Polo Hofer (71)
«Ich habe genug gelebt»

Polo Hofer (71) kämpft mit Cannabis und Musik gegen den Lungenkrebs. Auf den Tod ist er vorbereitet.
Publiziert: 20.11.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:11 Uhr
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«Meine Chancen sind 50:50. Ich habe gute Gene» Polo Hofer
Foto: Hannes Schmid
Matthias Mast

Polo Hofer (71) erwartet mich am Freitagnachmittag in Oberhofen BE in seiner Wohnstube; der Ausblick auf den Thunersee und den Niesen ist fantastisch. Auf dem Salontischchen stehen eine Flasche und ein volles Glas Rotwein, daneben liegen die neue Best-of-CD-«Balladen» des schwerkranken Mundartrock-Pioniers sowie das Porträt, das Starfotograf Hannes Schmid 1979 von ihm gemacht hat, und das 2013 Teil einer Ausstellung im Berner Kunstmuseum war.

Polo ist körperlich extrem geschwächt. Er wiegt nur noch 50 Kilo, seine Stimme tönt sehr zerbrechlich. Deshalb wollte er nicht, dass ein Fotograf mitkommt. Auch nicht Hannes Schmid.

Geistig aber ist Polo fit wie eh und je. Vor allem: Er ist gut gelaunt, scheint sich auf das Interview zu freuen. Das ist nicht immer so, wie ich weiss: Wir sind seit 20 Jahren befreundet und beide Mitglieder des legendären Berner Piri-Jassclubs in Hofers Stammlokal «Café des Pyrénées» in Bern.

Doch auch die Fotofrage löste sich: Hannes Schmid stieg in sein Archiv und fand darin drei bisher unveröffentlichte Fotografien von Polo Hofer. Die Serie aus dem Jahr 1979 zeigt er zum ersten Mal exklusiv in diesem SonntagsBlick.

SonntagsBlick: Polo, die Bilder von Hannes Schmid zeigen dich mit 34 Jahren in lockigem Haar. Erinnerst du dich noch an das Shooting?
Polo Hofer:
Mir gefällt das Foto! Wann und wo genau Hannes mich fotografiert hat, weiss ich nicht mehr. Was ich aber noch sehr genau weiss: dass ich mir für die Aufnahmen Locken und Mèches in die Haare machen liess. Dazumal schien ich für die weiblichen Fans sehr attraktiv zu sein. Groupies haben im Garten vor meiner Wohnung übernachtet, ich musste Autogramme auf nackte Frauenbrüste schreiben. Das wurde mit der Zeit nervend.

Weshalb? Für jeden Rockmusiker, der es geschafft hat, sind Groupies eine Auszeichnung!
Ja schon, aber meine damalige Ehefrau fand das gar nicht lustig. Zudem hatte sie ihre Zweifel, dass man von der Mundart-Rockmusik leben kann. Doch als ich nach dem Hit «Kiosk» mit einem Check von 80'000 Franken nach Hause kam, war alles in Ordnung.

Geschäftlich hattest du schon immer einen guten Riecher. Trotz schwerer Krankheit bringst du jetzt kurz vor der Adventszeit ein Best-Of-Album mit deinen schönsten Balladen raus. Ist das perfektes Marketing oder ein nostalgisch-melancholischer Rückblick auf dein Leben?
Weder noch. Fürs Marketing oder zur Nostalgiepflege hätte ich jetzt ein Buch schreiben sollen. Nun, vielleicht mache ich das noch.

Eine Autobiografie?
Nein, eines über die vielen Abenteuer, die ich erleben durfte. «Passagen» wäre der Titel dieses Buches.

Vorläufig gibt es jetzt eine Art autobiografische Best-Of-CD.
Kann man so sagen. Es ist genau 40 Jahre her seit meinem ersten grossen Hit «Kiosk». 1976 war die Hälfte der heutigen Bevölkerung noch nicht geboren. Mit der Best-Of-Ausgabe, die als Trilogie geplant ist, will ich diesen Nachgeborenen die Anfänge und die Entwicklung des Mundartrocks präsentieren. Im Neun-Monate-Rhythmus erscheinen dann die rockigen Songs und die Klassiker.

Du willst auch bei der jüngeren Generation Spuren hinterlassen?
Ja, das fände ich schön! Immer, wenn ich Todesanzeigen lese, denke ich an die vielen Leute, die ein stilles Dasein lebten. Die haben sicher auch Spuren hinterlassen. Doch dann gibt es noch andere, ganz grosse und tiefe Spuren wie von Shakespeare oder Churchill.

Wo siehst du dich?
Ich ordne mich irgendwo dazwischen ein: Ich hinterlasse Musik, Texte und Ideen. Die vorliegende sowie die geplanten Best-Of-CDs zeigen einen Teil dieser Spuren. Beispielsweise «Teddybär», der erste Mundart-Reggae oder «Weltschmerz», der erste Mundart-Rap. Dieser Song war übrigens Teil einer Doktorarbeit über Mundartsongs an der Universität von Michigan in den USA. Eigentlich hätte ich einen Ehrendoktor-Titel verdient (lacht).

Zurzeit hast du nicht mit Sprach-Doktoren, sondern mit Krebs-Doktoren zu tun.
Onkologen nennt man diese Spezialisten korrekt. Das Wort «Krebs» sagen die nie. Sie sprechen auch nicht von Tumor und nicht von Karzinom. Sie sagen viele andere sehr komplizierte Wörter.

Bist du zufrieden mit deinen Ärzten?
Ich habe volles Vertrauen zu ihnen, vor allem auch zum Pflegepersonal. Dieser Beruf hat für mich extrem an Ansehen gewonnen. Was die Pflegenden leisten, ist übermenschlich! Das Pflegepersonal und die Ärzte stammen zur Hälfte aus dem Ausland. Ohne sie würde unser Pflegesystem kollabieren.

Wie geht es dir?
Zurzeit lege ich eine Pause ein mit der Chemotherapie. Die Nebenwirkungen wurden zu stark. Nun erhalte ich eine Blutauffrischung. Ich habe zu wenig Blut.

Welche Chance geben dir die Ärzte, dass du den Krebs überstehst und wieder gesund wirst?
Ich habe eine 50:50-Chance. Anscheinend habe ich gute Gene. 

Liegt das in der Familie?
Vielleicht, aber es kommt noch etwas hinzu: Ich bin der Erstgeborene von vier Kindern. Meine Mutter hatte damals keine Ahnung, wie man mit einem Kleinkind umzugehen hat. Sie hat mich über zwei Jahre lang gestillt. Diese Überdosis an Muttermilch stärkte meine Gene gegen Krankheiten.

Wegen deiner Krankheit setzt du auf einen natürlichen Wirkstoff, der dir sehr vertraut ist: Cannabis, in Ölform.
Ja, das Mittel heisst Dronabinol (Polo zeigt das Fläschchen). Es kommt von der Bahnhofsapotheke in Langnau. Ich nehme täglich 5x5 Tropfen davon.

Was kostet die Therapie?
Ein Fläschchen kostet um die 100 Franken. Eines reicht für 14 Tage. Leider zahlt die Krankenkasse diese Behandlung nicht.

Nimmst du noch andere alternative Heilmittel?
Nein, aber ich erhalte täglich per Post und Mail zahlreiche Vorschläge für Wundermittel. Die meisten Ratschläge beziehen sich auf die Religion. Viele schreiben nur: Du sollst beten! Oder sie schicken mir eine Bibel. Mittlerweile sitze ich auf einer Sammlung von 15 Bibeln und noch mehr Missionsschriften.

(Polos Handy klingelt. In der Leitung ist der Musiker Hardy Hepp. Er will wissen, wie es ihm geht.)

Wirst du oft angerufen?
Ja, es rufen viele Musiker an. Sie wollen alle mit mir spielen.

Was sagt du dann?
Sie sollen noch ein wenig warten.

Denkst du, dass du noch neue Songs produzieren kannst?
Ja, aber nur für andere. Meine heutige Stimme will ich niemandem zumuten.

Dein grosses Vorbild Bob Dylan hat eine noch schlimmere Stimme – und tritt trotzdem auf.
Okay, das stimmt. Worte sind wichtiger als die Stimme.

Welche Musik hörst du derzeit?
Ich höre täglich Musik, das ist auch eine Art Medizin. Meine Lieblinge sind alle, die man unter dem Begriff «Americana» einordnen kann. Singer und Songwriter, die man kaum kennt. Aus aktuellem Anlass befasse ich mich mit Leonard Cohen.

Er ist einer von vielen Musikern, die dieses Jahr gestorben sind. Ist das Zufall oder stehen die Sterne ungünstig über der Musikwelt?
Ich denke da sehr pragmatisch. Es ist einfach jetzt diese Generation mit Sterben an der Reihe. Mit Ausnahme von Prince, das war ein Unglücksfall.

Zu dieser Generation gehörst auch du. Bist du aufs Sterben vorbereitet?
Ich gehöre zur Hippie-Generation, die hat sich bereits in jungen Jahren damit befasst. Ich bin abgeklärt und vorbereitet. Zudem hilft die Tatsache, dass meine Ehefrau sich geschäftlich mit dem Sterben befasst, mit Särgen, Urnen und allem, was das Sterben so mit sich bringt.

Hast du eine Patientenverfügung?
Das habe ich allerdings! Ich will, dass keine lebensverlängernden Massnahmen getroffen werden. Am besten wäre eine Überdosis Morphium (lacht).

Bist du Mitglied bei Exit?
Nein.

Weshalb nicht?
Ich sehe den Sinn dafür nicht, jedenfalls vorläufig noch nicht.

Hast du Angst vor dem Tod?
Nein, ich habe keine Angst vor dem Tod! Ich habe genug gelebt. Wenn es mich nimmt, dann nimmt es mich. Und wenn der Vorhang fällt, dann muss man von der Bühne. Ich kann nur lachen über die Ängste, welche die Leute vor dem Tod haben. Dabei ist doch die einzige Gerechtigkeit auf dieser Welt die Tatsache, dass es alle putzt.

In einem Satz: Was soll die Nachwelt über dich sagen?
Polo Hofer war ein regionales Universalgenie.

Best of Polo

Die 17 wichtigsten Balladen aus 40 Jahren: Polo Hofer präsentiert eine von ihm selbst zusammengestellte Best-of-CD mit Songperlen wie «Vermisse Di», «Rote Wy», «Die gfallene Ängel», «Stets i Truure» oder «I chume nid los». Alle Songs sind neu digital remastered, das Jacket (Foto) in ansprechendem Layout mit goldenem Schriftzug gestaltet. «Balladen», Teil I einer geplanten Best-of-Trilogie, kommt am Freitag in die Läden.

Die 17 wichtigsten Balladen aus 40 Jahren: Polo Hofer präsentiert eine von ihm selbst zusammengestellte Best-of-CD mit Songperlen wie «Vermisse Di», «Rote Wy», «Die gfallene Ängel», «Stets i Truure» oder «I chume nid los». Alle Songs sind neu digital remastered, das Jacket (Foto) in ansprechendem Layout mit goldenem Schriftzug gestaltet. «Balladen», Teil I einer geplanten Best-of-Trilogie, kommt am Freitag in die Läden.

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