Schauspieler Bruno Ganz (75) über Blocher, Hitler, Islam und das Alter
«Ich habe keine Angst vor dem Ende»

Er gehört zu den grössten Schauspielern überhaupt: Bruno Ganz im Exklusiv-Interview mit BLICK.
Publiziert: 03.08.2016 um 15:49 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 15:44 Uhr
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Film-Legende: Bruno Ganz gestern Nachmittag in Zürich-Oerlikon. «Ich bin ein glücklicher Alter», sagt der grosse Schauspieler.
Foto: Thomas Lüthi
Dominik Hug

Zum Interview kommt er mit dem Tram. Die Passanten erkennen ihn, schauen ihm nach, ansprechen würde ihn keiner: Bruno Ganz (75), Schweizer Schauspieler mit Weltruf: Er hat Hitler gespielt («Der Untergang»), einen Engel («Himmel über Berlin») und den Alp-Öhi («Heidi»).

Ganz trägt einen Rucksack, seine Lippen umspielt ein verschmitztes Lächeln. Im neuen Film «Un Juif pour l’exemple», der heute Mittwoch am Filmfestival in Locarno Premiere feiert, wird er brutal abgeschlachtet.

BLICK: Wie böse ist der Mensch?
Bruno Ganz: Das Böse hat jeder von uns in sich. Bei manchen kommt es schneller zum Vorschein, bei anderen bleibt es ein Leben lang verborgen. Je nach Umständen und Umgebung, in denen wir uns befinden, wird das Böse in uns befördert oder verdrängt.

Böse sind auch die Menschen in «Un Juif pour l’exemple», der auf einer wahren Begebenheit basiert.
Oh ja. Der Film zeigt, dass wir Schweizer nicht immer eine reine Weste hatten. Gerade die Schweizer meiner Generation haben ja immer das Gefühl, dass die Leute im Ausland beim Anblick unseres roten Passes vor Ehrfurcht erstarren müssten. Weil wir uns nie so beschmutzt haben, wie das andere Nationen Mitteleuropas getan haben. Klar, wir waren nicht solche Verbrecher wie die Nationalsozialisten. Aber wir haben dennoch am Rande mitgemischt. Wir haben unzählige Juden an der Grenze abgewiesen. Auch der Judenstempel findet seinen Ursprung in der Schweiz. Wir sind alles andere als fehlerfrei.

Sie sind 1941 geboren. Haben Sie vom Zweiten Weltkrieg noch etwas mitbekommen?
Ich erinnere mich, wie ich als Kind in Zürich-Stettbach einen riesigen Feuerschein am Horizont sah. Am nächsten Tag hiess es, dass Friedrichshafen (D) von den Alliierten bombardiert worden sei. In unserem Garten lag auch mal ein grosses Stück Metall, das angeblich von einem Flugzeug stammte, welches von der Schweizer Flugwacht abgedrängt wurde. Ich erinnere mich auch, wie sich meine Mutter über die Marken beklagte, mit denen man das rationierte Essen einlösen konnte. Aber das sind natürlich Bagatellen im Vergleich zum Leid, dass die Menschen in den umliegenden Ländern erfahren mussten.

2004 spielten Sie Hitler, jetzt verkörpern Sie den Juden Arthur Bloch. Hat sich mit dieser Rolle für Sie ein Kreis geschlossen?
Bloch zu spielen hat mich interessiert, weil ich mich als Hitler sehr stark mit der Judenvernichtung beschäftigt habe. Hitler zu spielen, hat mich irgendwie moralisch befleckt. Andererseits hat es mich auf der ganzen Welt bekannt gemacht. Ich bin auch stolz auf meine Leistung. Aber dieses Gefühl ist nicht nur positiv besetzt. Es kann sehr gut sein, dass ich mich seither mit meiner Filmauswahl unterbewusst möglichst weit von Hitler zu entfernen versuche.

Bloch starb, weil er Jude war. Auf seinem Grabstein steht: «Gott weiss warum». Wäre die Menschheit besser dran ohne Religionen?
Ich habe mich im Lauf meines Lebens von Religion entfernt, aber ich begreife, dass ein Bedürfnis nach ihr vorhanden ist. Auch wenn sie, wie wir gegenwärtig immer öfter sehen, in Terror ausartet. Diese Anschläge sind einfach nur furchtbar, sie werden auch nie zu einem neuen Kalifat führen. Der Islam ist rückständig und im Konflikt mit modernen Staatsformen. Auch halte ich nichts von Leuten, die immer nur beschwichtigen und behaupten: Ach, diese Terroristen sind doch nur einige wenige Fanatiker, die mit dem Islam nichts zu tun haben. Das ist nicht wahr! Diese Terroristen sind ja keine Buddhisten, sie sind Islamisten.

Äussern Sie sich auch politisch so offen?
Die Politik bestimmt weitgehend meine Lebensbedingungen. Ich lebe ja nicht in einem Elfenbeinturm. Ich gehe auch jedes Mal abstimmen.

Und für wen schlägt Ihr Herz?
Ich bin kein Partei-soldat. Basismässig befinde ich mich eher auf der linken Seite. Ich war jahrelang an einem linken Theater in Berlin beschäftigt, ich kenne Schriften von Marx und Lenin, aber ich nehme mir auch das Recht heraus, für die Rechten zu stimmen, wenn mir ihre Argumente vernünftig vorkommen. Mit der SVP habe ich allerdings Mühe. Christoph Blocher ist mir unsympathisch, diese polterige und hemdsärmelige Art, mit der er alles verneint, was mit der EU zu tun hat, ist mir zuwider. Wir können doch nicht so tun, als ob wir nicht zu Europa gehören. Wir sind von Europa abhängig, ob uns das passt oder nicht.

Ganz nippt an einem Mineralwasser. Sein Blick schweift in die Ferne. Er sitzt am Marktplatz in Zürich-Oerlikon, unweit davon entfernt, wo er aufgewachsen ist.

Sie sind im März 75 Jahre alt geworden. Was ist anders als mit 25?
Der immer grösser werdende körperliche Abbau. Sonst eigentlich nicht viel. Ich bin ein glücklicher Alter.

Möchten Sie noch einmal jung sein?
Nicht so sehnsüchtig, dass ich wie Faust einen Pakt mit dem Teufel machen würde. Manchmal aber, wenn ich so einen 30-Jährigen sehe, der nur so strotzt vor Kraft, werde ich schon ein bisschen schwermütig. Bestimmte Irrtümer jenes Lebensabschnitts würde ich mir jedoch gerne ersparen. Ich habe viel Blödsinn gemacht. Für einige Dinge schäme ich mich noch heute. Nein, ich möchte nicht noch einmal jung sein. Das Leben meinte es gut mit mir. Seit Geburt wissen wir, dass das Leben begrenzt ist. In meinem Alter naht das Ende. Ich habe keine Angst davor.

Sie arbeiten bis zum Schluss?
Hoffentlich. Mein Beruf ist ja sehr schön. Er beschädigt niemanden. Ich muss keinen austricksen oder an die Wand drücken, damit ich besser dastehe. Mein Beruf gab mir sehr viel. Ich habe auch noch nichts anderes gefunden, das mich ähnlich erfüllen würde wie die Schauspielerei. Ich habe leider keinen Garten.

Ihr grösster Wunsch?
Ich glaube nicht, dass ich noch einen grossen Wunsch habe.

Nicht mal einen Oscar würden Sie gerne gewinnen?
Doch, das wäre toll. Mit Hitler war ich nahe dran. Es hat nicht sein sollen. Ich hätte mich vielleicht mehr verbiegen, öfter nach Los Angeles fliegen, in die dortige Gesellschaft eintauchen und so richtig Ehrgeiz entwickeln sollen. Aber das entspricht nicht meiner Natur. Meine Freiheit war mir wichtiger. Irgendwann habe ich den Oscar abgeschrieben. Es gibt Wichtigeres im Leben.

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