BLICK: Sie haben für den New-York-Marathon trainiert, sind Sie ihn auch gelaufen?
Pippo Pollina: Nein, da bin ich völlig gescheitert (lacht). Der einzige meiner Vorsätze, den ich nicht erfüllt habe. Das Training wurde immer härter. Irgendwann habe ich den Sinn nicht mehr gesehen, mich und meinen Körper einem solchen Stress auszusetzen. Wenn das Ziel zu hoch gesteckt ist, gehen der Spass und die Lust verloren.
Was waren die anderen Ziele?
Viel zu reisen – ich habe 18 Länder besucht in dieser Zeit. Kuba hat mir besonders gefallen, da wollte ich noch hin, bevor Castro nicht mehr da ist. Es war schön, dieses besondere Land zu erleben, bevor die grossen Veränderungen kommen. Ausserdem habe ich mir einen neuen Arbeitsraum geschaffen. Seit einem Jahr habe ich im Zürcher Seefeld einen Platz zum Lesen, Schreiben und Komponieren.
In jungen Jahren waren Sie ein engagierter Journalist, heute sind Sie Musiker, was ist besser?
Musiker natürlich, weil das Nahrung für die Seele ist. Mit meiner Musik kann ich Menschen im Herzen erreichen, das ist viel kraftvoller. Es ist eine indirekte Sprache, darum schafft sie einen grösseren Raum. Ein Journalist muss sich mit klaren und analytischen Worten ausdrücken. Musik bringt mich in einen Zustand des Glücks. Und ich kann alles ausdrücken. Da kann ich traurig sein, und ich schäme mich nicht, ich kann wütend sein, und ich schäme mich nicht, ich kann fröhlich sein, und es ist gut. Alles hat Platz, es ist eine grosse Freiheit.
Was möchten Sie vermitteln?
Musik und Kunst müssen heute eine grössere Verantwortung übernehmen. Während Jahrhunderten waren Religion und Politik die Säulen unserer Gesellschaft. Aber im Namen der Wirtschaft und des Gewinns wurde alles geopfert. Wir sind nicht zum Konsumieren geboren. Ich hoffe, dass die Menschheit irgendwann wieder zur Vernunft kommt.
Wie halten Sie es mit dem Konsumieren?
Wir sind alle Teil dieses Systems, ausser wir beschliessen, als Eremit auf einem Berg zu leben. Ich akzeptiere die Regeln unserer Gesellschaft und versuche, sie in Einklang mit meinen Werten zu bringen.
Sie leben seit 29 Jahren in Zürich, wie wurden Sie damals aufgenommen?
Sehr gut, Ende der Achtzigerjahre waren die Italiener und ihre Kultur schon bestens integriert. Ich habe mich mit der Geschichte der Gastarbeiter und ihren Schwierigkeiten in den Sechzigerjahren auseinandergesetzt. Gespürt habe ich aber nichts davon. Zu dieser Zeit waren eher die Zuzüger aus dem Balkan ein Thema. Die sind inzwischen auch gut integriert. Es braucht wohl immer wieder neue Ausländer, über die man schimpfen kann.
Träumen Sie eigentlich auf Deutsch oder Italienisch?
Noch immer auf Italienisch! Das ist meine Sprache geblieben, auch für meine Musik. Damit bin ich aufgewachsen, ich bin auch sehr oft in Italien, dort ist ein Teil meiner Familie, und ich gebe viele Konzerte.
Wovon träumen Sie?
Ich träume immer weniger und bin mehr Realist geworden. Das finde ich zwar etwas traurig, aber es ist so.
Was waren Ihre Träume?
Damals spürte ich noch den Einfluss der Werte von grossen Geistern wie Nelson Mandela, Gandhi, Martin Luther King, Muhammad Ali oder Einstein. Es war eine fantastische Zeit, in der freie Denker etwas bewegten. Heute geht es immer mehr nur noch um Geld. Diese Philosophie bringt unsere Welt um. Wirtschaft ist wichtig, aber nicht das Einzige.
Ist es wichtig, dass man Ihre Texte versteht?
Ja, darum übersetze ich immer alles auf Deutsch, damit die Leute verstehen, was das Lied sagen will. Während eines Konzerts erzähle ich auch viel und versuche, den Hintergrund zu erklären. Das ist wahrscheinlich ein Teil des Geheimnisses meines Erfolgs.
Diese Texte erscheinen auch in Ihrem Buch?
Ja, ich traue mich zum ersten Mal, ein Buch zu schreiben. Die Zeit ist gekommen, meine eigenen Ideen zu Papier zu bringen. Ich beschreibe die 35 Jahre meines musikalischen Weges und freue mich, dass es in einem Zürcher Verlag herauskommen wird, genau in einem Jahr.
Ihre Kinder sind ebenfalls sehr musikalisch, können sie davon leben?
Julian (Künstlername Faber) lebt gut davon und auch Madlaina ist gut unterwegs. Beide treten auch in Deutschland und Österreich auf. Man muss über die Schweizer Grenzen hinaus, der Markt hier ist zu klein. Und die Kosten sind in der Schweiz, vor allem in Zürich, sehr hoch. Das ist schade. Vor allem junge Menschen wollen nicht nur für die Miete arbeiten, sondern kreativ sein und die Qualität des Lebens geniessen. Wenn die Leute nicht so viel hetzen und konsumieren müssten, wären sie auch zufriedener.