Sie war sechs Jahre alt, als sie mit ihrem Vater erstmals einen Film von Billy Wilder (1906–2002) sah. Und wusste sofort: Das will ich auch machen.
Heute ist Anne Walser 41 und gilt als momentan wichtigste Filmemacherin der Schweiz. Mit «Zwingli» ist soeben ihr neustes Werk im Kino angelaufen. Sechs Millionen Franken kostete das Historiendrama über den Zürcher Reformator, eine beachtliche Summe für Schweizer Verhältnisse. «Das Risiko in diesem Geschäft ist sehr hoch», sagt Walser. «Jeder neue Film könnte dein letzter gewesen sein.»
Millionen von Zuschauern
Die blonde Produzentin sitzt am Bürotisch in ihrer hellen Fünfzimmerwohnung in Zürich. An den Wänden stehen mächtige Gestelle, sie sind voll bepackt mit DVDs und Büchern. Über 30 Filme hat Walser mit Geschäftspartner Peter Reichenbach (64) und der Firma C-Films in den letzten 20 Jahren ins Kino und TV gebracht. Zu den bekanntesten gehören «Grounding» (2006), «Der Verdingbub» (2011), «Nachtzug nach Lissabon» (2013), «Akte Grüninger» (2014) und «Schellen-Ursli» (2015). Zusammen erreichten diese mehrere Millionen Zuschauer. «In einem viel grösseren Markt wie Deutschland würde man von solchen Zahlen nur träumen», sagt sie voller Überzeugung, dass die eigene Begeisterungsfähigkeit der beste Motor für Erfolg sei.
Eine künstlerische Handschrift ist bei ihren Filmen nur schwer erkennbar. Auffällig ist aber, dass viele von nationalen Mythen («Schellen-Ursli») oder Identitätsfiguren (Paul Güninger, Huldrych Zwingli) handeln. «Ich sehe mich in erster Linie als Schweizer Filmemacherin», erklärt Walser. «Hier ist meine Heimat, hier hat es unzählige tolle Geschichten, die man erzählen kann.»
Das Ausland ist kein Thema
Überdies würde es nirgendwo sonst auf der Welt schönere Drehorte geben, schwärmt sie. Das höre sie auch oft von Regisseuren aus anderen Ländern wie beispielsweise Oscargewinner Paolo Sorrentino (48), mit dem sie 2015 im Bündnerland das Altersdrama «Youth» mit den Hollywood-Stars Michael Caine (85) und Harvey Keitel (79) realisierte.
Gross denken, ja, aber den eigenen Wirkungsort ins Ausland zu verlegen, habe sie nie gereizt, sagt Walser. Selbst vor die Kamera zu stehen, ebenfalls nicht. «Diesen Mädchentraum hatte ich nie», erklärt sie lachend. «Ich bin zu ungeduldig dafür. Ich ziehe lieber die Fäden im Hintergrund.» Sich durchzusetzen, habe sie schon von klein auf gelernt, sagt Walser, die mit ihrem älteren Bruder in Paris, Bern und Zürich aufgewachsen ist.
Das Schönste an ihrer Arbeit sei, dass sie etwas Bleibendes erschaffe, sagt Walser und blickt auf ihre vielen Bücher und DVDs an den Wänden. Ihr Ansporn sei es, Filme zu machen, die nachhaltig sind und vielleicht auch in hundert Jahren noch geschaut werden. «Wie eben diese brillanten Filme von Billy Wilder.»
Film über Marie Tussaud
Sie wolle die Menschen unterhalten, sie aber auch zum Nachdenken anregen und inspirieren, meint sie weiter. Eines ihrer nächsten geplanten Projekte: Ein Film über Marie Tussaud (1761–1850). «Sie war eine der ersten modernen Unternehmerinnen überhaupt!» Während der Französischen Revolution fertigte sie aus Wachs Totenmasken von berühmten Opfern der Guillotine an. Später eröffnete sie ein eigenes Museum. Heute gibt es auf der ganzen Welt Wachsfigurenkabinette von Madame Tussaud.
«Und das Beste an dieser spannenden Frau: Sie hatte Schweizer Wurzeln!» Tussaud verbrachte Teile ihrer Kindheit im Emmental, sagt Walser und strahlt: «Geschichten, die es in diesem Land zu erzählen lohnt, gibt es also noch genug.»