Star-Autorin Milena Moser über Weihnachten
«Gell, das Motto ist ‹stressfrei›»

Für SonntagsBlick schreibt Milena Moser exklusiv, wie wichtig ihr Traditionen sind, mit wem sie diese Tage feiert und wie ihr Sohn darauf reagiert hat, die Weihnachtspläne kurzfristig über den Haufen zu werfen.
Publiziert: 23.12.2018 um 14:03 Uhr
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Kakteen statt Christbäume: Milena Moser schätzt die Lebensqualität in Santa Fe.
Foto: Zvg
Milena Moser

Zwei Wochen vor Weihnachten rufe ich meinen Sohn an: «Gell, das Motto ist ‹stressfrei›», erinnere ich ihn. Er wird mich mit seiner Partnerin in Santa Fe besuchen, wir werden zusammen Weihnachten feiern. Seit Monaten freue ich mich darauf. Nicht zuletzt, weil Weihnachten in Santa Fe die entspannteste Art ist, zu feiern – wenigstens für mich.

Ich wohne an der Canyon Road, die sich jeden Heiligabend in eine feierliche Festmeile verwandelt. Farolitos schmücken die Strasse, einfache, braune Papiertüten, mit etwas Sand beschwert, in denen Kerzen flackern. Glühwein wird ausgeschenkt, man wärmt sich am offenen Feuer auf, und etwa alle fünfzig Meter bilden sich spontane Chöre, die Weihnachtslieder singen. Die ganze Stadt ist auf der Strasse, Einheimische mischen sich unter Touristen, Teenager schleichen ihren Eltern davon, Fremde werden zu Freunden. In Santa Fe feiert an Weihnachten niemand allein.

Stress-Vorwürfe

Ich öffne mein Haus als Treffpunkt und Aufwärmstation. Freunde kommen und gehen, Victor, mein Partner, der aus San Francisco anreist, kommt, brät Quesadillas und versetzt heisse Schokolade mit Tequila. «Die entspannteste Weihnachten seit ... immer!», kommentierte mein jüngerer Sohn einmal.

Das war nicht immer so. «Bei dir ist es nicht schön, du bist immer so gestresst», kommentierte meine Mutter undiplomatisch meine so sorgfältig vorbereiteten, aufwendigen Weihnachtsfeiern in der Schweiz. Wir versuchten, Traditionen zu begründen und aufrechtzuerhalten, ohne grossen Erfolg. Dabei sind Traditionen so wichtig! Ich liebe Traditionen – wenn sich das Leben nur an sie halten würde!

An die traditionellen Weihnachtsfeiern meiner Kindheit erinnere ich mich nur schwach. Hat unser Hund den Baum umgeschmissen oder bilde ich mir das ein? Ebenso verschwommen sind die Erinnerungen an die etwas bemühten Versuche, nach der Scheidung meiner Eltern, eine Alternative zu finden. Statt Weihnachtsbaum hatten wir goldbesprühte Äste in einer Vase. Ein andermal landeten wir mit der vagen Vorstellung, Obdachlose zum Essen einzuladen, im Bahnhofsbuffet. Als ich mit siebzehn von zu Hause auszog, verweigerte ich den Weihnachtsrummel voller Trotz. Und verbrachte nicht den schlechtesten Heiligabend im Sofakino Xenix, wo die ganze Nacht hindurch ein «Kottan ermittelt»-Marathon gezeigt wurde.

Eine wild zusammengewürfelte Gruppe

Doch dann hatte ich ein Kind. Und plötzlich wurde Weihnachten wieder wichtig. Ich hatte zwar keine Tradition, auf die ich zurückgreifen konnte, und auch keine traditionelle Familie. Meine Mitbewohnerin und ich schmückten den kleinsten Baum, den wir finden konnten, in Neonpink, servierten aufgebackenes Fertiggebäck. Und jeder, der am 24. nicht wusste wohin, kam zu uns. Das war schön, das fühlte sich weihnachtlich an. So blieb es auch, als ich wieder verheiratet war, einen zweiten Sohn hatte, mit meiner Familie in San Francisco lebte. Regelmässig versammelte sich eine wild zusammengewürfelte Gruppe Ausländer, Nicht-Christen und Durchreisender an unserem langen Tisch.

Schon 20 Bücher veröffentlicht

Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren. Nach einer Buchhändlerlehre zog sie mit 21 nach Paris, wo sie ihre ersten, bisher unveröffentlichten Romane schrieb. Den Durchbruch als Schriftstellerin schaffte sie mit «Die Putzfraueninsel», weitere Bestseller wie «Schlampenyoga» folgten, dieses Jahr veröffentlichte sie ihr 20. Buch, «Land der Söhne» im Nagel & Kimche Verlag. Moser war zweimal verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Seit 2015 lebt sie in den USA in Santa Fe und San Francisco. 

Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren. Nach einer Buchhändlerlehre zog sie mit 21 nach Paris, wo sie ihre ersten, bisher unveröffentlichten Romane schrieb. Den Durchbruch als Schriftstellerin schaffte sie mit «Die Putzfraueninsel», weitere Bestseller wie «Schlampenyoga» folgten, dieses Jahr veröffentlichte sie ihr 20. Buch, «Land der Söhne» im Nagel & Kimche Verlag. Moser war zweimal verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Seit 2015 lebt sie in den USA in Santa Fe und San Francisco. 

Zurück in der Schweiz verfiel ich vorübergehend der Wahnvorstellung, ich könne es richtig beziehungsweise allen recht machen. Im Nachhinein sind die Feiern, die von aussen am «richtigsten» aussahen die, die am wenigsten den eigentlichen Sinn von Weihnachten – dem Fest der Liebe – erfüllten. Doch jede Fassade stürzt einmal ein, das liegt in ihrer Natur. So auch meine. Die ersten Weihnachten nach der Scheidung waren anstrengend und angestrengt, für alle Beteiligten. Doch dann hörte ich einen Sohn den anderen ermahnen: «Du weisst doch, wie wichtig Weihnachten für Mama ist!» Und ich wachte auf. Weihnachten ist für euch, dachte ich. Nicht für mich!

Inhalt wichtiger als Form

Das war das erste Jahr, in dem ich allein nach Santa Fe flog. Und in der Masse aufging, Teil dieser Stadt wurde, die auf der Strasse feierte. Und seither hat diese Art, Weihnachten zu feiern, eine besondere Bedeutung. Doch eine Woche vor Weihnachten rufe ich meinen Sohn wieder an: «Du, von wegen stressfrei ...» Victors Gesundheitszustand hat sich verschlechtert, die Ärzte haben ihm die Reise nach Santa Fe verboten. Wir werden also in San Francisco feiern, verschieben das Familientreffen zweitausend Kilometer nach Westen, buchen Flüge und Züge um, die Koffer werden für ein milderes Klima umgepackt. Ich bewundere die Gelassenheit, mit der mein Sohn diese Änderungen in letzter Minute hinnimmt. Vielleicht hat ihn dies seine traditionsarme, sich ständig verändernde Kindheit gelehrt? «Das Motto ist ‹stressfrei›», erinnert er mich. Mit Weihnachten ist es wohl wie mit allem im Leben: Der Inhalt ist wichtiger als die Form.

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