Entschlossen führt sie Rambo aus dem Stall, umso zarter streicht sie dem kleinen Muni über den Kopf. Sonia Kälin (34) besucht ihren tierischen Nachwuchs auf dem Bauernhof ihres Bruders in Egg SZ, so oft es geht: «Er reicht mir vorläufig als Baby.» Die vierfache Schwingerkönigin ist frisch verheiratet, an eigenen Nachwuchs denkt sie zwar oft, doch das habe noch etwas Zeit. Die Sekundarlehrerin ist auch nach ihrem Rücktritt vom Sägemehl-Ring voll ausgelastet.
Die Disziplin kam erst später
Seit Juli ist sie Schiedsrichterin beim «Donnschtig-Jass». Kein einfacher Job, bei dem man einen klaren Kopf braucht und sich mit einer falschen Entscheidung rasch unbeliebt machen kann. «Ich bin streng, aber fair, so wie als Lehrerin auch», sagt Kälin. Als ihr eine der Hofkatzen um die Beine streicht, bleibt sie hart: «Sie will naschen, aber sie weiss, dass sie von mir nichts bekommt.» Disziplin, das sei etwas, was sie als Kind noch nicht gekannt habe. «Ich war ein fauler Schlauch», sagt sie und lacht.
Schwingen mit rot lackierten Fingernägeln
Gemeinsam mit ihren vier Geschwistern sei sie hier am Etzel mit Blick in die Ybriger Berge in einem Paradies aufgewachsen. Ein Ort, an dem man lieber draussen spielt, statt drinnen lernt. Durchgebissen hat sie sich trotzdem. «Meine Mutter sagte immer, du musst lesen, wenn du gescheit werden willst.» Und das wollte sie, den Bauernhof mit 20 Hektar Land und Vieh zu übernehmen, war für sie keine Option. «Als Frau ist das in diesem hügeligen Gelände kaum zu schaffen.» Ehrgeiz entwickelte Kälin, als sie mit 16 Jahren in den Schwingsport einstieg, auch als Frau mit rot lackierten Fingernägeln holte sie sich Respekt. «Ein bisschen provozieren darf man ja. Und Weiblichkeit ist kein Widerspruch zu Kampfgeist.»
Gegen einen Mann zu gewinnen sei unmöglich
Weil es nur wenige Sparingspartnerinnen für Kälin gab, trainierte sie oft mit Männern: «Aber gegen einen zu gewinnen, das ist biologisch unmöglich. Ausser er hat keine Erfahrung im Zweikampf.» Ihre Kollegen hätten sich jeweils ihren Kräften angepasst. «Dafür bin ich ihnen dankbar. Sie hätten mich locker in zwei Teile reissen können.» Umso mehr zeigt Kälin mentale Stärke, auch was die Liebe angeht. Ihr Mann, Stefan Halter (30), musste damals zwei Monate aufs erste Date warten. Das Eidgenössische 2016 stand vor der Tür: «Bis dahin wollte ich mich voll aufs Training konzentrieren.» Dann überraschte er sie doch, ihr Date schaute von der Tribüne heimlich zu: «Plötzlich stand Stefan vor mir und gratulierte. Dabei war ich total verschwitzt und hatte bestimmt einen knallroten Kopf.»
Rambo kann nicht für immer bleiben
An diesem Tag durfte sie als Schwingerkönigin auch die Eringer Kampfkuh Nina als Preis mit nach Hause nehmen, Schwinger bekommen in der Regel einen Muni. Das Gute an Nina: Sie hat schon dreimal gekalbert, darunter war auch Rambo. Die Geburt hat sie um Minuten verpasst: «Aber als er das erste Mal seinen klatschnassen Kopf gehoben hat, war ich dabei. Das sind intensive Momente, in denen mein Herz so richtig aufgeht.» Für immer kann Rambo nicht bleiben. Auf dem Hof leben zwölf Mutterzuchtkühe, wenn der Muni zweijährig ist, gehts zum Schlachter. «Das wird ein sehr trauriger Moment. Das war schon hart, als ich noch ein Kind war. Die eigenen Tiere habe ich nie essen können, da werde ich ausnahmsweise zur Vegetarierin.»
Es falle keinem Bauern leicht, seine Tiere wegzugeben. «Natürlich macht man sich oft Gedanken und fragt sich, ob das richtig ist. Wenn man davon leben muss, bleibt keine grosse Wahl.» Liebevoll krault Kälin den Hals von Rambo, er hat ein gutes Leben.