Haben Sie inzwischen bereut, dass Sie Roger Köppel rausgeschmissen haben? Sie verlieren einen Quotenknüller auf Radio 1.
Ja, die Sendung war sehr erfolgreich. Doch Quote ist nicht alles. Roger Köppel war während vier Jahren als Journalist mit völlig anderen Ansichten mein eloquenter Gegenpart. Seit Februar ist er jedoch Teil der von ihm lange verhöhnten «Classe Politique». Mit seiner Kandidatur für die SVP ist er daher kein ernsthafter Journalist mehr. Politiker und Journalist gleichzeitig - das geht meiner Meinung nach gar nicht.
Warum ist die Liebe zu ihm zerbrochen?
Ich habe lange mit diesem Entscheid gerungen. Aber als Roger die Sendung immer mehr für seine persönliche Wahlpropaganda missbrauchte, musste ich leider den Stecker ziehen.
Sie sind ein Medienprofi. Spielt er nicht einfach den Bad Guy?
Das glaube ich nicht. Sein erklärtes Rezept ist ja: Wir loben, wo andere kritisieren. Und wir kritisieren, wo andere loben. Dieser blosse Reflex ist für mich pubertär und effekthascherisch. Es kann schlicht nicht alles falsch sein, was unsere Medien kritisieren. Sonst müsste man ja auch den IS positiv beschreiben.
Wird er gewählt?
Das nehme ich an. Mit seiner Position am rechten Flügel der rechtspopulistischen SVP zielt er auf ein grösseres Wählerpotential. Zudem hat er unglaublich viel Medienpräsenz. Dazu wollte ich nicht mehr weiter beitragen.
Könnte es sein, dass der gemässigte Flügel der SVP ihn bewusst ins Messer laufen lassen, weil man ihn weg haben will?
Keine Ahnung.
Wie wirkt er auf Sie, wenn Sie ihn ihn am TV sehen?
Als ich ihn im letzten Sonntalk sah, bin ich erschrocken. Nicht nur wegen seinen Aussagen, sondern auch wegen seiner Körpersprache.
Aber deutsche Talkshows reissen sich um ihn - jetzt noch mehr...
Einen solch extremen Bad Guy wie Köppel finden sie eben in ganz Deutschland nicht. Und er spielt die ihm zugeteilte Rolle jedes Mal perfekt. Ich hoffe nur, dass die Deutschen nicht glauben, dass alle Schweizer so denken wie er. Ich war übrigens auch einmal bei Günther Jauch eingeladen. Doch nach einem Vorgespräch erhielt ich eine Absage, und zwar mit der Begründung, ich sei zu nett. Damit war alles klar für mich.
Seit wann ist er für Sie nicht mehr tragbar?
Ich war schockiert, als er alle Syrer als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnete, die kein Anrecht auf Asyl haben sollen. Und dies, nachdem gerade die «Weltwoche» seit Jahren detailliert über den furchtbaren Bürgerkrieg in diesem Land berichtet mit Hunderttausenden von Toten und Gefolterten, Giftgas und Fassbomben, Al Kaida, IS und Assad.
Aber kann die Schweiz Hunderttausende aufnehmen?
Wünsche ich mir viele Tausend syrische und irakische Flüchtlinge in der Schweiz? Natürlich nicht. Aber die Weltpolitik ist kein Wunschkonzert. Es gibt Probleme, die kommen zu uns, ob wir wollen oder nicht. Und denen müssen wir uns stellen, wenn wir unsere wichtigsten humanitären Traditionen nicht verraten wollen.
Woher kommt dieses Engagement?
Ich fühle mich schon wegen der Geschichte meiner jüdischen Familie verpflichtet, Leuten in Not zu helfen. So wurde ich erzogen. Ich fühle mich unglaublich privilegiert, seit 70 Jahren im besten und reichsten Land der Welt leben zu dürfen. Dies empfinde ich als Verpflichtung, Menschen, die weniger Glück haben als ich und meine Familie, zur Seite zu stehen. Erstens, indem ich ihre Sache öffentlich vertrete. Und zweitens, indem ich aktiv beitragen möchte, ihre Situation zu verbessern.
Haben Sie nach der ganzen Aufregung noch Lust Schawinski zu moderieren?
Mehr denn je.
Wann ist Roger Köppel Ihr Gast?
Er war schon mehrfach bei mir. Aber wahrscheinlich nicht ganz so bald wieder.
Wird Europa wegen der Flüchtlingsfrage auseinander brechen?
Es ist die grösste Herausforderung Europas. Und ich hoffe, dass die EU sie besteht. Und dass sie damit beweist, dass die EU eben nicht nur eine Wirtschaftsunion, wie viele bei uns glauben, sondern vor allem ein grossartiges Friedensprojekt ist.
Sie haben ein grosses Haus. Hätte es da nicht Platz für eine syrische Familie?
Unsere Zivilisationsgesellschaft funktioniert anders. Wenn es brennt, renne ich nicht mit einem Schlauch hin, sondern rufe sofort die gut ausgerüstete Feuerwehr. Das gilt für alle Lebensbereiche. Auch für den Bereich Flüchtlinge, in dem viele Organisationen und Gemeinden mit professionellen Mitteln einen tollen Job machen.
Was tun Sie selber konkret für Flüchtlinge?
Ich habe seit vielen Jahren Projekte in Entwicklungsländern, um vor Ort beizutragen, dass die Leute ihr Land erst gar nicht verlassen müssen. So etwa in Chile, Tibet und Nepal. Dazu hat meine Frau schon vor Jahren in Zürich ein Projekt für Migrantenkinder gegründet. Dort können sie am freien Samstagvormittag ihre Sprachdefizite abbauen, um sich so in der Schule zu verbessern. Denn sie sollen wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft werden. Das ist mittelfristig eine ganz wichtige Aufgabe für die Schweiz, damit unsere Gesellschaft nicht weiter auseinanderfällt. Und dazu möchten wir beitragen.