Was erleben Eltern, die ihr geliebtes Kind an eine tödliche Krankheit verlieren? Und was machen sie durch, wenn das Schicksal so brutal und schnell zuschlägt? Wie können sie wieder Kraft finden, welche Rituale helfen dabei? Olympiasieger Donghua Li (51) verlor seinen siebenjährigen Sohn in nur vier Tagen. Der kleine Janis bekam am Freitag Bauchschmerzen – am Dienstag war er tot. Der bekannte Kinder- und Jugendpsychologe Allan Guggenbühl (67) hat immer wieder Eltern und Kinder während Sterbeprozessen betreut. Im BLICK gibt er Antworten.
BLICK: Das Kind innert Tagen an den Krebs verlieren. Eigentlich unvorstellbar. Was passiert mit Eltern in so einer tragischen Situation?
Allan Guggenbühl: So ein Ereignis ist ein immenser Schock, traumatisch für alle Betroffenen. Es ist der schlimmstmögliche Vorfall überhaupt im Leben. Für die Eltern beginnt damit ein langer Prozess. Man kann so ein Ereignis mit den Jahren verarbeiten, aber es ist ein langer, schwieriger Weg.
Warum ist die Verarbeitung so schwierig?
Es besteht immer die Gefahr, dass man sich unbegründet Vorwürfe macht als Vater und Mutter. Effektiv handelt es sich aber um einen Schicksalsschlag, den man auch als liebevolle Eltern nicht verhindern konnte. Das Brutale ist, dass solche Vorwürfe an sich selber leider sehr oft kommen. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass das Schicksal oft aus heiterem Himmel zuschlägt. Es ist schlicht grausam.
Was ist anders, ob man ein Kind ganz schnell verliert oder wenn das Sterben länger dauert?
Wenn eine längere Leidenszeit vorausgeht, dann kann man sich langsam vom Kind verabschieden. Man hat Zeit, mit ihm Gespräche zu führen, Rituale auszuüben. Man kann Dinge sagen, die man sonst nie sagen würde. Auch das ist schwierig, aber es ist unter Umständen erträglicher als ein unmittelbarer Verlust, der kaum zu verkraften ist.
Sie sprechen von Ritualen. Können Sie das näher ausführen?
Die Umgebung – Familienangehörige, Freunde oder Nachbarn sind oft überfordert mit der Situation. Sie weichen vielfach aus, wollen mit den betroffenen Eltern gar nicht mehr reden. Dann ist es wichtig, dass man gemeinsame Formen findet, um wieder Nähe zu gewinnen. Man kann gemeinsam einen Anlass organisieren, eine Zeremonie gestalten. Das heisst, Eltern können zu Hause eine Art Abschied gestalten, wo man den nahen Tod eines Kindes gemeinsam verarbeiten kann. Oft kann so etwas in einem religiösen Rahmen stattfinden, auch das hilft oft.
Wie erklärt man einem Kind, dass es bald sterben muss?
Einerseits, in dem man ihm Geschichten erzählt, aber auch über den Glauben. Ich weiss von einem kleinen Mädchen, das selber solche Geschichten entwickelte. Eine handelte vom Pferdeparadies, in welchem die Rösslein im Himmel glücklich sind. Dies half ihr, Ängste zu mildern und sich auf den Tod vorzubereiten.
Und wenn nur wenig Zeit bleibt – oder ein Gespräch gar nicht mehr möglich ist, weil das Kind vielleicht nach einem Unfall im Koma liegt?
Dann muss man mit sich selber reden, einen innerlichen Prozess durchführen. Solche Dialoge mit sich selber sind wichtig, sie sind eine ganz besondere Form der Verabschiedung. Man kann das Kind auch berühren und so mit ihm reden. Oder beten. Auch das hilft.
Es gibt einen preisgekrönten italienischen Film, «Das Zimmer meines Sohnes», aus dem Jahr 2001. Darin verliert – übrigens ein Psychiater – seinen Sohn infolge eines Tauchunfalls. Die Familie zerbricht fast an gegenseitigen Vorwürfen. Inwiefern ist der Tod eines Kindes eine Belastung für eine Beziehung?
Der Tod ist immer eine enorme Belastung, viele Beziehungen zerbrechen am Verlust eines Kindes. Der Sohn oder die Tochter sind das Resultat dieser Beziehung, und dieses Produkt der gemeinsamen Liebe fehlt plötzlich. Strukturen verändern sich, die Dynamik zerfällt. Die Beziehung muss neu aufgegleist und neu definiert werden, sonst zerbricht sie.
Wie kann man die Trauer überwinden?
Man trauert ein Leben lang um ein Kind. So ein Schmerz hört nie auf. Aber mit der Zeit steht das Leiden nicht mehr im Vordergrund. Den Verlust innerlich zu verarbeiten, ist aber fast unmöglich. Trotzdem kann man irgendwann wieder ein gutes Leben führen.
Muss man irgendwie loslassen können?
Die Zeit heilt Wunden, das Leben holt die Trauernden mit den Jahren wieder zurück. Zumindest ein Stück weit.
Viele Eltern haben jetzt Angst. Aber Bauchschmerzen bedeuten ja nicht gleich, dass ein Kind gleich Krebs hat. Wie kann man Panik vermeiden?
Man muss nach bestem Wissen und Gewissen handeln, Eltern sollten jetzt nicht in Panik geraten. Man muss sich auch vor Augen halten: Gewisse Krankheiten kann man einfach nicht voraussehen.
Was wünschen Sie Donghua Li für die Zukunft?
Dass er trotzdem seinen Leidenschaften nachgehen kann und die Freude am Leben langfristig wieder findet.
Allan Guggenbühl, geboren 1952, ist der Sohn des Psychiaters und jungianischen Psychoanalytikers Adolf Guggenbühl-Craig (1923–2008) sowie einer schottischen Bildhauerin. Sein Grossvater war der Publizist und Verleger Adolf Guggenbühl. Er wuchs in Omaha und später in Zürich auf. Nach einer Ausbildung zum Primar- und Reallehrer liess er sich 1974/75 in Mexiko-Stadt bei Manuel Lopez Ramos zum klassischen Gitarristen ausbilden. Guggenbühl ist Leiter des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich. Daneben hat er eine eigene Praxis in Zürich.
Allan Guggenbühl, geboren 1952, ist der Sohn des Psychiaters und jungianischen Psychoanalytikers Adolf Guggenbühl-Craig (1923–2008) sowie einer schottischen Bildhauerin. Sein Grossvater war der Publizist und Verleger Adolf Guggenbühl. Er wuchs in Omaha und später in Zürich auf. Nach einer Ausbildung zum Primar- und Reallehrer liess er sich 1974/75 in Mexiko-Stadt bei Manuel Lopez Ramos zum klassischen Gitarristen ausbilden. Guggenbühl ist Leiter des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich. Daneben hat er eine eigene Praxis in Zürich.
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