Ein helles Sitzungszimmer im Zürcher Volkshaus. Luna Mwezi (12) spielt in «Platzspitzbaby» nach dem Buch von Michelle Halbheer (34) die Tochter der drogenabhängigen Sandrine, verkörpert von «Wilder»-Star Sarah Spale (39). SonntagsBlick hat sich vor dem Kinostart am 16. Januar mit dem beiden Frauen unterhalten.
SonntagsBlick: 1992, als der Platzspitz geräumt wurde, waren Sie zwölfjährig. Können Sie sich noch an die Bilder erinnern, die damals übers Fernsehen und die Zeitungen omnipräsent waren?
Sarah Spale: Ich bin in Basel aufgewachsen, und die Bilder vom Platzspitz bekam ich am Rande mit. Doch bei uns gab es auch eine offene Drogenszene, kleiner als in Zürich, am Rhein unten, das habe ich 1:1 mitbekommen. Diese Bilder, die ich da gesehen habe, fuhren mir hauptsächlich ein.
Und begriffen Sie damals, was dort passierte?
Spale: Ich weiss nicht mehr genau, wann ich verstand, was da genau vor sich ging. Aber zu Hause sprachen wir offen darüber. Wir hatten im Bekanntenkreis jemanden, der in die Drogen abstürzte, und wir konnten oder besser mussten zuschauen, wie diese Person in den Strudel geriet und unterging. Das prägte und beschäftigte mich, weil ich es hautnah und persönlich mitbekam.
Luna Mwezi: Sie dagegen kamen erst 15 Jahre nach der Platzspitz-Räumung auf die Welt. Wie kamen Sie das erste Mal mit der Geschichte und Bildern von damals in Kontakt?
Mwezi: Ich hatte natürlich keine Ahnung davon. Erst als ich den Castingaufruf gesehen hatte und mich ernsthaft dafür interessierte, schaute ich mit meinen Eltern, was dort passiert ist.
Was reizte Sie an diesem schweren und hochtraurigen Stoff?
Mwezi: Ich wollte halt einfach ausprobieren, ob ich überhaupt eine Chance habe. Nach jeder weiteren Castingrunde fand ich den Stoff noch spannender und war wirklich fasziniert von der Geschichte.
Und wie reagierten Ihre Eltern und Ihr näheres Umfeld auf Ihr Interesse?
Mwezi: Sie haben mich von Beginn weg voll unterstützt. Aber erst als ich wirklich die fixe Zusage für die Rolle erhielt, habe ich mit meinen Eltern zusammen angeschaut, was Drogen überhaupt sind.
Matchentscheidend für eine gelungene Verfilmung von «Platzspitzbaby», basierend auf der Autobiografie von Michelle Halbheer (34), war die Besetzung der im Buch elfjährigen Mia. Gefunden wurde per Castingaufruf Luna Mwezi (12) aus Küsnacht ZH – ein absoluter Glücksfall. Mwezi ist auch privat äusserst musikalisch und steuert zusätzlich den Titelsong «Ich gibe nöd uf» bei. Die Dreharbeiten waren für die von ihren Eltern und einem Coach unterstützte Newcomerin nicht immer einfach: «Manchmal habe ich zu Hause wirklich einfach geweint, und das hat all die schlechten Emotionen ausgewaschen.» Wichtigen Support erhielt Mwezi auch von Pierre Monnard (43) und ihrer Filmmutter Sandrine, gespielt von Sarah Spale (39). Deren Zusammenarbeit hat sich bereits bewährt: Die Baslerin ist unter Monnards Regie bis Mitte Februar erneut als Ermittlerin in der SRF-Serie «Wilder» zu sehen. International bekannt wurde Spale mit dem Film «Nachtzug nach Lissabon» von 2013 nach dem Bestseller des Berners Pascal Mercier (73).
Matchentscheidend für eine gelungene Verfilmung von «Platzspitzbaby», basierend auf der Autobiografie von Michelle Halbheer (34), war die Besetzung der im Buch elfjährigen Mia. Gefunden wurde per Castingaufruf Luna Mwezi (12) aus Küsnacht ZH – ein absoluter Glücksfall. Mwezi ist auch privat äusserst musikalisch und steuert zusätzlich den Titelsong «Ich gibe nöd uf» bei. Die Dreharbeiten waren für die von ihren Eltern und einem Coach unterstützte Newcomerin nicht immer einfach: «Manchmal habe ich zu Hause wirklich einfach geweint, und das hat all die schlechten Emotionen ausgewaschen.» Wichtigen Support erhielt Mwezi auch von Pierre Monnard (43) und ihrer Filmmutter Sandrine, gespielt von Sarah Spale (39). Deren Zusammenarbeit hat sich bereits bewährt: Die Baslerin ist unter Monnards Regie bis Mitte Februar erneut als Ermittlerin in der SRF-Serie «Wilder» zu sehen. International bekannt wurde Spale mit dem Film «Nachtzug nach Lissabon» von 2013 nach dem Bestseller des Berners Pascal Mercier (73).
Und haben Sie sich bereits auf einer grossen Leinwand gesehen?
Mwezi: Ja, und es war ein komisches Gefühl, vor allem wegen der Stimme. Ich mag es auch nicht, wenn ich bei einer Sprachnachricht meine eigene Stimme höre. Aber ich kann gar nicht genau erklären, weshalb. Doch es war sehr bewegend, nochmals zu sehen, was ich selber beim Drehen schon erlebt hatte. Sehr faszinierend und gleichzeitig sehr komisch.
Überall hängen bereits Plakate mit Ihnen drauf. Werden Sie schon angesprochen auf der Strasse und im Tram?
Mwezi: Nein, es ist noch sehr ruhig. Doch dagegen habe ich nichts.
Sarah Spale, was hat Sie gereizt an diesem Stoff?
Spale: Die Drogenproblematik und unser Umgang damit hat mich über Jahre hinweg bewegt, geprägt und fasziniert. Obschon Faszination in diesem Zusammenhang vielleicht der falsche Begriff ist oder jedenfalls komisch klingt. Die Ohnmacht und die Verzweiflung, nichts wirklich tun zu können, wenn jemand abstürzt, macht mir Angst, und ich hatte während der Drehzeit einen grossen Respekt vor meiner Rolle der Mutter Sandrine. Es war mir sehr wichtig, dass Sandrine authentisch ist und keine Karikatur wird. Ich wollte genau erfahren, was die Figur zu dieser Person machte, die sie ist. Ich hatte natürlich eine ganz andere Perspektive als Luna als meine Tochter. Diese Mutterfigur gern zu bekommen und ihre Tiefen und Abgründe verstehen zu können, das fand ich wahnsinnig spannend.
Und haben Sie und Luna Mwezi von Beginn weg harmoniert?
Spale: Ich hatte kein Mitspracherecht für die Besetzung der Tochter. Luna war zuerst dabei, dann erst kam ich. Luna und ich begegneten uns das erste Mal, als gerade der Film-Vater gecastet wurde, und ich empfand uns auf Anhieb als Team. Wir probten gemeinsam mit den Männern und sprachen darüber, welcher passen würde. Das war sehr hilfreich, und der Papa gehörte dann sofort auch zu unserer Film-Familie. Zuerst mussten wir uns dann als Schauspielerinnen kennenlernen, uns einspielen. An Grenzen herangehen und diese überschreiten, auch laut und wild sein dürfen. Aber auch ganz klar regeln, dass wir Luna und Sarah sind und dass wir das konsequent abkoppeln von Mia und Sandrine. So konnten wir ein gemeinsames Vertrauen aufbauen.
Mwezi: Wir verstanden uns wirklich auf Anhieb, aber das Vertrauen ist mit der Zeit noch zusätzlich gewachsen.
Sarah Spale, Sie sind selber Mutter und waren ursprünglich auch pädagogisch tätig, halfen Ihnen dies für Ihre Rolle?
Spale: Wenn ich an eine Rolle herangehe, nehme ich immer alles mit, was ich an Voraussetzungen habe und was ich bin, alle Prägungen, alle Gefühle. Pädagogisch hatte ich bei den Dreharbeiten keine Aufgabe. Luna hatte einen Coach, der sie betreute.
Luna Mwezi, dies ist Ihre allererste Filmrolle. Wie haben Sie sich vorbereitet?
Mwezi: Proben, Proben, Proben. Aber ich habe auch viele Fotos aus dieser Zeit angeschaut und einen Dokumentarfilm gesehen.
Und Sie, Sarah Spale?
Spale: Ich habe mich intensiv mit Schauspiel-Trainerin Barbara Fischer vorbereitet, dabei arbeiteten wir auch physisch. Ich habe über eine längere Zeit hinweg recherchiert, sehr viel gelesen und mir Materialien angesehen. Ich habe eine Menge Gespräche geführt, unter anderem mit einem Arzt, der seine Praxis damals an der Langstrasse hatte, und mit ehemaligen Drogenabhängigen. Und ich war auch bei einer Abgabestelle. Es ging in meiner Vorbereitung vor allem darum, Grenzen zu überschreiten. Schon nur, um ein Telefon in die Hand zu nehmen und bei einer solchen Stelle anzurufen und zu fragen: Darf ich vorbeikommen? Ich stiess stets auf offene Türen, machte aber auch transparent, wer ich bin. Ich sog Emotionen und Stimmungen auf, das war das Wichtigste.
Luna Mwezi: Im Film spielt Musik für Sie eine wichtige Rolle, auch um aus Ihrem traurigen Alltag zu flüchten. Sie persönlich hören heute sicher andere Musik. War das nicht seltsam für Sie?
Mwezi: Nein im Gegenteil, ich mag viele dieser 80er- und 90er-Songs. Ich höre auch gerne Queen oder David Bowie. Und ich flüchte ja nicht nur in die Musik. Sondern ich habe auch diesen imaginären Freund Buddy, den ich mir vorstelle, wenn es mir schlecht geht.
Hatten Sie als kleines Kind selber auch so einen Freund, den niemand ausser Ihnen sehen konnte?
Mwezi: Ich hatte auch einen. Doch er existierte nicht nur meiner Vorstellung, sondern es war ein Plüschtier, ein Hund, mit dem ich mich unterhalten konnte.
Eine schwierige Frage: Was kann man lernen aus diesem Film? Wenn überhaupt?
Spale: Ich denke, die Hauptsache ist, dass der Film gezeigt wird, weil das Drogenproblem immer noch ein brennendes Thema ist. Ich persönlich finde es wichtig, dass es im Film nicht nur eine Person gibt, der man eine Schuld geben kann. Es sind verschiedene Perspektiven und Dramen. Eine Lösung wird es wahrscheinlich leider nie geben. Und es wird im Film auch keine vorgeschlagen. Wichtig ist, dass wir Diskussionen führen: Was sind wir für eine Gesellschaft? Wo setzen wir Grenzen? Wem geben wir eine Chance? Wem stehen wir bei und wen lassen wir weshalb fallen? Wir können aus diesem Film viele Fragen mitnehmen.
Mwezi: Man kann schon etwas lernen, finde ich. Mia hat ja so eine Art, nie aufzugeben. Ich finde, das ist wichtig. Nicht aufzugeben, sich nicht unterkriegen zu lassen, egal, was passiert.
Wenn man sich den Film anschaut, kann man wütend werden über Sandrine. Und man versteht nicht immer, warum Mia bei ihr bleibt. Die Mutter hält ihre Versprechen nicht, wird immer wieder rückfällig und missbraucht die Liebe ihrer Tochter. Können Sie solche Zuschauerreaktionen verstehen?
Mwezi: Mia liebt ihre Mutter über alles. Und sie möchte auch von ihr geliebt werden, doch zwischen ihnen steht die Sucht. Mia will sie davon wegbringen. Aber sie weiss: Sie schafft das nur, indem sie bei ihr bleibt. Deshalb kann ich das gut verstehen. Auch wenn es manchmal kaum zum Aushalten ist.
Spale: Ich kann unterstreichen, was Luna über Mia sagt. Aus meiner Perspektive der Mutter sehe ich den Versuch von Sandrine, alles richtig zu machen und das Beste zu geben. Es gab eine spannende Szene, die dann beim Endschnitt rausfiel. Es war das erste Zusammentreffen mit der neuen Nachbarin, gespielt von Esther Gemsch, beim Wohnungseinzug auf dem Land. Der erste Blick der Nachbarin ist ein schiefer. Und Sandrine merkt bereits vom ersten Augenblick an: Ich genüge nicht, obschon ich alles gebe. Sie versuchte zu lieben, obschon sie vielleicht gar nicht lieben konnte. Die Hoffnung der beiden ist wichtig. Sich lieben zu können oder es jedenfalls zu versuchen und zu wollen, das ist permanent da und treibt die beiden auch so nach vorne und immer weiter.
Trotzdem entschliesst sich Mia am Schluss zum Weggehen ...
Mwezi: Es kommt die Zeit kommt, als Mia merkt, dass all ihre Anstrengungen nichts nützen. Sie ist frustriert und traurig, weil die Mutter sagt, ich höre auf, und trotzdem sind da immer wieder die Drogen. Am Schluss fehlen ihr wohl einfach die Hoffnung und die Kraft.