Stand-up-Komiker Gabriel Vetter im Interview
«Ich wurde Vater, bevor es cool war»

Er ist ein gefeierter Slam-Poet, Autor, Kabarettist, Satiriker. Nun macht Gabriel Vetter Stand-up-Comedy. Ein Gespräch über Vaterschaft, existenzielle Fragen und absurde Debatten.
Publiziert: 25.09.2016 um 21:10 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 18:26 Uhr
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«Satire ist halt auch nur ein Job»: Gabriel Vetter.
Foto: Miriam Kuenzli
Adrian Meyer (Interview) und Miriam Künzli (Fotos)

Herr Vetter, Sie leben derzeit in Oslo. Warum verbrachten Sie Ihre Sommerferien in Basel und Stein am Rhein?
Gabriel Vetter: In Basel wohnen die meisten Freunde. In Stein am Rhein lebte meine Mutter. Seit ich oft im Ausland bin, hege ich für die Schweiz doch so etwas wie Heimatgefühle. Vor Norwegen war ich häufig in Deutschland oder Italien. Mein Sohn wurde vor zwei Jahren in Schweden geboren. Dort habe ich ein halbes Jahr Vaterschaftsurlaub gemacht. Ich wurde übrigens Vater, bevor es cool war.

Plötzlich will jeder Papi-Zeit.
Dass wir darüber überhaupt diskutieren müssen! Die Schweiz gewährt einen Tag Vaterschaftsurlaub. Einen einzigen Tag – ein Witz! Die Norweger haben ein Jahr Elternzeit. In der Schweiz denkt man, skandinavische Männer ejakulieren direkt in den Staatsapparat. Aber wer muss seine Kinder mit drei Monaten in die Krippe schmeissen, weil die Wirtschaft rumheult, man könne sich keine längere Elternzeit leisten? Die Schweizer.

Sie hatten das Privileg, Ihren Sohn bei sich zu haben.
Das war wahnsinnig wichtig. Die ersten Monate sind so stressig. Zusammen das Kind kennenzulernen, tut einer Beziehung gut. Klar hat es zur Mutter zu Beginn eine engere Bindung. Als Mann kann ich ja nicht stillen. Aber bei der Papi-Zeit geht es ja nicht nur um die Väter. Sondern darum, die Mütter zu entlasten, indem man die Arbeit teilt.

Ist Ihr Sohn ein guter Ideen-Lieferant?
Logisch. Aber ich wollte ihn nicht gleich für Gags verbraten. Wenn Männer Väter werden, meinen sie stets, der ganzen Welt erzählen zu müssen, was sie durchmachen.

Sie pendeln zwischen Norwegen und der Schweiz. Was bedeutet für Sie Heimat?
Es hat viel mit Freunden zu tun und mit Sprache. Wenn ich Ostschweizer Dialekt höre, fühle ich mich daheim. In Stein am Rhein empfinde ich eine angenehme Ruhe. Ich weiss nicht, ob das gesund ist.

Welches ist Ihr Lieblingswort in Mundart?
Komedi mag ich: «S’ Rösli hett e Komedi mit ihrem Chnü.» Aber ich will eigentlich weg vom Image als Schweiz-Flüsterer, von Themen wie Rivella rot, Cervelat, Swissminiature oder direkter Demokratie. Das haben wir jetzt durchgespielt.

Sie waren Slam-Poet, Kabarettist, Satiriker, jetzt machen Sie Stand-up. Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
Ich weiss es immer noch nicht. Autor vielleicht? Eigentlich ist es mir egal.

Stand-up-Comedy hat in der Schweizer Kleinkunst-Szene wenig Prestige. Warum tun Sie sich das an?
Im Moment halte ich Stand-up für die interessanteste Form, um auf der Bühne zu stehen. Seit einigen Jahren höre ich fast nur Stand-up aus den USA und Grossbritannien. Louis C.K., Mitch Hedberg, Hazel Brugger, Maria Bamford oder Daniel Kitson.

Britische und US-Komiker machen die härtesten Witze. Warum sind Schweizer Komiker so brav?
Weil wir konsensorientierter sind als die Angelsachsen. Wir sind uns derben Humor einfach noch nicht gewohnt. Ich frage mich trotzdem, warum man sich nicht traut. Die Hauptsache ist doch, der Witz ist gut.

Was ist eine gute Pointe?
Wenn alle lachen, aber niemand weiss so richtig, warum. Und das zu einem Zeitpunkt, den niemand erahnt.

Bald sendet SRF 1 am Sonntagabend Kurt Aeschbacher statt Giacobbo/Müller. Was sagt das aus über den Stellenwert des Schweizer Humors?
Vielleicht ist Aeschbacher ja die Weiterführung der Schweizer Satire mit anderen Mitteln. Keine Ahnung, ich kenne die Pläne der Verantwortlichen nicht. Aber Mut für Neues war ja bislang nicht unbedingt die Kernkompetenz des SRF-Hauptprogramms.

Für junge Kabarettisten war «Giacobbo/Müller» ein wichtiges Sprungbrett.
Viele meiner Auftritte habe ich dieser Sendung zu verdanken. Viktor Giacobbo war einer der Ersten, der sich Poetry-Slams in irgendwelchen Chnellen anschaute. Das hinterlässt eine Lücke, klar.

Sie haben über Twitter erfahren, dass Ihre Web-Serie «Güsel. Die Abfalldetektive» auf SRF nicht fortgesetzt wird. Sind Sie hässig auf das Schweizer Fernsehen?
Ach, ich fand es einfach eigenartig. Klar, eine dritte Staffel war nicht geplant. Es war auch keine zweite Staffel geplant. Die kam einfach, weil die erste so gut war.

Sie sind auf Twitter aktiv. Testen Sie dort Ihre Witze?
Manchmal. Aber ich halte Twitter für eine überschätzte Filterblase – für gelangweilte Menschen, die sich viel zu wichtig nehmen. Darum pöble ich dort mitunter gerne herum.

Vetter verarbeitet existenzielle Fragen zu Komik.
Foto: Miriam Kuenzli

Auf Twitter wird alles ständig verulkt. Erschwert dieser Instant-Humor den Job des Satirikers?
Natürlich, es ist ein Grund, warum Sendungen wie «Giacobbo/Müller» nicht mehr so gut funktionieren. Weil in den ersten 15 Minuten nach politischen oder gesellschaftlichen -Ereignissen alle Punchlines auf Social Media durch sind. Am nächsten Tag siehst du mit solchen Witzen alt aus. Darum werden im Stand-up heute mehr Geschichten erzählt über grundsätzliche Konflikte. Der neue -König der US-Late-Night ist der Brite John Oliver. Weil er sich eine halbe Stunde Zeit nimmt, um einem Thema auf den Grund zu gehen.

Welche grossen Themen behandeln Sie in Ihrem neuen Programm «Hobby»?
Das klingt jetzt voll Hippie-mässig, aber vor allem die Fragen: Was ist ein gutes Leben? Was ist wichtig? Was ist mein Sinn?

Warum sind Sie auf der Welt?
Ich versuche, niemanden grundlos zu verletzen. Gopf, ich rede ja wie ein Pfarrer! Aber es ist halt so. Die Frage ist: Wem nütze ich? Dieser Moment zum Beispiel, als ich zum ersten Mal merkte, dass mich mein Kind wirklich braucht. Weil es nicht schlafen kann, wenn ich nicht bei ihm bin. Das ist so krass. Ich erfülle tatsächlich einen Zweck. Diese Erkenntnis ist uralt, und jeder hat sie, der ein Kind bekommt. Aber ohne Sohn wäre ich einfach ein weisser, heterosexueller Schweizer Mann, der sich durch die Ressourcen der Welt konsumiert. Gut, jetzt bin ich Vater eines Kindes, das zu einem weissen, schweizerisch-schwedischen Mann heranwächst und sich durch die Ressourcen der Welt konsumiert. Es ist vertrackt.

Das klingt sehr existenziell.
Die grossen Fragen bieten eine gute Ausgangslage. Vor allem im Kontext der heutigen Mediengesellschaft. Bei vielen Debatten geht es nur noch um die dialektische Rechtfertigung der eigenen Position. Und nicht um die Lösung von Problemen. Jeder liest bloss noch Artikel von Menschen mit der eigenen Weltanschauung. Das ist reiner Narzissmus.

Wie verarbeiten Sie diese ernsthaften Themen zu einer lustigen Nummer?
In einer Szene lasse ich das grosse Weltgeschehen auf einen sehr privaten Moment prallen. Ich sitze auf dem WC mit dem Smartphone in der Hand. Und dann passiert ein Terroranschlag. Ich verfolge das live auf dem Handy mit und muss ja trotzdem. Was macht man in so einem Moment? Ich muss mich rechtfertigen, mein privates Ding weiter durchzuziehen, obwohl Menschen sterben. Das hält man kaum aus.

Es scheint, als drehten alle durch vor Angst. Dabei haben wir keine existenziellen Probleme im Land. Was ist da los?
Drehen wir wirklich durch? Oder verbringen wir zu viel Zeit auf Facebook? Uns ist einfach langweilig. Wir haben zu viel Geld, zu viel Zeit, zu viele Synapsen. Wir machen uns ständig so viele Gedanken über uns selber und unsere Selbstdarstellung. Und auf einmal wird alles als Beleidigung aufgefasst. Alles ist ironisch, aber niemand lacht mehr über sich selbst. Chillt doch einfach alle mal!

Gabriel Vetter: «Alles ist ironisch, aber niemand lacht mehr über sich selbst.»
Foto: Miriam Kuenzli

Ist es notwendig, über Politiker wie Andreas Glarner Witze zu machen?
Natürlich.

Sie haben einen Witz über Glarner gemacht: «Dass Andy Glarner die Pressefreiheit unterdrückt – okay. Ich als Satiriker finde es aber fast schlimmer, dass er was mit Ziegen haben soll.» Er drohte, Sie anzuzeigen.
Er sagte, wenn ich mich entschuldige, würde er es nicht tun. Ich habe mich selbstverständlich nicht entschuldigt. Passiert ist nichts. Lustig fand ich, dass er sich über den Ziegen-Teil aufregte und nicht über den Vorwurf, die Pressefreiheit zu unterdrücken. Das sagt viel über sein Selbstbild aus.

Ist das Feindbild SVP nicht langweilig geworden für einen Satiriker?
Man kann Verhaltensauffällige einfach gut karikieren. Und die sind halt oft in der SVP. Wenn ich Witze über die SP mache, bekomme ich trotzdem Mails von SVPlern, die klagen, ich würde nur SVP-Witze machen.

Wie verhindern Sie, als Satiriker politisch vorhersehbar zu werden?
Das ist schwierig. Man darf nicht in Rituale verfallen. Satire ist halt auch nur ein Job. Darum muss man seine eigenen Positionen stets hinterfragen. Und für alle Seiten offen bleiben. Ich bin wahnsinnig gern Teil des politischen Diskurses. Das Schlimmste ist doch, wenn man sich so stark in etwas verbissen hat, dass man selber zu einer Karikatur wird.

So wie Andreas Thiel? Oder finden Sie, er werde von der Kulturszene gemobbt?
Natürlich bekommt er weniger Auftritte. Das kann jedem passieren, der mal ein Scheiss-Programm hat. Sein neustes habe ich noch nicht gesehen. Aber als Satiriker schätze ich ihn, er hat der Kleinkunstszene gutgetan. Sein Koran-Ding ist eine andere Geschichte.

Worüber sollte man mehr Witze machen?
Vielleicht über Kinder? Und wie anstrengend die manchmal sind?

Ich dachte, Sie haben ein lustiges Kind.
Und wie! Er ist der Beste. Er stiehlt mir ständig die Show.

Gabriel Vetter (33) verbringt seine Jugend in der Schaffhauser Provinz in Beggingen. Er studiert Jura in Basel und Theaterwissenschaften und Anglistik in Bern. Das bricht er alles ab. Nach ersten Gehversuchen im Vortragswettbewerb Poetry-Slam gewinnt er 2004 die deutschsprachigen Meisterschaften in dieser Disziplin und 2006 den Kabarett-Preis Salzburger Stier. Vetter ist Komiker, Kabarettist, Theater-Autor, Produzent einer Comedy-Serie («Güsel») und Satiriker («Vetters Töne», SRF 1). Mit seinem zweijährigen Sohn und der Freundin lebt er in Oslo. Mit seinem Stand-up-Programm «Hobby» ist er ab Dezember auf Tournee. Infos: www.drehundangel.ch

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