Lisa Brühlmann (38) ist eine viel beschäftigte Frau. Zeit für ein Telefonat aus Boston (USA) hat die Regisseurin nur in den frühen Morgenstunden, während sie vom Chauffeur ans Set von «Castle Rock» gefahren wird, einer Mystery-Serie nach den Büchern von Gruselautor Stephen King (71). Es ist die letzte von fünf Drehwochen. Dieses Wochenende ist Brühlmann bereits in Los Angeles. Dort wird ihr eine besondere Ehre zuteil: Die BBC-Serie «Killing Eve», für die sie Regie geführt hat, ist achtmal für einen Emmy nominiert, den wichtigsten Fernsehpreis überhaupt.
Für den Auftritt im Scheinwerferlicht ist Brühlmann bereit. Das Outfit hat sie aus Zürich mitgenommen, einen schlichten, aber eleganten Smoking. «Ich freue mich vor allem darauf, das ganze Team wiederzusehen. Und natürlich ist es aufregend, bei einer Verleihung in dieser Grössenordnung dabei zu sein.» Eine Rede hat sie vorbereitet, allzu grosse Chancen auf eine Trophäe räumt sie sich aber nicht ein. Sie tritt gegen gigantische Konkurrenz an: «Game of Thrones» ist gleich 32-mal für den Emmy nominiert. Brühlmann nimmts sportlich: «Wichtig ist, dabei zu sein. Schliesslich ist es auch ein guter Ort, um Kontakte zu knüpfen.»
Vom Zürcher Kreis 3 nach Hollywood
Aber wie schafft man den Sprung vom Zürcher Kreis 3 nach Hollywood? Das Ticket für den Eintritt in die internationale Serien-Filmwelt war ihr Erstlingswerk «Blue My Mind», das Teenager-Drama räumte am Schweizer Filmpreis 2018 gleich dreifach ab. Zwar lockte der Streifen nur ein paar Tausend Zuschauer in die Kinos, aber er verschaffte der Regisseurin an internationalen Festivals Aufmerksamkeit und schliesslich den Vertrag mit einer britischen Agentur. «So bin ich letzten Herbst für zwei Episoden am Set von ‹Killing Eve› gelandet.»
Während Brühlmann erzählt, schlafen ihre beiden Kinder Kosmo (2) und Louisa (6) im Hotel friedlich weiter. Auch ihr Mann Dominik Locher (37) ist mit ihnen für die Dreharbeiten temporär nach Boston gezogen. Später kommt noch eine Nanny. «Dominik schreibt in dieser Zeit an eigenen Projekten.» Kennengelernt hat sich das Paar vor zehn Jahren in Zürich währen des Regiestudiums. Beruf und Privates wollen die beiden nicht trennen, die Familienarbeit schaffen sie gemeinsam.
Dankbar für Kita und Hort
«Ich bin enorm dankbar für Kita und Hort, aber auch unseren Grosseltern, sonst wäre das nicht zu schaffen», sagt Brühlmann. Ein schlechtes Gewissen wegen ihres beruflichen Engagements hat sie nicht. «Ich bin selber mit einer alleinerziehenden und voll berufstätigen Mutter aufgewachsen, sie war Kindergärtnerin. Geschadet hat mir das nicht.»
Ursprünglich machte Brühlmann eine Ausbildung als Schauspielerin, schon als kleines Mädchen war sie im Kindertheater Metzenthin. «Eigentlich interessierte ich mich schon damals mehr fürs Inszenieren», erinnert sie sich. Als Achtjährige stellte sie mit einer Freundin das Theater «Aladin und die Wunderlampe» auf die Beine. Als junge Frau spielte sie in der SRF-Arztserie «Tag und Nacht», es folgten Rollen in deutschen Serien («Tatort», «Alarm für Cobra 11»).
Für Frauen stehen mehr Türen offen
Warum der Wechsel zur Regie? «Ich habe mehr Kontrolle über den künstlerischen Prozess. Auf lange Sicht erfüllt mich dieser Job viel mehr», so Brühlmann. Sie müsse nicht dasitzen und auf Rollenangebote warten. «Es geht darum, schwarz-weisse Buchstaben visuell umzusetzen.» Respekt am Set verschafft sie sich auch ohne lautes Auftreten: «Ich habe eine klare Vision und teile sie mit dem Team.» Weibliche Führungsqualitäten seien gefragt. «Heute stehen uns Frauen in der Branche mehr Türen offen. Den Leistungsausweis müssen wir aber erbringen.»
Was verändert sich, wenn Sie einen Emmy gewinnt? «Ich bleibe in der Schweiz und arbeite weiter», antwortet sie. «Allerdings möchte ich dieses Jahr etwas ruhiger angehen. Kreativität braucht auch Musse.»