Schauspielerin Anna Schinz im Interview
«Es ist falsch, um das Publikum zu buhlen»

Jetzt in «Wilder», demnächst in «Private ­Banking»: Die Zürcher Schauspielerin Anna Schinz (30) ist zurzeit dauerpräsent im Fernsehen. Und ­vielleicht bald Oscar-Preisträgerin.
Publiziert: 10.12.2017 um 21:45 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 04:40 Uhr
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«Ich bin froh, noch andere Wurzeln zu haben», sagt Schauspielerin Anna Schinz.
Foto: Valeriano Di Domenico
Daniel Arnet (Text) und Valeriano Di Domenico (Fotos)

Innerhalb einer Woche von der Videojournalistin eines Privatfernsehens zum Compliance Officer einer Privatbank – das nennt man einen Karrieresprung, Frau Schinz.
Anna Schinz: Ja, Wahnsinn – das konnte niemand erwarten.

In der SRF-Serie «Wilder», die übermorgen endet, spielen Sie die Journalistin Jenny Langenegger; im Zweiteiler «Private Banking», der am nächsten Sonntag startet, die Juristin Stephanie Pfenninger. Welche Rolle war die grössere Herausforderung?
Jenny Langenegger zu spielen, war mit einer Leichtigkeit verbunden und machte unglaublich Spass. Die Rolle von Stephanie Pfenninger ist von ihrem dramatischen Bogen und Inhalt her sehr komplex – da musste ich viel recherchieren, um meinen Worten Bedeutung geben zu können.

Muss Ihnen eine Rolle sympathisch sein?
Nein, darum geht es mir nie. Ich muss eine Rolle einfach verstehen können.

Christian Kohlund spielt ebenfalls in «Wilder» und «Private Banking» mit. Haben Sie von seiner langjährigen Erfahrung profitiert?
Dummerweise bin ich ihm weder bei «Wilder» noch bei «Private-Banking» begegnet – wir kennen uns nicht. Ich bin froh, dass ich im «Heidi»-Film mit Bruno Ganz eine Szene drehen durfte, sonst hätte ich ihn vermutlich auch nicht gesehen. Generell profitiere ich sehr viel von älteren Profis: Wenn ich nicht dran bin, verstecke ich mich und schaue ihnen bei den Aufnahmen zu.

Vor zwölf Jahren haben Sie Ihre Filmkarriere als Tochter von Viktor Giacobbo in der Komödie «Undercover» gestartet – Sie schwärmten damals von der Zusammenarbeit.
Das war ein Mädchentraum. Ich war 16, als die Dreharbeiten begonnen haben. Meine Eltern hatten gehofft, dass mich die Erfahrung auf andere Gedanken bringt – dem war nicht so. Ich habe ihnen eine schwere Jugend bereitet, weil ich von Anfang an Schauspielerin werden wollte. 

Anna Schinz als Anna Ruf in «Undercover» (2005, neben Viktor Giacobbo)
Foto: SRF

Speziell war Ihre Bewerbung für die Filmrolle: Sie hatten mit Ihrer Schulfreundin von A bis Z einen Kurzfilm gedreht.
Schauspielerei ist meine grosse Liebe. Aber alles hinter der Kamera zu kennen, ist wichtig, wie ich finde.

Ihre Schulabschlussarbeit war auch ein Film, darin geht es um das Verhalten der Schweiz gegenüber jungen Flüchtlingen.
Wir sollten offener sein gegenüber der Not anderer Menschen, wir sollten ein längerfristiges Interesse für deren Lage gewinnen. Wenn das Thema in den Medien ist, reden alle drüber. Doch innert Kürze verschwindet es wieder aus dem Bewusstsein.

Prägte Sie das Schicksal Ihrer Mutter, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 in die Schweiz geflüchtet ist?
Ja, durch sie habe ich einen Migrationshintergrund. Ich bin allerdings in der Schweiz geboren, habe einen Schweizer Pass und würde mich auch als Schweizerin bezeichnen. Aber ich bin froh, noch andere Wurzeln zu haben.

Die syrische Mutter stirbt in der Schweiz und muss nun hier innerhalb von 24 Stunden in Richtung Mekka beerdigt werden.
Normalerweise erfährt man solche Geschichten bloss aus der Distanz über Medien. Durch das Filmprojekt konnten wir mit allen beteiligten Seiten direkt sprechen.

Haben Sie für alle Seiten Verständnis gewonnen?
Das haben wir versucht. Wir wollten das Drehbuch schreiben, ohne moralisch zu sein oder den Zeigefinger zu heben. In einer Kritik stand, dass es im Film keine gute und keine böse Seite gebe. Das stimmt – und das macht die Problematik auch so komplex. Nur hoffen wir, dass die Menschlichkeit vermehrt über den zu befolgenden politischen Regelwerken steht.

Als Kind wollten Sie Filmstar in Hollywood werden, nun können Sie vielleicht bald einen richtigen Oscar dort abholen. Ein Traum?
Ja, bestimmt. Früher habe ich jede Oscar-Verleihung verfolgt. Aus meiner Jugend kenne jede Rede der Schauspieler – angefangen mit Roberto Benigni, Philip Seymour Hoffman bis hin zu Meryl Streep.

Was werden Sie als Maskottchen an die Oscar-Verleihung vom 4. März 2018 mitnehmen?
So weit habe ich nicht gedacht. Noch drücke ich uns einfach die Daumen.

Drehbücher schreiben oder schauspielern: Was machen Sie lieber?
Für mich hat die Schauspielerei ganz klar Priorität.

Dort sorgen Sie auch immer noch für die grössten Schlagzeilen. Letztes Jahr bezeichnete Sie der BLICK als «der Todesengel aus dem Tatort».
Ich sagte meinen Eltern: «Googelt besser nicht!» Auch ich lese Kritiken nur in den seltensten Fällen.

Dabei bekommen Sie meist gute Noten.
Ich bin sehr kritisch mit mir: In jeder Rolle, in jeder Szene sehe ich Dinge, die ich anders machen würde. Aber ich bin kein Roboter, der programmiert ist. Erfahrung und das Leben sind für mich der beste Schauspielunterricht.

Haben Sie manchmal noch Lampenfieber?
Ich exponiere mich nicht gerne. Aber wenn ich vor der Kamera stehe oder auf der Bühne, ist das anders: Dann bin ich versteckt hinter einer Figur. Schauspielerei gibt mir Kraft, lässt mich frei atmen und oft alles vergessen. Sie ist pure Konzentration für mich.

Wie viel Anna Schinz steckt jeweils noch in Ihren Figuren?
Das verrate ich nicht.

Als Schauspielerin stehen Sie nicht nur vor Kameras, sondern auch auf renommierten Bühnen wie dem Schauspielhaus Zürich. Schauspielern Sie lieber live oder für die Filmkonserve?
Ich mache beides gleich gerne, denn es sind für mich unterschiedliche Welten: Im Film fängt man manchmal mit späteren Szenen an, auf der Bühne hat alles eine Chronologie; im Film geht immer alles sehr lange; auf der Bühne kriegt man sofort ein Feedback vom Publikum.

Hier als Sabeth im «Homo Faber» für das Theater des Kantons Zürich (2016/2017).
Foto: zvg/Toni Suter

Was haben Sie auf der Bühne schon erlebt?
Wir hatten Vorstellungen, die wir Schauspieler als toll empfanden, aber die Zuschauer haben sie als katastrophal wahrgenommen. Ich versuche nicht zu sehr an das Ergebnis zu denken, sonst kriege ich Zustände und Ausschläge, und dann geht gar nichts mehr (lacht). Es ist falsch, um das Publikum zu buhlen – das würde den Abend töten.

Arbeiten Sie manchmal parallel für Theater und Film?
Als wir «Private Banking» aufgenommen haben, bin ich zwischen diesem Set, dem von «Wilder» und der Bühneninszenierung von «Homo Faber» für das Theater des Kantons Zürich hin- und hergependelt.

Nie etwas durcheinandergebracht?
Nein, aber es gab Momente, in denen ich mir überlegte: «Welches Drehbuch muss ich einpacken? Ah, nein, ich spiele ja heute Theater.»

Könnten Sie sich vorstellen, auch einmal Regie zu führen?
Nein. Ich entwickle gerne Figuren während des Drehbuch-Schreibens oder spiele sie gerne. Aber anderen Anleitungen zu geben, liegt mir weniger. Ich kann mit so tollen Regisseuren zusammenarbeiten, dass es mich dort nicht braucht, und die können das besser als ich.

Bei «Wilder» führte Pierre Monnard Regie, bei «Private Banking» Bettina Oberli. Machte es einen Unterschied, für einen Mann oder eine Frau zu spielen?
Nein, der Umgang mit uns Schauspielerinnen war überhaupt nicht anders.

«Wilder» und «Private Banking» sind beides SRF-Produktionen. Was, wenn es das Schweizer Fernsehen nicht mehr geben würde?
Es wäre verheerend, wenn die No-Billag-Initiative angenommen würde. Es scheint sich alles um einen Geldbetrag zu drehen. Aber da geht es um mehr – um Medien- und Meinungsvielfalt.

Allerdings schauen viele Menschen in Ihrem Alter kein Fernsehen mehr.
Viele in meinem Freundeskreis konsumieren zumindest etwas aus dem breiten Angebot des Schweizer Fernsehens – entweder Dokumentarfilme, Nachrichten oder Sport. Und die meisten konsumieren das in der Regel auf einem Kanal von SRF.

Vor ein paar Jahren sagten Sie in einem Interview, man müsse sich als Frau bis 30 etablieren, sonst sei es gelaufen. Sie sind jetzt 30. Wie ist es gelaufen?
Ich hoffe nicht, dass es gelaufen ist (lacht). Natürlich bin ich jetzt älter. Aber jetzt kommen die anspruchsvollen Rollen – ich freue mich darauf. 

Gotthard und Goliath

Anna Schinz ist 1987 als Tochter einer Tschechin und eines Schweizers auf die Welt gekommen und im Zürcher Oberland aufgewachsen. Noch bevor sie ihr Schauspielstudium 2011 an der Zürcher Hochschule der Künste abschliesst, hat sie 2005 und 2006 erste Filmrollen in «Undercover» von Sabine Boss und in «Alles bleibt anders» von Güzin Kar. Ab 2011 spielt sie in mehreren «Tatort»-Folgen die Polizistin Brigitte Bürki. Zuletzt ist sie 2016 in der TV-Produktion «Gotthard» und in Dominik
Lochers «Goliath» zu sehen. Schinz steht immer wieder auf Theaterbühnen und hat schon mehrere Preise erhalten. Sie lebt mit ihrem Partner in Zürich.

Anna Schinz ist 1987 als Tochter einer Tschechin und eines Schweizers auf die Welt gekommen und im Zürcher Oberland aufgewachsen. Noch bevor sie ihr Schauspielstudium 2011 an der Zürcher Hochschule der Künste abschliesst, hat sie 2005 und 2006 erste Filmrollen in «Undercover» von Sabine Boss und in «Alles bleibt anders» von Güzin Kar. Ab 2011 spielt sie in mehreren «Tatort»-Folgen die Polizistin Brigitte Bürki. Zuletzt ist sie 2016 in der TV-Produktion «Gotthard» und in Dominik
Lochers «Goliath» zu sehen. Schinz steht immer wieder auf Theaterbühnen und hat schon mehrere Preise erhalten. Sie lebt mit ihrem Partner in Zürich.

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