Scorpions-Gitarrist Rudolf Schenker im Interview
«Die Welt braucht neue Ideen»

Mit «Wind of Change» schafften die Scorpions den Soundtrack zum Fall der Berliner Mauer. Scorpions-Gitarrist Rudi Schenker verrät im Interview, warum der Song heute aktueller denn je ist und wieso er auf Meditation schwört.
Publiziert: 19.07.2018 um 21:06 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:15 Uhr
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Rudolf Schenker hat 1965 den Grundstein für die Scorpions gelegt. Damals hiess die Band noch «Nameless».
Foto: Thomas Lohnes
Michel Imhof

BLICK: Sie kommen zum Moon & Stars auf die Piazza Grande nach Locarno. Wie gut kennen Sie das Tessin?
Rudi Schenker: Wir kennen die Schweiz natürlich sehr gut. Trotzdem gibt es immer noch Dinge zu entdecken. So auch im Tessin.

Ihre Abschiedstournee ist schon fünf Jahre her. Denken Sie nie ans Aufhören?
Gleich nach unserer Abschiedstournee bot uns MTV an, ein «MTV Unplugged» aufzunehmen. Das war ein Traum von uns, den wir nicht ablehnen konnten. Kurz darauf feierten wir das 50-Jahr-Jubiläum der Scorpions. Und durch soziale Medien haben wir eine ganz neue Generation von Fans dazugewonnen. Solange die Rolling Stones noch unterwegs sind, können wir das auch.

Welche Emotion haben Sie, wenn Sie heute auf der Bühne «Wind of Change» spielen?
Ich fühle die Verbindung und die Einigkeit der Menschen. Die Politik hat Probleme mit gewissen Ländern, wir haben kein Problem. Darum habe ich schon 1982 gesagt, dass wir als Scorpions in der Sowjetunion spielen müssen, vor dem Mauerfall. Wir waren eine der ersten Rockbands, die in Russland spielten, in Leningrad. Ein Freudenfest.

Seither ist viel passiert. Wie sehen Sie die Lage der Welt aktuell?
Unsere aktuelle Tour heisst «Crazy World Tour», weil wir der Meinung sind, dass momentan ein sehr negativer Wind bläst. Wir brauchen Ideen, wie die Menschen wieder näher zusammenrücken und der Wind in eine positive Richtung gedreht wird. Kein Land kann allein existieren, wir brauchen einander.

Bekommt «Wind of Change» mit US-Präsident Trump eine neue Bedeutung?
Ja, wir merken das bei unseren US-Konzerten. Teilweise haben wir den Song in den USA bei Konzerten weggelassen, weil die Reaktion anders war als im Rest der Welt. Das Thema ist vielleicht zu weit weg von den Amerikanern. Und letztes Mal haben plötzlich alle Leute im Madison Square Garden in New York laut mitgesungen.

Wie politisch sind die Scorpions?
Wir sind nicht politisch, wir sind menschlich. Wir wollen Denkanstösse geben, weil die Menschheit immer zwei Schritte vor- und einen zurückgeht. Aktuell geht sie wohl einen zurück. Durch die Technologie haben sich einige Fehler eingeschlichen, die man erst beim Rückwärtsgang genauer anschauen und analysieren kann. Das ist eigentlich ein optimaler Weg. 

Die Scorpions sind schon über 50 Jahre zusammen, eine Seltenheit. Was ist das Geheimnis Ihrer Band?
Die Liebe zur Musik. Schlager hat mich nie interessiert, ich war immer ein Fan von Rockmusik und habe nur Radiosender gehört, die Rock’n’Roll spielten. Ich war ein grosser Fan von Little Richard und Elvis Presley. Erst hatte mich aber das Fussballspielen mehr interessiert, da ich ein grosser Teamplayer bin und mein Ding nicht alleine durchziehen will. Dann kamen die Beatles und die Rolling Stones und ich wusste: Das will ich auch machen. Mit Freunden um die Welt touren. Und das ist das Geheimnis: Nur Leute aussuchen, mit denen man sich privat auch gut versteht.

Ist eine so lange Bandgeschichte heute überhaupt noch denkbar?
Die heutige Zeit ist sehr schnelllebig und passt zu Andy Warhols berühmter «15 Minuten Bekanntheit»-Theorie. Die Leute brauchen extreme Abwechslung, alles muss immer schneller gehen. Und es gibt Information im Überfluss. Deshalb setze ich schon seit jungen Jahren auf Meditation, das verhilft mir zu neuen Ideen.

Sie sind sehr spirituell. Woran glauben Sie?
An Gott und an den Menschen. Der Buddhismus ist mir von allen Religionen am liebsten, da er friedlich ist und er mir als Freigeist zuspricht. Zudem glaube ich an die richtige Chemie, mit der man sich umgeben sollte, um sein Leben so effektiv und so gut wie möglich zu gestalten.

Sie wohnen immer noch bei Hannover. Hat es Sie nie weggezogen?
Doch, ich hatte mal ein Haus in Florida. Aber da habe ich gemerkt, dass meine Freunde mir fehlen und ich das Haus wegen der Tourneen eh nie nutzen konnte. In Los Angeles wollte ich übrigens nie wohnen, weil man dort in den Menschen, die so emotional ihre Ziele verfolgen, untergeht. Der Mensch braucht eine Ruhestätte, um sich vom ganzen Trubel zu erholen und das ist da, wo man geboren oder aufgewachsen ist. Dort hat man den normalen Status des Seins, und das ist wichtig, um nicht abzuheben.

Mit Ihrer 35 Jahre jüngeren Freundin haben Sie einen dreijährigen Sohn. Sind die beiden auch auf der Tour dabei?
Ja. Der Kleine kann viel vom flexiblen Tourleben lernen und wächst so sehr weltoffen auf. Aus diesen Erfahrungen kann er dann schauen, was er mit seiner Zukunft machen will. Zudem ist es natürlich schön, meine Liebsten bei mir zu haben. Weil unser Sänger Klaus sich wegen der Stimme schonen muss, haben wir jetzt auf Tour auch viel mehr freie Tage und somit mehr Zeit für die Familie.

Sie sind gerade in Lissabon. Was machen Sie mit Ihrer freien Zeit dort?
Lustigerweise sind wir gerade im gleichen Hotel wie unsere Rock-Kollegen von Kiss, die spielen heute ihr Konzert, wir morgen. Klar, dass man sich da trifft und alte Erinnerungen austauscht. Witzig: Kiss hatte bei einem Interview mit der «Bravo» den Redaktor nach Tipps für eine Vorgruppe gefragt. Aus allen Vorschlägen wählten sie schliesslich uns aus, das war toll und hat uns damals sehr geholfen.

Soundtrack zum Mauerfall

Der am 31. August 1948 in Hildesheim (D) geborene Gitarrist Rudolf (Rudi) Schenker gründete 1965 in Hannover (D) die Scorpions. Erst in Europa und Nordamerika unterwegs, sorgte die Band in den Achtzigerjahren mit Russland-Konzerten und dem Song «Wind of Change» für eine Annäherung von Ost und West. Der 1989 komponierte und 1991 als Single veröffentlichte Hit gilt bis heute als Soundtrack zum Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung.

Der am 31. August 1948 in Hildesheim (D) geborene Gitarrist Rudolf (Rudi) Schenker gründete 1965 in Hannover (D) die Scorpions. Erst in Europa und Nordamerika unterwegs, sorgte die Band in den Achtzigerjahren mit Russland-Konzerten und dem Song «Wind of Change» für eine Annäherung von Ost und West. Der 1989 komponierte und 1991 als Single veröffentlichte Hit gilt bis heute als Soundtrack zum Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung.

Was sind die Vorteile einer jüngeren Freundin?
Ganz einfach: Man wird nicht so schnell alt. Tatyana gibt mir immer neue Denkanstösse und neue Sichtweisen. Die Gefahr bei gleichaltrigen Paaren ist, dass man immer wieder dieselben Themen beredet und sich im Kreis dreht. Das sehe ich hier weniger. Die Inputs kriege ich auch von meinen Söhnen. Ich hatte einen kleinen Sohn am Anfang meiner Karriere und jetzt einen am Ende meiner Karriere. Zudem habe ich mittlerweile auch zwei Enkelkinder. Das bringt Spiel ins Leben.

Wie musikalisch sind Ihre Kinder?
Mein erster Sohn hatte Schlagzeug gespielt, war dann aber immer genervt wegen Streitereien in der Band, wer jetzt das Solo übernehmen darf. Bei meinem jüngsten Sohn merkt man die musikalische Ader sofort, er lernt liebend gern von unserem neuen Drummer, dem ehemaligen Motörhead-Mitglied Mikkey Dee, das Schlagzeugspielen. Jetzt macht er, egal wo wir gerade sind, seine Schlagzeugübungen. Auch in einem guten Restaurant (lacht). Mir ist aber wichtig, dass ich meine Kinder oder Enkel nie zu was zwinge oder auf eine Bahn lenke. Sie sollen selber rausfinden, was sie wollen. Womit wir wieder bei der Meditation wären.

Inwiefern?
Mit Meditation findet man heraus, wer man wirklich ist. Durch die sozialen Medien und Massenmedien wird oft ein Bild vorgegeben, das viele Leute anstreben. Dadurch wird der Weg zum eigenen Bewusstsein verwehrt. Die Welt ist so zerrissen, weil viele Menschen nicht das machen, was sie eigentlich machen könnten und wofür sie bestimmt sind.

Die Scorpions spielen am 21. Juli 2018 am Moon & Stars auf der Piazza Grande in Locarno. Tickets gibts bei Ticketcorner.

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