen Film erobert. Und darüber nie seine Herkunft vergessen.
Publiziert: 17.02.2019 um 00:49 Uhr
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Bruno Ganz erlangte mit seiner Rolle als Adolf Hitler in «Der Untergang» 2004 grosse Bekanntheit.
Foto: DUKAS
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Bruno Ganz (†77) ist tot.
Foto: Dukas
Michael Merz

Es sind die 1970er-Jahre und ich bin auf der Suche nach Bruno Ganz. Das Telefon unter der gefundenen Nummer klingelt endlos. Ich denke ans Aufhängen, als sich ein Mann mit einer vom Alter gebrochenen Stimme meldet. Der Vater von Bruno. «Wie kann ich ihnen helfen? Bruno ist nicht da.» So erkläre ich, dass ich gerne ein Interview mit seinem Sohn hätte und gerate so in ein Gespräch. «Jä, de Bruno», sagt er und in der hellen Stimme des Vaters ist jetzt viel Stolz, viel Bewunderung und noch mehr Zärtlichkeit für seinen Buben zu erkennen. «Jää, de Bruno isch jetzt halt nümme vill dihei.»

Bruno Ganz wurde 1941 als Kind einer Italienerin und eines Arbeiters in Zürich-Seebach geboren und gerät als Mittelschüler in den späten 1950er-Jahren zum ersten Mal ins legendäre Schauspielhaus. «Es war ein erster, heftiger Kontakt mit dem Theater und der Wunsch auch einmal auf dieser Bühne zu stehen war so heftig, dass mich niemand auf dieser Welt hätte davon abbringen können, Schauspieler zu werden!» Es gibt glücklicherweise dafür das neu geschaffene Bühnenstudio als Ausbildung und daneben die Arbeit als Buchhändler. Beides ergänzen sich zu Wissen und Können und damit ergeben sich erste, kleine Bühnen- und Filmarbeiten. Kommt dazu, was er selbst «zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Leuten zusammen sein», nennt. Sein Talent scheint bald am kleinen Theater von Göttingen (D) 1961 erstmals auf und bringt ihn nach Bremen (D, 1964). Dort trifft er drei Jahre später auf den jungen Regisseur und späteren Theaterkampfgenossen Peter Stein. Das Talent Ganz explodiert. Es entstehen legendäre Theaterproduktionen: erst Shakespaere’s Hamlet, dann Schillers Räuber, schliesslich Goethes Tasso. Bruno Ganz ist damit auf einer Theaterlaufbahn, die sich durch nichts stoppen lässt. Ausser ihm selbst.

Theaterskandale und Alkoholismus

Niemand kann über dieses aussergewöhnliche Talent reden oder schreiben, ohne auch über die Zürcher Zeit von Ganz und Stein, samt ihren Theatergenossen und -genossinnen zu sprechen. Der Aufbruch des Schauspielhauses in der Ära Löffler aus der tief verschnarchten Tradition, dem bitteren Ende, der Kündigung 1970, über die progressive Art der Inszenierungen und den daraus resultierenden Theaterskandalen. Nach einem Jahr ist das Experiment zu Ende. Zürichs Kulturszene sammelt sich danach neu zur alten Form. In Berlin (D) stossen Ganz und Stein zur Schaubühne. Zusammen mit einer jungen Elite an Schauspielern, Regisseuren und Bühnengestaltern erobert dieses neue, aufregende Theater, das sich an keine Vorgaben und schon gar nicht an liebe Gewohnheiten hält, sogar die Weltbühnen. Es sind massgebliche Theaterarbeiten, die bis ins Heute ausstrahlen.

Diese Zeiten wären unvollständig, ohne dass man die Ehe von Bruno Ganz und seinen Sohn erwähnte. Eine Ehe, 1965 geschlossen, die sich bald trennt, aber nie geschieden wird. Sein Sohn, der mit vier Jahre erblindet und den Ganz über alles schätzt, sogar bewundert. «Ich finde ihn grossartig. Er liest englisch und französisch in Blindenschrift, spielt ziemlich gut Gitarre, reist in die ganze Welt … Er war an Orten, an denen ich noch nie war.» Diese Jahre wären aber genauso wenig vollständig, ohne dass man auf die Sucht des Bruno Ganz eingehen würde. Er ist Alkoholiker. «Man kann mich und die Art, wie ich heute mit dem Leben und meinem Beruf umgehe, nicht verstehen», sagt er mir einmal, «ohne dass man weiss, dass ich eine Sucht hinter mir habe!»

Er habe zwar oft gedacht: «Ich will das nicht mehr!» Aber es habe eben auch immer wieder die Rückfälle gegeben. «Aber als ich mich dann eines Tages verletzte und daran fast verblutete, dachte ich mir: Das ist ein deutliches Zeichen von Deinem Körper. – Das nächste Mal stirbst Du!» Es sei eine Selbstrettung gewesen und diese habe ihm viel Kraft ermöglicht. Und sie bringt Bruno Ganz zu einer ganz andere Art von Karriere. Nicht bloss jene im europäischen Film, sondern jene in Hollywood!

«Nüd schlächt für en Züri-Seebacher!»

Bruno Ganz hat viele erfolgreiche Filme (88) gedreht. Aber 2004 kommt das Rollenangebot aller Rollenangebote: Adolf Hitler in «Der Untergang».

Kein späteres Gespräch mit Bruno Ganz ohne dass er auf «dä Hitler» kommt. Die Rolle ist Erfüllung und Trauma. Sie lässt für einen Moment sogar die Illusion zu, dafür schenke ihm Hollywood einen Oscar. Eine Illusion eben. Ich glaube aber, dass diese Rolle auch eine Art Befreiung war. Die Theaterlaufbahn geht zu Ende. Die Ganz’schen Sprechkünste auf der Bühne sind oft kaum noch zu verstehen. Aber als Rezitator und Vorleser, als Darsteller im Film kann Ganz aufbieten, was er im Überfluss besitzt: Präsenz. Er ist in diesen Jahren zu dem geworden, was die Franzosen «monstre sacré» nennen: Ein geheiligtes Monster. Verehrt. Bewundert. Verwöhnt. Geliebt. Darauf angesprochen sagte er jeweils: «Nüd schlächt für en Züri-Seebacher!»

Zwei Rollen der späten Jahre bleiben uns Schweizern im Gedächtnis und im Herzen. Jene des Grossvaters in «Vitus» (2006), dem weisen alten Mann, der das eigensinnige Wunderkind nicht nur liebt, sondern begreift. Jene des Grossvaters in «Heidi» (2015), der dem Kind mit seiner knorrigen Art verschafft, was jeder braucht: Liebe. Damit ist Bruno Ganz auch in seiner Heimat zur Ikone geworden: Das Knautschgesicht, das jeder liebt. Der wissende Blick aus prüfenden, aber gütigen Augen. Die helle Stimme. Leise, rauh vom Alter gebrochen. Es ist jene seines eigenen Vaters.

Bruno Ganz war Träger der höchsten Auszeichnung für einen Schauspieler deutscher Sprache, dem Iffland-Ring. Er lebte inzwischen wieder in Zürich und war hier seit letztem Sommer in intensiver, ärztlicher Behandlung. Dort starb er am Morgen des 16. 2. 2019 in seinem Haus.

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Bruno Ganz (†77) ist tot.
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