«Sternstunde»-Moderatorin Barbara Bleisch (46) über Drogen, Verliebtheit und Entrückung
«Rausch und Ekstase gehören zum Menschen»

Was passiert bei einem Rausch mit uns, und kann auch Denken süchtig machen? Die heutige «Sternstunde»-Sendung ist ganz dem Rausch und der Ekstase gewidmet (SRF zwei, 20.55 Uhr). BLICK im Gespräch mit Moderatorin Barbara Bleisch.
Publiziert: 03.05.2019 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 28.11.2020 um 19:55 Uhr
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Macht Philosophie zugänglich: SRF-Moderatorin Barbara Bleisch. «Philosophie ist riskantes Denken: Sie rüttelt an Dogmen und erprobt gedanklich das scheinbar Unmögliche.»
Foto: Thomas Meier
Interview: Peter Padrutt und Jean-Claude Galli

Die «Sternstunde der Nacht» steht heute im Zeichen von Rausch und Ekstase (SRF zwei, 20.55 Uhr). Barbara Bleisch (46) und Yves Bossart (36) empfangen Gäste wie die Extrembergsteigerin Evelyne Binsack (51) oder den Neurowissenschaftler Milan Scheidegger. BLICK hat mit Bleisch über Entrückungszustände und die Wirkung von Drogen gesprochen.

BLICK: Frau Bleisch, hatten Sie schon mal einen richtigen Rausch?
Barbara Bleisch: Meine Eltern erlaubten mir als Kind nur eine Cola aufs Mal. Sonst bekam ich einen Cola-Rausch und machte endlos den Clown.

Jetzt aber ganz ernsthaft: Waren Sie noch nie richtig betrunken?
Doch, klar. Aber daran erinnert man sich ja nur halb, oder?

Was passiert eigentlich bei einem Rausch mit uns?
Das kommt darauf an, woran wir uns berauschen. Cannabis wirkt anders als Heroin, LSD anders als Kokain. Rauschmittel können zudröhnen, Angst lindern, empathischer machen, aber auch aggressiver. Welche Wirkung eine Substanz hat, hängt auch von der Person ab, die sie nimmt, und von den Umständen, unter denen konsumiert wird.

Sie sind Philosophin. Kann Denken auch süchtig machen?
Wenn man Philosophie essen könnte, wäre ich massiv übergewichtig. Spass beiseite: Immanuel Kant sprach von der «rasenden Vernunft» und meinte damit, dass man es mit dem Verstehenwollen auch übertreiben kann. Wer alles bis ins letzte Detail durchdringen will, wird misstrauisch und wittert überall eine Verschwörung. Dann brauchen selbst Philosophen eine Ausnüchterungszelle.

Es geht in der Sendung auch um Sport. Wann und wo kann Sport zur Sucht werden – und welche Sportler sind am meisten gefährdet?
Beim Sport schüttet unser Körper Stoffe aus, die glücklich machen oder schmerzstillend sind. Beim Ausdauertraining stellt sich bei vielen sogar ein rauschähnlicher Flow-Effekt ein. Sport ist in erster Linie gesund – zur Sucht wird er höchstens bei Extremsportlern oder dann, wenn ein extremes Körperideal erreicht werden soll. Evelyne Binsack wird in der Sendung aber vor allem vom Höhenrausch erzählen.

Bei der Zusammenstellung Ihrer Gäste fällt auf: Es sind nur Leute vertreten, die mit Sport oder Heroin zu tun hatten. Sucht gibt es aber auch in anderen Lebensbereichen, oder?
Mit Heroin hat nur ein Gast Erfahrung, andere Gäste haben nie Rauschmittel konsumiert oder nur sogenannte psychedelische Substanzen wie LSD oder Ayahuasca. Ausserdem sprechen wir über den Rausch in Religionen und über die kontrollierte Gesellschaft, die den Rausch fürchtet.

Wie ist der wissenschaftliche Stand in Bezug auf Psychedelika wie LSD – wann helfen sie, wann schaden sie?
Psychedelische Substanzen verstärken ja nicht nur positive Gefühle, sondern auch negative, es kann zu Horrortrips kommen. Fachpersonen empfehlen, solche Substanzen nur unter fachkundiger Begleitung zu sich zu nehmen. Psychotische oder suizidale Patienten sollten ganz darauf verzichten. In der Psychiatrie hat man die Hoffnung, dass Psychedelika zum Beispiel gegen schwere Depressionen helfen könnten. An der Uni Zürich laufen entsprechende Studien.

Gast in der Sendung ist auch der Sufi-Scheich Peter Hüseyin Cunz. Weshalb? Geht es darum, dass auch Religion zur Sucht werden kann?
Viele religiöse Traditionen zelebrieren die Begegnung mit Gott als rauschhaftes Erlebnis. Sie versuchen in der Askese oder im stundenlangen Gehen, Gott nahe zu kommen – im Körper geschehen ähnliche Dinge, wie wenn man Rauschmittel konsumiert. Peter Hüseyin Cunz berichtet von der Mystik der Drehtänze in der Religion der Sufi.

Es gibt einen Lyrikband mit dem Titel «Besoffen vor Liebe». Macht Verliebtheit süchtig?
Der Liebesrausch ist wohl der meistbesungene und -beschriebene der Weltliteratur. Menschen werden rasend vor Liebe oder verzehren sich vor Sehnsucht. Klar verdreht uns die Liebe den Kopf.

Wo erleben wir sonst überall Räusche im Leben?
Es gibt zwei Sorten von Rausch. Der eine Rausch antwortet auf einen Mangel. Der Heroinsüchtige braucht Stoff, weil sein Körper an die Substanz gewöhnt ist. Der andere Rausch verspricht eine neue Erfahrung: Ein LSD-Trip oder Zauberpilze entführen uns in unbekannte Welten. Je extremer die Erfahrung, desto mehr erleben wir sie als Rausch. Für die einen mag eine durchgetanzte Nacht etwas Rauschhaftes haben, für andere das Schweige-Retreat.

Warum ist der Mensch so anfällig dafür?
Vielleicht sollten wir sagen: offen. Nicht jeder Rausch ist schlecht. Der Rausch, die Exstase, gehören zum Menschen dazu. Davon erzählen schon die alten Mystiker: Sich auflösen, eins werden mit dem Universum oder der Natur – das sind Erfahrungen, die uns vielleicht eine Vorahnung auf den Tod geben.

Zwischen Drogen und Kunst gibt es eine enge Verbindung. Warum waren so viele Künstler süchtig?
Rauschmittel können entspannen oder uns fokussieren und so kreativer machen. Allerdings muss man betonen: Eine Sucht ist eine Krankheit und darf nicht schöngeredet werden. Und die wenigsten Süchtigen sind erfolgreiche Künstler.

Hand aufs Herz: Damit man ein Fallbeispiel hätte, müsste zumindest jemand in der Runde betrunken sein.
Das glaube ich nicht. Wenn man über die Geburt diskutieren will, muss man auch keine Frau einladen, die im Studio gebärt. Man muss Gäste dabeihaben, die von ihren Erfahrungen mit Geburten und Gebärenden berichten. Unsere Gäste haben Erfahrungen mit Rauschzuständen oder Suchtkranken.

Früher im «Club» gab es das noch: dass ein Betrunkener auftrat. Sie könnten TV-Geschichte schreiben ...
Gutes Fernsehen bewegt nachhaltig. Wir führen keine Gäste vor und suchen nicht die Sensation.

Verraten Sie uns: Gehen Sie nach der Sendung mit Ihren Gästen noch einen lüpfen?
Natürlich – und heute darf ich sogar mehr als eine Cola trinken.

Die Philosophin

Barbara Bleisch (46) wurde 1973 in Basel geboren und studierte Philosophie, Germanistik und Religionswissenschaften. 2007 promovierte sie an der Uni Zürich. Zur Zeit ist sie akademischer Gast am Collegium Helveticum der Universität und ETH Zürich. Neben dieser Arbeit moderiert sie seit 2010 das SRF-Format «Sternstunde Philosophie». Als Journalistin war sie u.a. für die «NZZ» tätig. Aktuell ist sie Kolumnistin beim «Philosophie Magazin» und beim Tages-Anzeiger und Jurymitglied des renommierten Tractatus-Essaypreises.

Barbara Bleisch (46) wurde 1973 in Basel geboren und studierte Philosophie, Germanistik und Religionswissenschaften. 2007 promovierte sie an der Uni Zürich. Zur Zeit ist sie akademischer Gast am Collegium Helveticum der Universität und ETH Zürich. Neben dieser Arbeit moderiert sie seit 2010 das SRF-Format «Sternstunde Philosophie». Als Journalistin war sie u.a. für die «NZZ» tätig. Aktuell ist sie Kolumnistin beim «Philosophie Magazin» und beim Tages-Anzeiger und Jurymitglied des renommierten Tractatus-Essaypreises.

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