Es ist das TV-Highlight des Jahres: SRF 1 erzählt am Sonntag und Montag in der Doku-Fiktion «Dynastie Knie» die bewegendsten Geschichten aus 100 Jahren Nationalcircus. Dabei klammert der Sender auch das schwierigste Kapitel des Unternehmens nicht aus – den Überlebenskampf im Zweiten Weltkrieg, als der Zirkus in seiner Existenz bedroht war. Und angeblich von den Nazis auf eine schwarze Liste gesetzt wurde.
Wie viel davon ist wahr? Während Rolf Knie (70) in seinem Musical Nazi-Personal und wehende Hakenkreuzfahnen auffahren lässt, hält sich SRF zurück. Fakt ist: Anlässlich ihres Programms zum Thema Olympiade im Jahr 1938 hatten die Knies den Mut, unter all den Flaggen keine Fahnen mit Hakenkreuz zu hissen. Das erzürnte das Regime.
Gesandter machte Druck
Der fiktionale Teil des Films zeigt, wie der deutsche Gesandte Otto Carl Köcher (1884–1945) Familienoberhaupt Margrit Knie-Lippuner (1897–1974) in ihrem Wohnwagen besuchte. Sie klagte dem Diplomaten: «Wegen des Führers dürfen wir keine deutschen Artisten mehr verpflichten.» Köcher macht ihr den Vorschlag, ihre Söhne in Berlin auftreten zu lassen. «So ein Auftritt vor dem Führer würde sicher helfen.»
Wie authentisch ist das? «Die Figur des Gesandten ist historisch verbürgt, und er hat wegen seiner Schweizer Mutter wohl sogar Schweizerdeutsch verstanden», erklärt Knie-Autor Domenico Blass (53). «Das Gespräch mit Margrit wurde natürlich nicht protokolliert, aber dessen Inhalt hat man sich in der Familie Knie von Generation zu Generation so weitererzählt.»
Fredy Knie junior (73) erzählt im Film, dass sein Vater Fredy senior (1920–2003) und sein Onkel Rolf (1921–1997) 1943 nach Berlin fuhren – trotz Bedenken der Mutter. Denn Berlin wurde von den Alliierten bombardiert. Fredy trat mit seinen Pferden in der Scala auf, Onkel Rolf mit den Elefanten im Wintergarten. Eindrücklich wird erklärt, wie sich die Elefanten vor den Explosionen fürchteten – und die Brüder die Hauptstadt im Bombenhagel fluchtartig verlassen mussten. Auch hier bleibt SRF vorsichtig: «Wir erzählen die Auftritte der beiden Knie-Söhne im Kriegs-Berlin aus der Perspektive ihrer besorgten Mutter Margrit und weil sie damals zu Hause in Rapperswil geblieben war», erklärt Autor Blass. «Und natürlich wäre die filmische Darstellung der Auftritte auch sehr aufwendig gewesen.»
Kniefall vor Hitler historisch unsicher
Rolf Knie junior sagte, die beiden seien vor Hitler aufgetreten, sein Vater habe Hitler aber den Handschlag verweigert. Nur: Der Führer, so belegen es Historiker, bestritt 1943 keine öffentlichen Auftritte mehr.
Kam der Knie wirklich auf eine Boykott-Liste des Regimes? Die Historikerin Eva Schumacher, die SRF beratend zur Seite stand, sagt im Film: «Das ist eine Geschichte, die man sich in der Familie erzählt, die auch in den Programmheften immer wieder niedergeschrieben wurde.» Inwiefern die Knies auf eine schwarze Liste gekommen seien, könne man nicht mehr verifizieren. «Aber es war klar, dass Arbeitskräfte aus dem Ausland nicht einfach so erhältlich waren.»
Vermutlich waren auch ökonomische Gründe ausschlaggebend dafür, dass die Knie-Brüder nach Berlin fuhren. Die Situation war für den Zirkus schwierig: Das Publikum bestand hauptsächlich noch aus Soldaten, die für einen Franken Eintrittsgeld Ablenkung erhielten. Die Raubtiere, die sieben Kilo Fleisch pro Tag verschlangen, mussten getötet werden. Und viele der Pferde wurden als Transport-Rösser vom Militär eingezogen.
Klar ist: Der Überlebenskampf des Circus Knie wird im Zweiteiler eindrücklich dokumentiert. «Wir mussten überleben. Es war schwierig», gibt Fredy Knie junior zu bedenken.
Wie gross der Kniefall der Knie-Familie vor den Nazis war, wird wohl nie ganz geklärt. Historikerin Schumacher formuliert es so: «Es ist ein dunkles Kapitel. Eines, über das die Knies nicht gern sprechen wollten, weil dies vom Schweizer Publikum kaum goutiert worden wäre.»