Foto: Philippe Rossier

Radiomann Tom Gisler über seinen Job
«Wenn man allen gefällt, hat man als Radiomoderator etwas falsch gemacht»

Tom Gisler (44) ist eine der Radiostimmen im Land – trotzdem ist nur wenig über ihn bekannt. Uns erzählt er, weshalb sich SRF-3-Hörer über ihn beschweren und er keine Samstagabend-Kiste beim Fernsehen moderieren will.
Publiziert: 28.09.2019 um 12:22 Uhr
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Aktualisiert: 29.09.2019 um 10:06 Uhr
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Seine Stimme kennt das halbe Land: Tom Gisler (44) moderiert bei SRF 3 den Freitagnachmittag sowie einige andere Sendungen.
Foto: Philippe Rossier
Rebecca Wyss

Herr Gisler, hören Sie oft: «Ich habe mir Sie anders vorgestellt?»
Tom Gisler: Früher gab es das ab und zu. Gerade, weil die Radiofigur und die private Person nicht eins zu eins übereinstimmen. Die Leute sind überrascht, wie wenig ich mich in einer Gruppe in den Mittelpunkt stelle. 

Ein Fünkchen Rampensau muss doch in Ihnen stecken.
Ich bin durchaus eine Rampensau, aber nicht in meinem ganzen Leben.

Wie bekommen Sie Ihre Bekanntheit zu spüren?
Als öffentliche Person bin ich Projektionsfläche. Das ist Teil meines Jobs. Je fester du deinen Kopf zum Fenster rausstreckst, desto mehr haben bestimmte Leute das Bedürfnis, es darüber regnen zu lassen. 

Inwiefern?
Es gibt persönliche Anfeindungen per Mail oder auf sozialen Medien. Manche kommen immer und immer wieder, da triggere ich offensichtlich etwas bei diesen Menschen. Wenn es ihrer Psychohygiene dient – okay, das perlt an mir ab. Dann gibt es Leute, die fundiert inhaltliche Kritik äussern. Diese nehme ich natürlich ernst. Und die kann mich dann auch treffen.

Sie hätten auch einfach Banker werden und sich den ganzen Ärger ersparen können. Das war der Weg, den Sie als Teenager einschlugen. Weshalb wechselten Sie zum Radio?
Ich habe schnell gewusst, dass ich nicht auf der Bank bleiben will. Mit meiner Mutter hatte ich aber den Deal, dass ich die Lehre fertig mache. Radio hingegen fand ich sehr früh schon spannend. Reeto von Gunten war einer meiner Helden. Ich dachte: «Genau so wie der will ich auch Radio machen.»

Was gefiel Ihnen an ihm?
Er entsprach nicht dem Klischee eines Radiomoderators, der vor allem eine gute Stimme haben und Menschen nett durch den Tag begleiten muss. Bei ihm wusste man nie, was passiert. Das ist der Kern des Radios: Du musst immer wieder überraschen. 

Die bekannte Radiostimme

Tom Gisler (44) wuchs in Uerikon ZH auf, als Arbeiterkind unter Richkids der Zürcher Goldküste. Nach einer Banklehre wechselte er bald zum Radio. Heute ist er Vater einer Tochter und arbeitet Teilzeit. Auf SRF 3 moderiert er den Freitagnachmittag, das Spoken-Word-Format «Gizzle Shizzle», die Gesprächssendung «Focus» sowie die Hintergrundsendung «Input». Oft greift er gesellschaftliche Themen auf – mal ernsthaft, mal mit einem Augenzwinkern. Im Fernsehen sah man ihn zuletzt auf SRF zwei mit der Talksendung «Letschti Rundi». In dieser diskutierte er letztes Jahr mit fussballverrückten A-, B- und C-Promis unterhaltsam über die WM.

Tom Gisler (44) wuchs in Uerikon ZH auf, als Arbeiterkind unter Richkids der Zürcher Goldküste. Nach einer Banklehre wechselte er bald zum Radio. Heute ist er Vater einer Tochter und arbeitet Teilzeit. Auf SRF 3 moderiert er den Freitagnachmittag, das Spoken-Word-Format «Gizzle Shizzle», die Gesprächssendung «Focus» sowie die Hintergrundsendung «Input». Oft greift er gesellschaftliche Themen auf – mal ernsthaft, mal mit einem Augenzwinkern. Im Fernsehen sah man ihn zuletzt auf SRF zwei mit der Talksendung «Letschti Rundi». In dieser diskutierte er letztes Jahr mit fussballverrückten A-, B- und C-Promis unterhaltsam über die WM.

In den USA gibt es Moderatoren wie Howard Stern, die Stars sind, weil sie polarisieren. Kann man das bei unserem gebührenfinanzierten Radio?
Klar, aber der Job bewegt sich natürlich in einem Spannungsfeld. Es ist vieles möglich, auch bei einem gebührenfinanzierten Sender. Das Publikum ist divers. Da kann ich nicht immer alle Ansprüche bedienen und sage auch mal, was ich denke. 

Aber es gibt doch sicher Grenzen. 
Ich darf und will mich nicht politisch äussern. 

Trotzdem beziehen Sie Stellung: Am Frauenstreiktag nahmen Sie alle Männer aufs Korn, die mit Emanzipation nichts anfangen können. 
Es ist eine Gratwanderung: Wie viel Haltung verträgt es? Wann wird sie zu einer Meinung? Was interessiert das Land meine Meinung als Privatperson? Aber dass Rassismus oder Sexismus nicht gehen, ist zwar politisch, doch darauf haben wir uns als Gesellschaft geeinigt. Da muss man auch mal Haltung zeigen. Wenn man allen gefällt, hat man als Radiomoderator etwas falsch gemacht. Man darf sich gerne an mir reiben. 

Nehmen Sie während der Arbeit wahr, dass Sie zu einem Publikum sprechen?
Radiomachen ist eigentlich eine absurde Situation. Du bist in deinem Kabäuschen und hast ein Mikrofon vor dem Mund, sprichst zu so vielen Menschen, bist aber ganz alleine. Oder vielleicht hast du noch einen Gast bei dir. 

Dabei haben so viele Leute, wie Ihnen zuhören, in keinem Stadion der Welt Platz.
Wenn ich mir das Publikum in einem Stadion vorstellen würde, und ich stehe vorne auf der Bühne, ich würde mir in die Hosen machen. Am Anfang war mir das bewusster. Das geht allen so. Das hört man der Stimme dann auch an. Man redet gepresst und holt kaum Luft, weil man froh ist, wenn es schnell vorbei ist. 

Reden Sie als Sprech-Profi privat anders: Weniger Ähs und Ähms?
Ich, Stefan Büsser, Mona Vetsch – wir alle sind Ähm-Opfer. Hören Sie jetzt aber nicht zu fest hin, sonst hören Sie es immer. Offenbar geht das vielen Leuten so. 

Kommen deswegen Beschwerden?
Sicher, und weil ich oftmals Pause mache oder stocke beim Reden. 

Warum sieht man Sie eigentlich nicht öfter im Fernsehen? Die WM-TV-Show «Letschti Rundi», die Sie letzten Sommer moderierten, war ja ein voller Erfolg.
Beim Radio bin ich für alles alleine verantwortlich: Ich bediene die Technik, bestimme den Inhalt, das Timing. Und das alles live. Was gesagt ist, ist gesagt. Beim Fernsehen wird häufig aufgezeichnet, und es arbeiten unglaublich viele verschiedene Leute mit. Ich bin dann nur noch ein kleines Rädchen, das nicht mehr alle Fäden in der Hand hat. 

Aber Sie wären ein Promi! 
Als ich «Letschti Rundi» moderierte, habe ich schon gemerkt, dass mich die Leute anschauen, wenn ich ins Restaurant essen gehe. Das ist mir unangenehm. Ich bin gerne privat, eher introvertiert. Deshalb interessiert es mich auch nicht, eine grosse Samstagabend-Kiste im Fernsehen zu machen.

Ihr Format «Gizzle Shizzle», bei dem Sie in Spoken-Word-Manier über gesellschaftliche Themen wie Sexismus, Homophobie oder Fussball slammen, kommt gut an. Wie wichtig ist Mundart für das, was Sie tun?
Mit Mundart habe ich die komplette Bandbreite, um mit der Sprache zu spielen. Es gibt so viele grossartige Mundartwörter. Vor ein paar Tagen habe ich meiner Tochter «S Totemügerli» von Franz Hohler vorgespielt. Er hat da eine Sprache kreiert, die es gar nicht gibt. Viele der Wörter, mit denen er darin das Berndeutsche persifliert, sind heute im Sprachgebrauch.

Und die wären?
I d Chnöde glöötet zum Beispiel. Oder aaschnäggele. Niemand weiss genau, was es heisst, aber alle verstehen es. Mit Mundart kann ich kreativ sein, neue Wörter erfinden. Im Hochdeutschen ist es viel förmlicher und steifer. 

Offenbar wird aber auch die Mundart immer uniformer: Die Dialekte lösen sich vermehrt zugunsten Ihres Dialekts auf, dem Züritüütsch. 
Man darf die Jugendsprache nicht vergessen. Die Klagen, wonach die Jungen nicht mal mehr richtig Deutsch können, ist doch doof. Wir brauchen diese junge Sprache. Bro oder Brudi – solche Neukreationen sind doch extrem spannend.

Ihre Tochter wird bald 13 – Sie wissen also, wovon Sie sprechen.
Genau, ich merke bei ihr auch, dass sie wie ich Freude an der Sprache hat. Ich lerne auch Wörter von ihr. Sie findet es natürlich total peinlich, wenn ich dann die gleichen Wörter benutze. Das muss man als Vater aushalten. 

Was wollen Sie Ihrer Tochter mitgeben?
Dass sie alles sein darf, was sie sein möchte. Auch wenn es heute etwas anderes ist als gestern. Sie soll sich nicht von gesellschaftlichen Rollen einschränken lassen: Mann und Frau. Oder ein Mädchen, das in der Stadt aufwächst, hat so und so zu sein. 

Sind Sie alleinerziehend?
Die Mutter und ich teilen uns die Kinderbetreuung. Wir arbeiten beide Teilzeit. Eine Woche ist unsere Tochter bei mir, eine bei meiner Ex-Partnerin.

Ein aussergewöhnliches Modell.
Für uns war es immer das einzig Logische. Aber ich stelle schon fest, dass arbeitende Mütter häufig auf ihre Doppelrolle als Mutter und Berufsfrau angesprochen werden. Wie das für mich ist, fragt niemand. 

Und wie ist es für Sie?
Man nimmt mich als Vater nicht immer ernst. Nach wie vor werden die Mütter als Bezugspersonen angesprochen. Wenn der Chindsgi einen Ausflug macht, kommt ein Schreiben nach Hause mit den Worten: «Es wäre nett, wenn noch ein paar Mamis fahren könnten.» Ein anderes Mal ist es vielleicht die Bitte, dass «ein paar Mamis einen Kuchen backen können». Du als Vater denkst dann: Darf ich keinen Kuchen backen? Ich kann das auch, ich bin auch zu Hause. Oder ein Elternabend in der Primarschule, wo nur Mütter sind – und ich. Es ist nicht so, dass die Mütter die Väter nicht dabei haben wollen. 

Die denken wahrscheinlich: So einen Gisler hätte ich auch gerne daheim.
Kann gut sein, dass andere Mütter finden, wow, der ist ja super, ich wünschte, meiner würde auch.

Das ist doch nett!
Nein, ich finde es komisch, dass du als Vater so schnell Applaus bekommst, wenn du ganz banale Sachen machst. Nur schon 80 Prozent arbeiten und einen Papitag haben macht aus uns Männern Helden. Mütter müssen sich rechtfertigen, wenn sie mehr als zwei Tage pro Woche arbeiten.

Das wäre doch Stoff für «Gizzle Shizzle». Oder für eine Bühne. Wann sieht man Sie dort?
Das ist sicher ein Thema. Aber ich schiebe es vor mir her.

Weshalb?
Bequemlichkeit. Und, weil ich Angst habe. Dann müsste ich aus dem geschützten Rahmen des Studios heraus. Wenn dich hundert Augenpaare anschauen und du im Scheinwerferlicht stehst und merkst, dass das, was du tust, beim Publikum nicht ankommt – das ist brutal. 

Trotzdem spielen Sie mit dem Gedanken.
Ja, aber ich bin grundsätzlich sehr streng mit mir selbst. Habe kein so ausgeprägtes Selbstbewusstsein, wie viele meinen. Wenn ich zum Beispiel eine Hazel Brugger auf der Bühne sehe, denke ich bei mir: An diese Leistung komme ich nie heran. 

Ihnen ging es früher sicher genau gleich.
Vielleicht, aber das Lampenfieber muss man erst einmal aushalten können.

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