Der Nebel schmiegt sich sanft ans dichte Moos, zwischen den hohen Tannen scheint die Luft stillzustehen. Hier gehen sonst nur Füchse oder Hasen durch – und Rehe.
Am ersten Jagdtag im Oktober ist auch Renate König-Fahrni (37) unterwegs, die zierliche Berner Oberländerin hat das Gewehr ihres Grossvaters geschultert. «Man kann die Wege der Rehe deutlich erkennen. Hirsche können je nach Situation richtige Autobahnen hinterlassen, damit sie sich schnell davonmachen können», erklärt sie.
Die schönste Zeit im Jahr
Es ist Jagdsaison, für König-Fahrni die schönste Zeit im Jahr. Von Anfang September bis Mitte November tauscht die Pflegefachfrau ihr Spitalgewand, so oft es geht, gegen die dunkelgrüne Jagdkleidung. Dann wird aus der stellvertretenden Stationsleiterin des Spitals in Zweisimmen BE die «Königin der Jäger». Alle zwei Jahre wird eine Botschafterin für die Jagd gewählt, König-Fahrni trägt den Titel «Schweizer Jägerin» noch bis Februar 2020. Von 30'000 Jägern in der Schweiz sind 1500 Frauen, Tendenz steigend.
Schon als Mädchen mit dem Vater auf der Pirsch
Schon als Zwölfjährige hat König-Fahrni ihren Vater in der Morgendämmerung in den Wald begleitet und Blut geleckt, allerdings in einem etwas anderen Sinne. «Mir geht es um das Erlebnis in der Natur, man nimmt sie auf einer anderen Ebene wahr.» Ein Gefühl, das nur schwer zu beschreiben sei. König-Fahrnis helle Augen heften sich konzentriert an das Grün des Waldes. Ihr Vater Ernst Fahrni (62) ist bereits vorausgegangen, auch heute ist sie regelmässig mit ihm und Mutter Daniela (62) unterwegs. Zur Jagdgruppe in Eggiwil im Emmental gehören auch Alex Wäfler (43) und Fritz Röthlisberger (74). Die beiden haben sich weiter oben im Wald postiert, während König-Fahrni und ihr Vater mit den drei Hunden bei der sogenannten Lauten Jagd die Treiber sind. «Die Hunde nehmen die frischeste Fährte auf und verfolgen sie.»
Kommunikation mit Horn statt Handy
Welchen Fluchtweg die Tiere letztendlich wählen, kann der Hund nicht beeinflussen. Dem Wild stehen viele Möglichkeiten offen, der Jäger kann das nur aufgrund seiner Erfahrung und seines Instinkts abschätzen. Dann fällt der erste Schuss. Abgedrückt hat aber nicht die junge Jägerin, sondern ihre Mutter. Durch den Nebel des Waldes erklingt ein Horn – es signalisiert, ob eine Rehgeiss, ein Jungreh oder ein Bock getroffen wurde. Das Horn dient zur Verständigung, auch um Unfälle zu vermeiden. Aufs Handy wird wenn möglich verzichtet. Bald darauf durchbricht ein zweiter Schuss die Stille.
Die Körper der Rehe sind noch warm
Als wir auf die erlegten Tiere treffen, sind ihre Augen starr und die Körper noch warm, Blut ist kaum zu sehen. «Beim Schrotschuss sterben die Rehe durch den Schock», erklärt König-Fahrni. Im Mund des Jungrehs steckt bereits ein Zweig, «der letzte Bissen», am Knöchel wird ein «Bracelet» angebracht. «Ohne diese Markierung ist es Wilderei.» Rituale, Regeln und Tradition werden bei dieser Jagdgruppe grossgeschrieben. So darf das erlegte Tier beispielsweise nicht «überstiegen» werden – aus Respekt. Eines der erlegten Rehe war krank, die Gruppe hatte es bereits zuvor beobachtet. «Es hatte Durchfall und war abgemagert», erklärt Renates Mutter. Sie ruft den Wildhüter an, er wird das Tier später begutachten und abholen.
Für diese Jagdgruppe gehört es dazu, auch schwächere und kranke Tiere zu erlegen. Die Schützin wird vom Wildhüter später ein Bracelet zurückbekommen. Pro Reh zahlt der Jäger 200 Franken, König-Fahrni löst pro Saison zwei bis drei. Das genüge ihr, eines der Tiere verkaufe sie an ein Restaurant, die beiden anderen behält sie für sich. «Profit kann und will ich damit nicht machen. Es gibt genügend Rehe, aber auch Grenzen», so die Jagdbotschafterin.
Die Jägerin gerät selbst ins Schussfeld
In ihrer Rolle gerät sie selbst ins Schussfeld, die Pflegefachfrau wurde schon als «Mörderin» bezeichnet. «Ich bin offen für Kritik, aber solche Worte schmerzen.» Tatsache ist, dass sich ihr Fleischkonsum durch die Jagd verändert hat. «Ich mache mir viel mehr Gedanken und bin bewusster geworden. Ich esse quasi nur noch mein eigenes Fleisch.» Wenn sie später daheim ein Stück davon zubereitet, dann erfülle sie das mit Stolz: «Es mag merkwürdig klingen, aber ich weiss, dass dieses Tier ein schönes und freies Leben geführt hat – und ich weiss, wie es zu Tode gekommen ist. Dahinter kann ich voll und ganz stehen.»
Ein Leckerbissen für den Fuchs
Beim Ausgangspunkt hat sich die Gruppe mit einem Zeltdach eingerichtet. Etwas abseits im Wald geht es an die «rote Arbeit», das Ausweiden der Tiere. Blut fliesst erst jetzt. Die Innereien werden vorsichtig herausgelöst, dabei darf der Darm nicht beschädigt werden, weil sich sonst Bakterien verbreiten können. Ausser Leber, Niere und Herz wird das meiste der Innereien im Wald zurückgelassen – in der Nacht ein Leckerbissen für den Fuchs. Die noch warme Rehleber wird in einem Plastikbeutel versorgt, sie gilt als Delikatesse. Später wird am langen Tisch aus der Gamelle «Spatz» serviert, eine Rindfleischsuppe mit Gemüse. «Wir tragen mehr Fleisch in den Wald hinein als heraus», so der Vater von Renate König-Fahrni.
Die Jägerin geht mit leeren Händen heim
Insgesamt vier Rehe wurden an diesem Tag geschossen. Das sei viel, meistens gehe man mit leeren Händen heim, so König-Fahrni. «Das gehört dazu, traurig bin ich deshalb nicht.» Denn selbst wenn die Möglichkeit zum Schuss besteht, drückt sie nicht immer ab: «Es gibt Momente, in denen ich es nicht übers Herz bringe. Weil das, was ich beobachte, einfach so schön ist.» Manchmal sei es auch die Nähe und Verbindung, die zu einem Tier entstehe. König-Fahrni verlässt sich ganz auf ihr inneres Gefühl. «Erst dann, wenn ich nichts mehr empfinde, muss ich das Jagen ernsthaft überdenken.»
Zum Abschluss stellen sich die Jäger neben die erlegten Tiere, nehmen die Hüte ab und erweisen ihnen mit einer Melodie aus dem Jagdhorn die letzte Ehre. Weidmannsheil!
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