Auch wenn die Netflix-Doku-Serie «Tiger King» durch ihre wahnwitzige Geschichte und unterhaltsame Erzählweise viel Spass macht: Der Hintergrund der Serie ist ernst. Denn der TV-Hit wirft nicht nur einen Blick auf das unglaubliche Leben von Privatzoo-Besitzer Joseph Maldonado-Passage (57) alias Joe Exotic, sondern beleuchtet auch, wie verbreitet die Zucht von Grosskatzen in der USA ist. Das Wohlergehen der Tiere steht dabei an zweiter Stelle, Löwen und Tiger werden als Geldmaschinen missbraucht.
So zeigt ein Tierbesitzer in den ersten fünf Minuten der Serie dem Team rund um Filmemacher Eric Goode (62) einen Schneeleoparden im Kofferraum seines Autos. Das Tier liegt in einem kleinen Käfig, der Hitze der Südstaaten ausgesetzt.
USA sei wie der wilde Westen
In der USA seien solche Bedingungen leider oft Alltag, sagt Marc Zihlmann (39), Betriebsleiter des Berner Tierrettungszoos Sikypark: «Ich habe seit 23 Jahren mit Raubkatzen zu tun und muss leider sagen: Mich hat nichts in ‹Tiger King› überrascht.» Die USA sei was Tierrechte angeht immer noch wie der wilde Westen. «Es gibt viel zu wenige Regelungen, der Profit wird in den Vordergrund gestellt. Die Grauzone ist riesig.»
Besonders bei den Szenen mit den sogenannten Ligern, Hybrid-Züchtungen zwischen Tiger und Löwen, habe es ihm den Magen umgedreht: «So traurig es ist: Diese Tiere dürfte es eigentlich nicht geben. Die Mütter überleben die Geburt dieser Riesen nicht und die Kinder haben zahlreiche Gebrechen.»
In der Schweiz sind solche Züchtungen zum Glück streng untersagt. Überhaupt hätte Joe Exotic hierzulande einen schweren Stand, sagt der pensionierte Dompteur René Strickler. Strickler ist stolz darauf, jahrelang die artenreichste Raubtier-Gruppe Europas geführt zu haben. Der Solothurner stand beim Zirkus Knie oder dem Zirkus Knock in der Manege, führte Kunststücke mit schwarzen Panthern, Tigern und Braunbären vor.
Raubkatzen-Dressur als «Berufung»
«Meine Faszination für Raubkatzen begann schon als kleiner Bub», erzählt Strickler. «Auf dem Schulweg kam ich an dem Winterlager des Zirkus Knie in Rapperswil vorbei und sah dort die Tiger und Löwen. Mich interessierte immer: Wie ist es möglich, dass der Dompteur wieder heil aus dem Käfig herauskam. Das wollte ich auch können.»
Bald machte Strickler seinen Traum zu seinem Beruf. 1973 begann er in einem Privatzoo, Grosskatzen zu dressieren. «Eine Ausbildung gibt es dafür nicht. Es ist eine Berufung, entweder man kann es oder nicht», sagt der Dompteur. «Mit Mut alleine kommt man nicht weit, man muss die Tiere verstehen. Ich habe 40 Jahre lang mit Raubkatzen gearbeitet und habe noch alle Gliedmassen. Das ist wie eine Auszeichnung.»
«Tiger King» hat Strickler nicht gesehen. Doch auch er hat schon einige Horror-Storys aus seinem Business gehört: «Was in Amerika in vielen Privatzoos passiert ist furchtbar. Das ist pure Tierquälerei.» Das Tierschutzgesetz der Schweiz bezeichnet er hingegen als «eines der besten der Welt».
«Ich wäre froh gewesen, wenn sie nicht so gefährlich wären»
Doch wieso will man überhaupt eines der gefährlichsten Lebewesen der Welt besitzen? Ist es der Adrenalinstoss? Die Lust an der Gefahr? Strickler winkt ab: «Ich wäre eigentlich froh gewesen, wenn sie nicht so gefährlich wären. Mich hat die imposante Erscheinung zu diesen Kreaturen gezogen, ich wollte ihre Freundschaft gewinnen. Wenn sie einem ihr Vertrauen schenken, ist dass das Höchste der Gefühle.»
Diese Freundschaft kann aber auch schlimm enden. 1990 wurde Strickler von einer seiner Tigerdamen angefallen. Das Raubtier verbiss sich in seinem Bein, der Dompteur liegt danach dreieinhalb Monate im Krankenhaus. Seine Leidenschaft aufgeben wollte er trotzdem nie: «Die Tigerin konnte ja nichts dafür. Ich habe mich zu schnell bewegt, deshalb biss sie zu. Für sie war es ein Spiel, aber bei einem solchen Tier kann aus dem Spiel schnell ernst werden. Ich habe sie danach an einen Safaripark weitergegeben.» Bis ans Ende ihres Lebens habe er die Tigerdame aber besucht: «Das hat sie immer sehr gefreut. Tiger mögen es, wenn man sie unter dem Kinn streichelt.»
Inzwischen hat Strickler all seine Tiere in den Sikypark von Zihlmann gegeben. Zwar besucht er die Raubtiere noch, dressieren will er sie aber nicht mehr. «Man muss wissen, wann das Ende seiner Ära gekommen ist. Man kann nicht noch mit 90 mit Tigern zusammenarbeiten.»
Die Haltung von Raubkatzen ist in der Schweiz grundsätzlich erlaubt, jedoch mit sehr strengen Regeln verbunden. «Raubkatzen dürfen nur gehalten werden, wenn die entsprechende kantonale Haltebewilligung vorliegt», sagt Jascha Friedli, Sprecherin für das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Damit eine solche überhaupt erteilt wird, braucht man zuerst ein Fachgutachten, damit die Bewilligung geprüft wird. Das Fachgutachten muss belegen, dass die Haltung den Bedürfnissen des Tieres entsprechen würde. Dazu wird unter anderem die Grösse und die Einrichtung des Geheges geprüft.
Ausserdem ist eine Ausbildung als Tierpfleger notwendig. Auch für die Zucht gelten klare Regelungen: «Bei Zucht und Verkauf von Raubtierbabys muss das artspezifische Alter beachtet werden, ab dem Jungtiere selbständig sind und nicht mehr von der Mutter betreut werden.» Der Verkauf und Ankauf von Wildfängen ist nicht erlaubt. (klm)
Die Haltung von Raubkatzen ist in der Schweiz grundsätzlich erlaubt, jedoch mit sehr strengen Regeln verbunden. «Raubkatzen dürfen nur gehalten werden, wenn die entsprechende kantonale Haltebewilligung vorliegt», sagt Jascha Friedli, Sprecherin für das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Damit eine solche überhaupt erteilt wird, braucht man zuerst ein Fachgutachten, damit die Bewilligung geprüft wird. Das Fachgutachten muss belegen, dass die Haltung den Bedürfnissen des Tieres entsprechen würde. Dazu wird unter anderem die Grösse und die Einrichtung des Geheges geprüft.
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