Ernst Ostertag (89) sitzt in seiner Wohnung im Zürcher Seefeld. Bücher über fremde Kulturen füllen die Regale, die Möbel stehen noch genau wie früher, als der Pensionär mit seiner grossen Liebe Röbi Rapp (1930–2018) durchs Leben schritt. Mit ihm kämpfte Ostertag unermüdlich für die Gleichstellung von Homosexuellen in der Schweiz. Ihr Aktivismus in der Zürcher Untergrundbewegung «Der Kreis» war von derart grosser Bedeutung, dass er im gleichnamigen Film von Stefan Haupt (59) 2014 verewigt wurde. Am kommenden Dienstag wird der Schwulenrechts-Vorkämpfer nun neunzigjährig.
Ein Tag, den er gerne mit der Liebe seines Lebens gefeiert hätte. Doch vor rund 17 Monaten, am 26. August 2018, entschied sich Rapp, mit dem er 62 Jahre seines Lebens teilte, nach schwerer Krankheit mit Exit freiwillig aus dem Leben zu scheiden. «Zurück bleibt ein tiefer Schmerz, der wohl nie enden wird», sagt der Hinterbliebene. «Einen Menschen, den man über eine so lange Zeit liebte, kann niemand ersetzen.» Noch heute kommen ihm Tränen, wenn er sich Bilder anschaut.
«Ein Paar seit 43 Jahren, rechtlos»
Gemeinsam waren Röbi und Ernst dabei, als die Polizei in den 1960er-Jahren systematisch Schwule registrierte und in den Achtzigerjahren die Aids-Epidemie ausbrach. Mit dem Transparent «Ein Paar seit 43 Jahren, rechtlos» kämpften sie 1999 für die eingetragene Partnerschaft. Mit Erfolg: Vier Jahre später waren sie das erste gleichgeschlechtliche Paar, das seine Liebe vor dem Standesamt im Kanton Zürich besiegeln konnte.
Trost findet Ostertag nun bei Giovanni Lanni (46), mit dem das Aktivistenpaar 15 Jahre lang eine Beziehung zu dritt führte. Seit Rapps Tod gehen die beiden zu zweit durchs Leben. «Es entwickelte sich eine tiefe, auch erotische Liebe», sagt der Hinterbliebene. Mit Lanni reiste Ostertag letztes Jahr nach Lanzarote, Island und Südfrankreich. Einzig die Wohnung teilen sie nicht, verbringen aber jedes Wochenende miteinander.
Wichtige eidgenössische Abstimmung am 9. Februar
Trotz Rapps Tod hat Ostertag nichts von seinem Aktivismus eingebüsst und steht auch heute noch mit aller Kraft für die Gleichstellung ein. «Der Kampf für die vollkommene Akzeptanz einer Minderheit endet nie. Es wird immer Leute geben, die Homosexualität unmoralisch finden», sagt er auch im Hinblick auf die Abstimmung vom 9. Februar. Dann kommt die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm vors Volk, die Homo- und Bisexuelle vor Diskriminierung schützen soll. «Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem auch wir als Minderheit mit einer jahrhundertelangen Geschichte von Ächtung und Verfolgung beschützt sein sollten. Das wird durch diese Gesetzgebung ermöglicht.»
Die neusten Berichte über Gewalt gegen Schwule schockieren Ostertag. In der letzten Silvesternacht wurden zwei Homosexuelle im Zürcher Niederdorf brutal zusammengeschlagen. «Es gab zwar auch früher Gewalt gegen uns, allerdings passierte die meist in Stricher-Kreisen und bestimmten Zonen wie Parkanlagen, in denen sich Männer für Spass trafen», sagt der Pensionär. Dass sich diese Gewalt jetzt auf andere Bereiche ausbreite, sei ein neues, erschreckendes Phänomen.
Feier für Ostertag im Theater am Neumarkt
Er glaube, dass mit der zunehmenden Thematisierung von Homosexualität auch die Kritik lauter werde. Schliesslich kannte er die Zeiten bestens, in denen das Thema zwar völlig tabu und verdrängt war, doch im Hintergrund als äusserst negativ galt. Homosexuelle verloren häufig ihre Arbeitsstelle und Wohnung. Das galt als «normal». «Bis ich mit Röbi Anfang der 1980er-Jahre zusammengezogen bin, liefen wir hinter- und nicht nebeneinander, um nicht als Paar aufzufallen.» Physische Gewalt erlebte er glücklicherweise nie, einmal habe ihnen ein junger Mann beim Spazieren Beleidigungen nachgerufen.
Eine Party zum Neunzigsten organisiert Ostertag nicht. An seinem Geburtstag wird er an einer Feier für Radiolegende Elisabeth Schnell (89) teilnehmen, die einen Tag nach ihm zur Welt kam. Trotzdem hat die LGBT-Community vorgesorgt. Zwölf Vereine organisieren im Theater am Neumarkt eine Feier zu Ehren des Vorkämpfers, an jenem Ort, wo die grossen Bälle des «Kreis» in den 1950er-Jahren stattfanden. Für Ostertag eine grosse Ehre. «Schön, dass so viele Menschen für mich dort zusammenkommen. Einzig Röbi wird mir für immer fehlen.»
Die Anti-Rassismus-Strafnorm soll künftig auch Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe stellen. Dagegen hat ein Komitee das Referendum ergriffen und über 70‘000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Das müssen Sie über das Referendum gegen «Zensur von Schwulen-Witzen» wissen.
Die Anti-Rassismus-Strafnorm soll künftig auch Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe stellen. Dagegen hat ein Komitee das Referendum ergriffen und über 70‘000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Das müssen Sie über das Referendum gegen «Zensur von Schwulen-Witzen» wissen.