Missionarstochter Christina Krüsi (48) wurde als Kind jahrelang vergewaltigt
«Die Kunst hat mich gerettet»

Jahrelang vergingen sich pädophile Bibelübersetzer an Christina Krüsi. Dank der Kunst konnte sie die schlimmen Erinnerungen überwinden.
Publiziert: 30.09.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 13:55 Uhr
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Christina Krüsi: «Ich lasse mir den Glauben an die Gerechtigkeit nicht nehmen. Sie kommen dran, und wenn es erst in der Hölle ist.»
Foto: Toini Lindroos
Cinzia Venafro (Text), Toini Lindroos (Fotos)

Ein langer, roter Bart. Das Schreien eines Kleinkindes. Das Wort «Schmerzensgeld». Sieht, hört oder liest Christina Krüsi (48) diese Dinge, blitzen Bilder der Hölle in ihr auf. «Heute weiss ich, wie ich solche Flashbacks bewältigen kann, ohne dass sie Besitz von mir nehmen», sagt die Winterthurerin. «Ich bin kein Opfer mehr.»

Opfer und «Freiwild», wie sie sagt, war die Tochter ­eines christlichen Missionarenpaars zwischen ihrem fünften und elften Lebensjahr. Im bolivianischen Urwald vergingen sich pädophile Bibelübersetzer systematisch an Krüsi und an rund zwanzig weiteren Kindern. Nach der Schule, auf dem Heimweg, während der Sonntagsschule. Die Opfer berichten gar, die ­rituelle Ermordung eines Babys gesehen zu haben. Diese Bilder des Schreckens wird das Mädchen Christina nicht mehr los, ihre Lippen bleiben aber lange versiegelt. «Damals durfte nur die Leinwand wissen, woran ich mich erinnere», sagt sie. «Sonst war da nur Scham und Angst.»

Mitte dreissig – die gelernte Lehrerin ist mittlerweile zweifache Mutter, hat mit
19 Jahren ein Mitglied ihrer Freikirche geheiratet und war mit ihm als Missionarin einige Jahre in der Elfenbeinküste – bricht Christina Krüsi beim Joggen zusammen. Danach beginnt sie, statt das Geschehene mit Pinseln und Händen auszudrücken, darüber zu sprechen. «Meine Ehe ist daran zerbrochen», sagt sie. «Mein Mann konnte weder mit meinem Schweigen noch mit dem offenen Reden über das Verbrechen leben.» Krüsi kehrt der Freikirche den Rücken, «weil ich endlich selbst anfing zu denken».

In «Das Tagebuch der Chris­tina Krüsi» hat sie ihr Werk in Buchform gebracht und zu jedem Bild eine Entstehungsgeschichte geschrieben. «Meine Kunst hat mich gerettet», sagt sie. «Bei der Aufarbeitung der Gemälde und Skulpturen wurde mir bewusst, wie mein Unterbewusstsein das Schweigen auch ohne Worte zu brechen vermochte.» 

Mit ihren Eltern hat Christina Krüsi seit der Veröffentlichung ihrer Geschichte gebrochen. «Meine Mutter sagte, sie sei auf der Welt, um die Bibel zu übersetzen. Und nicht um Kinder zu schützen.» 

Den Schutz aber will Christina Krüsi jetzt ihren Söhnen Raphael (26) und Timon (24) gewähren. Die Glaubensgemeinschaft verfolge sie bis heute, beteuert sie. «Als ich mich von der Freikirche abwandte, wurde ich terrorisiert. Jetzt, wo ich die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen will, fürchte ich um das Leben meiner Liebsten.» 

Den Willen, die Täter anzuzeigen, hat sie, doch: «Die Kraft dazu sammle ich noch.» Mit den anderen Opfern von damals ist Christina Krüsi im ständigen Austausch. «Ich lasse mir den Glauben an die Gerechtigkeit nicht nehmen. Sie kommen dran, und wenn es erst in der Hölle ist.»

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