«Es ist zehrend! Manchmal möchte ich einfach aufhören»
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Angélique Beldner zu Rassismus:«Es ist zehrend! Manchmal möchte ich einfach aufhören»

SRF-Moderatorin Angélique Beldner zur Debatte um Wokeness und kulturelle Aneignung
«Mein Leben vorher war einfacher»

SRF-Moderatorin Angélique Beldner spricht im Interview mit SonntagsBlick über die Debatte um kulturelle Aneignung, Wokeness und Alltagsrasissmus und wie ihre beiden Söhnen mit diesen Themen umgehen.
Publiziert: 04.12.2022 um 00:40 Uhr
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Aktualisiert: 05.12.2022 um 09:20 Uhr
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SRF-Moderatorin Angélique Beldner sieht die Debatte um kulturelle Aneignung und Wokeness als «logische Weiterentwicklung der ‹Black Lives Matter›-Bewegung von 2020».
Foto: Nathalie Taiana
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Patricia BroderRedaktorin People

Es sind die grossen gesellschaftspolitischen Themen dieses Jahr: die Debatte um Wokeness, kulturelle Aneignung und Rassismus im Alltag. Die Winterthurer Politikerin und Fussballspielerin Sarah Akanji (29) gab kürzlich ihren Rücktritt aus der Politik bekannt. Grund für ihren Rückzug seien die stetigen rassistischen Angriffe. Ein Problem, das auch SRF-Moderatorin Angélique Beldner (46) kennt. Die Moderatorin von «1 gegen 100»- und «Tagesschau» hat sich im Sommer 2020 im Zuge der «Black Lives Matter»-Bewegung intensiv mit Rassismus und ihrer eigenen Herkunft auseinandergesetzt und mit dem Schriftsteller Martin R. Dean (67) das Buch «Der Sommer, in dem ich Schwarz wurde» veröffentlicht. Im Gespräch verrät die Bernerin, was sich punkto Rassismus in den vergangenen beiden Jahren verändert hat, wie ihre beiden Söhne die Problematik erleben und was sie von der aktuellen Wokeness-Debatte hält.

Frau Beldner, nach der hitzigen Diskussion um Winnetou und die Berner Reggae-Band Lauwarm mit ihren Rastazöpfen hat die Debatte um kulturelle Aneignung dieses Jahr in der Schweiz ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Wie nehmen Sie die Debatte wahr?
Angélique Beldner: Ich glaube, sie ist eine logische Weiterentwicklung der «Black Lives Matter»-Bewegung von 2020. Seit jenem Sommer ist man für diese Themen sensibilisierter. Vorher wären solche Diskussionen überhaupt nicht möglich gewesen. Doch nun hat man angefangen, sich damit auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren. Das finde ich sehr positiv, auch wenn die Debatte manchmal gehässig wird. Aber wir reden miteinander, und das bringt uns als Gesellschaft weiter.

Und nicht nur beim Rassismus findet eine Sensibilisierung statt, sondern auch in Sachen Sexismus, Alter und Gender.
Ja, genau – und das ist toll. Medien etwa sind heutzutage bemüht, mehr Frauen als Expertinnen zu befragen, und das schafft mehr Sichtbarkeit. Durch die Sichtbarkeit entsteht wiederum mehr Sensibilität, und uns allen wird bewusst, dass es genauso gute Expertinnen wie Experten gibt.

Was tut Ihnen persönlich mehr weh, rassistische oder sexistische Äusserungen?
Grundsätzlich kann ich sagen: Die sexistische Äusserung kann ich mit der Hälfte der Menschheit teilen, denn fast jede Frau kennt solche Situationen und Sprüche. Bei rassistischen Angriffen trifft es hingegen eine ganz andere Ebene. Dort bin ich immer in der Minderheit und muss der Mehrheit erklären, warum etwas ein Problem ist. Besonders gemein wird es, wenn eine sexistische mit einer rassistischen Äusserung gekoppelt ist. Das passiert leider auch oft.

Sie haben im Sommer 2020 entschieden, sich intensiv mit Rassismus auseinanderzusetzen. Was hat sich seither für Sie verändert?
Für mich hat sich vor allem verändert, dass ich mich überhaupt zu diesem Thema äussere. Das ist sehr, sehr kräftezehrend. Ich verstehe jede Person of Color, die das bewusst nicht macht. Es ist anstrengend, man muss sich exponieren, sich erklären, und man wird angegriffen. Mein Leben vorher war einfacher. Ich konnte mit Scheuklappen durchs Leben gehen und so tun, als würde ich selber nichts bemerken. Doch diese Haltung hat auch nichts geändert – und ich möchte ja, dass sich etwas ändert. Also muss ich reden.

Wie steht die Schweiz heute punkto Rassismus da?
Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Nur schon deshalb, weil wir uns der Problematik bewusster sind als früher. Denn Rassismus geht uns alle an. Die meisten von uns wollen doch in einer Gesellschaft leben, in der wir uns auf Augenhöhe begegnen können, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Religion und so weiter. Doch wenn wir das wollen, muss auch jeder und jede von uns etwas dafür tun. Und es gibt noch viel zu tun.

In der Debatte um Wokeness und kulturelle Aneignung geht es auch darum, dass man dunkelhäutige Frauen eben nicht mehr «exotisch» nennt oder die Ureinwohner der USA nicht mehr als Indianer bezeichnet. Warum sind Begrifflichkeiten so wichtig?
Vorweg ist es mir wichtig, zu sagen: Ich kann gut nachvollziehen, dass einen das erst mal vor den Kopf stösst und irritiert, weil man sich bisher vielleicht keine Gedanken zu diesen Begrifflichkeiten gemacht hat. Ich finde es aber auch wichtig, dass wir akzeptieren, dass eben auch Begriffe verletzen können. Wenn mich eine Person als «exotisch» bezeichnet, sagt sie ja damit, dass ich offenbar etwas «Ausgefallenes» und «Ungewöhnliches» bin. Das mag vielleicht sogar positiv gemeint sein. Doch dieser Stempel, den man da aufgedrückt bekommt, kann mit grossen Nachteilen verbunden sein – etwa bei der Stellen- oder Wohnungssuche. Ich fände es schön, wenn sich eine Person überlegt, was es für eine Bedeutung hat, wenn sie jemanden als «exotisch» taxiert, und was es für Folgen haben kann. Es gibt viele Begriffe, die heute aus guten Gründen nicht mehr verwendet werden sollten, die früher vielleicht als unproblematisch galten. Aber natürlich muss auch da erst mal ein Verständnis geschaffen werden. Sprache muss man aushandeln. Das ist ein Prozess.

Sie sagen ja von sich selber, Sie seien eine typische Schweizerin – was heisst das?
Es heisst, dass ich in einem schweizerischen Haus gross geworden, schweizerisch erzogen worden bin. Doch mittlerweile würde ich auch sagen, wir müssen neu definieren, was «typisch schweizerisch» heisst. Denn unsere Gesellschaft verändert sich, und wir sollten uns von unseren stereotypisierten Bildern im Kopf lösen.

Sie wuchsen in einer weissen Familie in der Schweiz auf. Haben Ihnen schwarze Vorbilder gefehlt?
Und wie! Mein Vorbild war Heidi, weil sie immerhin nicht blonde glatte Haare hatte, sondern einen Wuschelkopf. Der kam meinen Haaren noch am nächsten. Etwas Ähnlicheres als das Heidi gab es in meiner Kindheit nicht (lacht). Vielleicht noch Jim Knopf, aber der war halt ein Junge. Ich habe die «Heidi»-Serie als Kind geliebt und sie mir immer im Fernsehen angeschaut. Als sie eingestellt wurde, schrieb ich SRF sogar einen Brief und erklärte, dass ich mir ganz fest wünschen würde, dass das Heidi wieder zurückkomme. Als die Serie schliesslich wieder ausgestrahlt wurde, war ich natürlich überzeugt, dass das meines Briefs wegen geschah (lacht).

Heute ist das SRF Ihr Arbeitgeber, obwohl Sie bei Ihrer ersten Bewerbung aufgrund Ihrer Hautfarbe eine Abfuhr erhielten. Hatten Sie da später keine Ressentiments?
Nein. Die Leute, die mich später angestellt haben, sind ja nicht dieselben, die mir erst einen Korb gaben, und ich fand das damals – aus heutiger Sicht erschreckend – auch nicht schlimm, sondern verständlich. Denn es war mein Alltag, das war nichts Besonderes. Im Gegenteil: Eigentlich hätte es mich eher erstaunt, wenn man mich mit meiner Hautfarbe genommen hätte.

Sie haben die ersten 40 Jahre Ihres Lebens nicht über Rassismus geredet, heute reden Sie viel darüber. Wie findet die Diskussion heute mit Ihren beiden Söhnen statt?
Meine Kinder wachsen ganz anders damit auf. Das hat zum Teil aber auch damit zu tun, dass sie generell als weiss gelesen werden. Deshalb haben sie auch diese Probleme nicht. Nur einmal kam mein jüngerer Sohn, der etwas dunkler ist, nach Hause und fragte mich: «Mami, jemand sagte mir: Du bist schwarz wie eine Tafel Schokolade. Ist das rassistisch?» Ich fragte ihn, wie es sich für ihn angefühlt habe. Dann meinte er: «Ich denke, es war rassistisch gemeint. Denn der Junge sagte es mir, als er sehr wütend auf mich war.»

Was wünschen Sie im Umgang mit Rassismus für das nächste Jahr?
Dass die Mehrheit der Leute begreift, dass Rassismus nicht das Problem von Einzelnen ist, sondern ein Gesellschaftsproblem – und dass wir nur gemeinsam etwas verändern können. Das Thema beschäftigt nach wie vor sehr. Das merke ich nur schon anhand der vielen Anfragen für Buch-Lesungen oder Moderationsaufträge zu dieser Thematik. Zudem, und das freut mich ganz besonders, erhalte ich viele Interviewanfragen für Matura- oder andere Schul-Abschlussarbeiten. Ich spüre stark, wie eine junge, neue Generation heranwächst, die schon sehr viel offener mit dem Thema umgeht und sensibilisierter ist. Das freut mich und stimmt mich zuversichtlich für die Zukunft.

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