«Das begleitet einen für den Rest des Lebens»
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Schoss über seine Behinderung:«Das begleitet einen für den Rest des Lebens»

Unternehmer Joachim Schoss (60) verlor bei Töff-Unfall Arm und Bein
«Meine Kinder haben mich ins Leben zurückgeholt»

Er hat ein zweites Leben geschenkt bekommen: Der Unternehmer Joachim Schoss verlor bei einem Töff-Unfall einen Arm und ein Bein – und wäre fast gestorben. Heute engagiert er sich mit seiner Stiftung für Menschen mit Behinderung.
Publiziert: 03.06.2023 um 18:54 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2023 um 09:35 Uhr
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Der Unternehmer Joachim Schoss hat bei einem Töff-Unfall einen Arm und ein Bein verloren.
Foto: Philippe Rossier

Gross gewachsen, im sportlichen Jackett, der oberste Knopf des Hemds ist offen. Man sieht Joachim Schoss (60) an, dass er in der obersten Businessklasse mitspielt. Als er die Tür zu seinem Haus über dem Zürichsee öffnet, ist sein Händedruck kräftig und freundlich. Dabei übersieht man fast, dass es seine Linke ist. Und erst als er uns ins Wohnzimmer führt, fällt sein leicht hinkender Gang auf. Der Unternehmer hat bei einem Unfall in Südafrika seinen rechten Arm und das rechte Bein verloren – aber nicht seinen Lebensmut.

Wie leben Sie mit Ihrer Behinderung?
Joachim Schoss: Sie ist ein Teil von mir geworden. Erfreulicherweise ist das nach ein paar Jahren so, nach all den Anpassungsschwierigkeiten und der Arbeit, die es braucht, bis man mit dieser neuen Realität wieder im Reinen ist. Ob man das je so ganz schafft, kann ich noch nicht abschliessend sagen.

Wie lange hat das bei Ihnen gedauert?
Das ist ein Prozess. Früher habe ich jeweils den Jahrestag gefeiert, an dem ich diesen Unfall überlebt habe, es ist eine Art zweiter Geburtstag. Zum zehnten Jahrestag hat meine Frau Videos zusammengestellt mit Botschaften von all jenen, die mich damals unterstützt haben. Das war sehr schön und berührend, aber es war auch an der Zeit, dieses Kapitel abzuschliessen. Ich feiere diesen Tag also heute nicht mehr.

Feiern statt Hadern. Wie schafft man das mit einem solchen Schicksal?
Hadern bringt ja nichts.

Hat Sie der Unfall verändert?
Man könnte annehmen, wenn jemand einen Arm und ein Bein verliert, dann geht es in erster Linie um diese massive körperliche Veränderung. Aber für mich war die grösste Veränderung die meiner Persönlichkeit. Das hat weniger mit der physischen Behinderung als mit meinem Nahtod-Erlebnis zu tun.

Sie wären beinahe gestorben?
Ja, allerdings nicht am Unfalltag, sondern knapp drei Wochen später, als mein Zustand immer schlechter wurde, weil mehrere innere Organe versagt haben. Die Ärzte hatten mich aufgegeben. Und dann war da dieses Erlebnis, ich war in einem Tunnel und sah am Ende ein warmes Licht. In diesem Augenblick ist mein Leben an mir vorbeigezogen, präsent waren vor allem meine drei Kinder, die damals noch sehr klein waren. Sie haben gebettelt, dass ich bleibe, sie waren es, die mich ins Leben zurückgeholt haben.

Was war die Erkenntnis?
Seither habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Das, was da am Ende des Tunnels auf uns wartet, fühlte sich verlockend an, liebevoll und willkommen heissend. Ich glaube, das erwartet uns eines Tages alle, wenn es so weit ist. Und mir wurde durch dieses Erlebnis klar, worauf es wirklich ankommt. Mein erstes Leben hatte ich ganz dem geschäftlichen Erfolg unterstellt, in den Jahren vor dem Unfall dem Aufbau von Scout24.

Dessen Verkauf Sie sehr wohlhabend gemacht hat.
Natürlich ist es schön, eine erfolgreiche Firma aufzubauen, ein Vermögen zu erwirtschaften und eine Position zu erreichen. Aber am Schluss zählt nicht die finanzielle Bilanz, sondern die menschliche. Also, was für ein CEO war ich, was für ein Vater, Partner oder Ehemann. Darum setze ich meine Prioritäten heute anders, mein zweites Leben gehört meiner Familie, sie kommt an erster Stelle.

Mit dem Bundesrat in der Kutsche: Joachim Schoss (r.) mit Ueli Maurer am Sechseläuten 2011.
Foto: Blick

Sie scheinen sich mit Ihrem Schicksal versöhnt zu haben.
Ja, dafür, dass die Ärzte zuerst dachten, ich würde das nicht überleben, und dann, dass aus mir ein ewiger Pflegefall würde – dafür sehe ich ja noch ganz gut aus (lacht). Am Ende bin ich auch froh über diese Wendung, die mich aus der Eindimensionalität meines Unternehmerlebens hinauskatapultiert hat. Auch wenn der Preis, den ich dafür noch immer zahle, ein sehr hoher ist. Sonst hätte ich auch meine wunderbare Frau nicht kennengelernt.

Zu Gast bei Tina Turners Hochzeit: Joachim Schoss mit seiner Gattin Stephanie.
Foto: Blick

Wie ist es dazu gekommen?
Sie hat ein Podium an der Universität St. Gallen veranstaltet, und ein gemeinsamer Bekannter hat mich dafür als Speaker empfohlen, nach dem Unfall hatte ich für so etwas ja Zeit. Daraus hat sich eine Freundschaft und schliesslich eine tiefe Liebe entwickelt. Nach dem Unfall war mein Selbstwertgefühl so tief gesunken, ich hätte damals nie geglaubt, dass ich so etwas nochmals erleben würde.

In Ihrem Wohnzimmer steht eine Wiege.
Vor drei Monaten ist unser viertes Kind zur Welt gekommen. Und ich habe aus zwei früheren Beziehungen noch vier Kinder, die inzwischen erwachsen sind. Meine Kinder sind es, die mir mein zweites Leben geschenkt haben, darum widme ich es ihnen.

Was möchten Sie ihnen weitergeben?
Das Gefühl, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen sollen, Initiative zeigen und sich etwas Eigenes erschaffen. Ich denke, es ist nicht gut, im Wissen aufzuwachsen, dass einem das Erbe mehr Einkünfte bringen könnte als die eigene Arbeit. Darum bekommen sie einen vergleichsweise kleinen Beitrag als Starthilfe für ihre Ausbildung, danach stehen sie auf eigenen Füssen.

Was geschieht mit Ihrem Vermögen?
Das, was es bereits jetzt tut. Es fliesst in Projekte, bei denen es ums Klima oder die Erneuerung der Demokratie geht. Lauter Themen, von denen ich denke, dass man damit seinen Kindern und deren Generation etwas Besseres tut, als ihnen einen grossen Batzen zu hinterlassen, mit dem sie womöglich sogar überfordert wären. Und ich engagiere mich mit meiner Stiftung EnableMe für Menschen, die wie ich von einer Behinderung betroffen sind. Alle meine Stiftungen finanzieren sich jedoch in erster Linie über Spenden.

Es gibt inzwischen Barbie-Puppen mit Down-Syndrom oder im Rollstuhl ...
Das ist sehr erfreulich, denn es spiegelt die Lebensrealität. Es ist wichtig, dass schon Kinder ganz selbstverständlich damit in Kontakt kommen. Über zehn Prozent der Menschen haben eine Behinderung, in der Schweiz sind es wohl 1,7 Millionen Menschen. Das ist vielen gar nicht bewusst. Darum sollten Menschen mit Einschränkungen wenn immer möglich inkludiert werden, ab dem Kindergarten, in der Schule, im Berufsleben, auch in den Medien. Sonst sind die grössten Barrieren die in den Köpfen, und Inklusion wird schwierig. Beim derzeitigen Fachkräftemangel ist die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen auch eine Chance, die mehr Arbeitgeber nutzen sollten.

Was ist das Ziel der Stiftung?
Nach meinem Unfall habe ich viele Monate in Krankenhäusern verbracht und viel Leid und Elend gesehen, auf psychischer und physischer Ebene. Viele Betroffene wissen nicht, wie sie mit ihrer Behinderung umgehen sollen, und manche möchten lieber sterben, als schwer behindert weiterzuleben. Ich verstehe etwas von Digitalisierung und weiss aus eigener Erfahrung, was man in einer solchen Situation durchmacht – da lag es nahe, diese Fähigkeiten für andere Betroffene einzusetzen. Auf der Plattform Enableme.ch möchten wir Menschen informieren und zusammenbringen, damit sie sich austauschen, helfen und gegenseitig Mut machen können.

Und es geht auch um Sichtbarkeit.
Genau. Mich fasziniert, wie es die LGBTQ-Community in den letzten Jahren geschafft hat, im Mainstream anzukommen. Das wünschen wir uns auch für Menschen mit Behinderungen, eigentlich müsste jedes zehnte Model in einer Werbung eine Betroffene sein oder jeder zehnte Gast in einer Talkshow. Denn die schlimmsten Barrieren sind im Kopf, da geschieht die Stigmatisierung. Berührungsängste entstehen nur, weil der Kontakt und die Selbstverständlichkeit fehlen.

Weil viele Menschen mit Behinderung in unserem Alltag nicht präsent sind?
Ja, dabei geht es nicht nur um körperliche Behinderungen, sondern auch um die nicht sichtbaren. Nehmen wir mich als Beispiel. Nur mit einem Arm rumzulaufen, ist eine ganz dankbare Behinderung. Denn das ist offensichtlich und wird wahrgenommen. Wenn ich Schwierigkeiten habe beim Aufhängen des Mantels auf einen Bügel oder um meinen Koffer im Flieger zu verstauen, dann eilt mir oft jemand zu Hilfe. Peinlicherweise sind es meist Frauen, sie haben eher den Blick dafür. Aber auch Männer sind hilfsbereit, man muss sie einfach darum bitten.

Und was ist nicht sichtbar?
Mir fehlt auch ein Bein. Weil ich eine Prothese habe, sieht man das oft gar nicht. Und seit dem Unfall sind auch meine Nieren stark geschwächt, darum habe ich nicht so viel Energie wie früher. Das muss ich meinem Umfeld aber jeweils erklären. Oder ein Bekannter von mir hat eine degenerative Nervenkrankheit. Deshalb wirkt er manchmal wie ein Betrunkener, für ihn ist das in Gesellschaft die Hölle.

Mit dem Dreirad und seinen Kindern unterwegs: Joachim Schoss verbringt den Winter in Neuseeland.

Auch Depressionen können als Behinderung gelten, ist das sinnvoll?
Ja, auch eine Legasthenie oder ADHS zählen dazu. Ausschlaggebend ist, ob der Alltag über eine andauernde Zeit eingeschränkt ist. Und gerade bei diesen nicht sichtbaren Leiden haben Betroffene oft Hemmungen, darüber zu sprechen. Auch, weil sie Angst um ihren Job haben. 75 Prozent legen ihre Behinderung nicht offen. Deshalb haben wir die Plattform Saferspace gegründet, auf der man beraten wird und sich informieren kann.

Nutzen Sie Ihre Plattformen auch selber?
Ja, ich habe mich zum Beispiel für die geeignete Wintersportart beraten lassen. Oder für die Spezialanfertigung eines Fahrrads mit drei Rädern, damit ich es mit dem linken Arm und linken Bein bedienen kann.

Haben Sie keine Angst vor einem erneuten Unfall?
Nein, rein statistisch gesehen habe ich meinen Anteil gehabt. Und der liebe Gott hat sich mehrfach bei mir entschuldigt für das, was da in dem einen Moment schiefgegangen ist.


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