Miss Schweiz über Tinder, Eifersucht und harsche Kritik
«Die Leute denken oft, ich bin arrogant»

Die 19-jährige Jastina Doreen Riederer aus Spreitenbach im Aargau ist die schönste Frau des Landes. Die frisch gekürte Miss Schweiz über Tinder, Eifersucht und Mobbing.
Publiziert: 19.03.2018 um 08:46 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:00 Uhr
So wohnt die neue Miss Schweiz
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Zu Hause bei der neuen Miss:Jastina Doreen zeigt ihre Märchenwelt
Alexandra Fitz

In lackschwarzen Plateaustiefeletten schreitet sie auf den Schulhof. Es windet, die frisch gekürte Miss Schweiz zieht ihren beigefarbenen Trenchcoat zu. Jastina Doreen Riederer besucht ihre ehemalige Primarschule in Spreitenbach AG. Vor zehn Jahren war sie hier eine Einzelgängerin. Wurde gemobbt. Heute, ein paar Tage nach der Wahl, ist die Welt eine andere. Jastina (19) ist keine Aussenseiterin mehr, sie steht im Mittelpunkt. Drei kleine Mädchen kommen angerannt und schreien: «Jastina! Jastina!» Ihre Rufe verstummen, als sie sich an den Körper der jungen Frau drücken. Jastina herzt die kleinen Mädchen. Sie ist überglücklich. Elisa, Anduena und Alina sind die Kinder einer Arbeitskollegin. Diese sagt: «Ich wusste von Anfang an, dass Jastina gewinnt!»

Jastina Doreen Riederer ist Miss Schweiz 2018. Letztes Wochenende wurde ihr die Krone aufgesetzt. Dass sie nach Lauriane Sallin, Gewinnerin von 2015, noch einmal eine junge Frau trägt, war lange unsicher. Seit Jahren sind die Missen vom Aussterben bedroht. Kein Geld, kein Sender, kein Interesse. Nun gibt es einen erneuten Versuch – und er beginnt mit Jastina. Die steht jetzt unter «positivem Stress». Geschlafen hat sie kaum. Täglich stehen Journalisten vor dem Haus. Und die Miss öffnet stets perfekt gestylt und lächelnd die Tür.

Auf den Schulhof in Spreitenbach strömen immer mehr Kinder: «Ist sie das?», tuschelt eine Mädchengruppe. «Oh mein Gott, das ist sie!», kreischen sie dann. Eine Schülertraube hat sich um Jastina gebildet. Sie wollen Selfies. Ihre kleinen Freundinnen weichen keinen Meter von der Miss Schweiz, sie streicheln ihr Haar. Ihre glücklichen Gesichter scheinen ihren Gschpändli sagen zu wollen: «Wir kennen die neue Miss Schweiz. Wir sind Freundinnen.» Dieses Mal verlässt Jastina den Schulhof strahlend. Sie ist jetzt ein Star.

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Jastina Doreen kriegt viele Komplimente - von Männern.
Foto: Anja Wurm

Frau Riederer, Sie sind Single. Warum?
Jastina Doreen Riederer: Weil ich etwas Ernstes suche. In der heutigen Zeit ist das schwierig. Auch wegen Social Media. Man kann jemanden haben. Ich lasse mir Zeit. Wenn ich merke, es ist was Ernstes, lass ich mich gerne darauf ein. Ansonsten konzentriere ich mich lieber auf anderes.

Es gab noch nie einen Mann, bei dem Sie dachten, das ist ernst?
Doch, aber ich täuschte mich.

Sie haben gesagt, dass Sie schon ausgenutzt wurden. Was meinen Sie damit und wie haben Sie das gemerkt?
Das war ein Bauchgefühl. Man hat ein Gespür dafür. Der Mann wollte mich nur als Vorzeigefrau. Er hat sich nur für das Optische interessiert, aber nicht für mich als Person.

Werden Sie oft auf Ihr Äusseres reduziert?
Ja. Die Leute denken oft, dass ich arrogant bin. Aber das bin ich überhaupt nicht. Wenn man mich kennt, spürt man das.

Sind Sie auf Tinder?
Nein, das ist nicht so mein Ding.

Wo lernt man heutzutage in Ihrem Alter Männer kennen?
Das ist die Frage. Das wüsste ich auch gerne. Haben Sie einen Tipp?

Ich weiss es auch nicht.
Wenn ich das wüsste, würde ich gerne dahin.

Im Ausgang?
Es kann überall sein. Im Ausgang ist es mir aber noch nicht passiert.

Aber Sie gehen in den Ausgang?
Ich hatte mal eine Phase, da ging ich mit Kolleginnen in den Ausgang. Aber es ist nicht mein Ding jedes Wochenende feiern zu gehen.

Jastina lebt mit Mutter Teresa (56) zusammen. Einen Mann gibt es keinen mehr im Haus. Ein Haus, das man nicht im Industriegebiet von Spreitenbach erwartet. Bei den Riederers ist alles rosa und weiss. Gar Chihuahua-Hündchen India trägt ein rosa Mäntelchen. Ein Puppenhaus für zwei Frauen. Die beiden ­haben eine sehr enge Beziehung, sind beste Freundinnen und haben das gleiche Tattoo. Ein schli.

Was ist Ihnen an einem Mann wichtig?
Dass er grösser ist als ich. Ansonsten schaue ich auf die Augen, sie sind der Spiegel der Seele. Und eine sympathische Art sollte er haben. Das Wichtigste ist mir Treue.

Im BLICK verraten die beiden Frauen: Der Vater wurde letztes Jahr aus dem Haus verbannt. Jastina sagt: «Er hat sich gegenüber meiner Mama sehr unfein verhalten.»

Bis ans Lebensende zusammen sein - wünschen Sie sich das?
Ja. Heiraten, Kinder, ein eigenes Häuschen. Das ist mein grösster Traum. Aber erst mache ich Karriere und möchte auf der ganzen Welt rumreisen.

Glauben Sie, ewiges Familienglück ist überhaupt noch möglich?
Ja, ich denke schon.

Mutter Teresa sagt in einem Interview nach der Wahl, dass ihre Tochter sehr romantisch sei. Das habe sie von ihr. Im Haus der beiden spürt man diese Romantik: Überall hängen Spitzenkleider an Bügeln, auf den Spiegeln stehen Sprüche über Liebe und Glück. Jastina hält mit 19  an der romantischen Vorstellung vom ewigen Familienglück fest. Das, obwohl sie gerade erfahren musste, wie zerbrechlich Liebe sein kann. Mutter und Vater trennten sich vor einem Jahr. Jastina wollte zunächst keinen Kontakt zu ihm. Jetzt scheinen sie sich wieder anzunähern.

Sie sind in Spreitenbach aufgewachsen. Dieses grosse Haus passt nicht wirklich in die Umgebung. Es fällt auf. Wie war das für Sie?
Das war zum Teil sehr schwierig. Die Eifersucht spielte eine grosse Rolle. Wo ich wohne, macht keinen Unterschied. Deshalb bin ich nicht hochnäsig. Ich kann ja nichts dafür, dass ich hier reingeboren wurde.

Spreitenbach: 11'000 Einwohner, fast ein Viertel ist jünger als 20. Spreitenbach hat im Kanton Aargau mit Abstand den höchsten Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund (über 50). Auch die Sozialhilfequote ist mit 5,4 Prozent kantonsweit am höchsten. Spreitenbach steht als Synonym für einen sozialen Brennpunkt.

Haben Sie Freundinnen aus der Schule heimgebracht?
Manchmal, aber meist haben wir draussen gespielt. Aber ich hatte nicht sehr viele Freundinnen in der Primarschule.

Warum, waren die eifersüchtig?
Eifersucht kommt schnell auf. In der Schule hatte ich es nicht einfach. Ich war anders als die anderen. Ich war ein Aussenseiter, weil ich mich für anderes interessiert habe.

Für was?
Ich habe gemodelt und mich für Mode interessiert.

In der Schweiz will keine Modelagentur Jastina Doreen Riederer unter Vertrag nehmen. Das klagte die Aargauerin letztes Jahr im BLICK. Sie müsste bereit sein, ihre Haare zu schneiden. Das ist Jastina nicht. An ihr Haar darf nur Mami. Sie schneidet sie jedes halbe Jahr drei bis vier Zentimeter. In einem Video der «Schweizer Illustrierten» enthüllt sie das Rezept der Haarmaske. Ihre Mutter arbeitet sie Strähne für Strähne ein. Bei der Familie Riederer scheinen Schönheitswettbewerbe hoch im Kurs zu sein. Der ältere Bruder von Jastina machte bei der Mister-Zürich-Wahl mit. Für den Aargauer reichte es nicht. 

Haben Sie heute Freundinnen?
Ja, durch die Lehre habe ich zwei, drei gute Kolleginnen gefunden. Ich halte meinen Freundeskreis klein. Ich habe gerne wenig aber gute Freundinnen.

In Ihrem Zimmer ist ein Gemälde von Ihnen. Keine Selfies mit Freundinnen oder Ferienfotos. Sind Sie eher Einzelgängerin?
Gar nicht. Ich liebe es, in einer Gruppe zu sein. Ich bin erst 19 und hatte noch nicht die Möglichkeit mit meinen Kolleginnen in die Ferien zu gehen. Das Gemälde von mir war ein Geschenk von einer Person. Ich finde es schön, deswegen hängt es auch bei mir.

Wer hat es gemalt?
Ein Kollege von uns.

Haben Sie die #MeToo-Debatte mitbekommen?
Ein bisschen.

Was löst es bei Ihnen aus?
Mann und Frau sollten gleichberechtigt sein. Frauen haben genau gleich viel zu sagen. Das sollte respektiert werden.

Haben Sie es schon einmal erlebt, dass ein Mann Sie angegrapscht oder etwas Anrüchiges sagt?
Nein. Ich habe Lehre ja auch in einem Damenmodegeschäft gemacht und mehrheitlich mit Frauen gearbeitet – daher wurde ich damit nicht so konfrontiert.

Da arbeiten Sie jetzt nicht mehr?
Nein, seit einem Jahr nicht mehr. Nach der Lehre fingen die Castings zur Miss Schweiz an. Ich habe in der Zwischenzeit einen weiteren Job gesucht und ein Angebot erhalten. Gleichzeitig kam aber das Angebot, ins Missencamp zu fahren. In der Probezeit ist es immer ein bisschen blöd zu fehlen. So entschied ich mich fürs Camp. Mit der Option, das Angebot später wahrnehmen zu können, falls es nicht klappt.

Das kommt nicht mehr in Frage?

Nein. Jetzt bin ich gut beschäftigt mit den Aufgaben der Miss Schweiz.

Was wollen Sie als Miss Schweiz erreichen?
Ich habe eine Botschaft an alle Frauen: Sie sollen sich so lieben und so akzeptieren, wie sie sind. Und ich möchte Mobbing an Schulen stoppen, das liegt mir sehr am Herzen. Ich habe das Mädchen, das sich in Spreitenbach das Leben genommen hat, persönlich gekannt. Es kann nicht sein, dass ein 13-jähriges Mädchen sich das Leben nimmt, weil es gemobbt wird. Das muss aufhören.

Woher kannten Sie das Mädchen?
Sie hat in Spreitenbach gewohnt und war auf derselben Schule wie ich. Sie hat bei mir Kleider gekauft und ich habe sie beraten.

Ist es nicht einfach zu sagen, akzeptiert euch, wie ihr seid, wenn man so aussieht wie Sie und zur schönsten Schweizerin gekürt wurde?
Vielleicht, aber Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Jeder darf sein, wie er will. Klar darf jemand etwas für seine Figur machen, wenn er sich unwohl fühlt. Aber Ziel sollte es sein, dass man zufrieden mit sich und seinem Körper ist.

Wie haben Sie das gelernt? Sie haben sich ja auch nicht immer akzeptiert: So haben Sie sich als Schülerin runtergehungert, bis Sie ins Spital mussten.
Ich kann es nicht sagen. Das alles hat mich stark gemacht. Ich bin froh, dass ich das erlebt habe. Das macht mich zu dem Menschen, der ich jetzt bin.

Auf Social Media zeigen Sie sich makellos. Könnten sich nicht gerade junge Frauen schlecht fühlen?
Im Gegenteil. Ich versuche, mich authentisch zu präsentieren. Im Jahr 2018 ist alles perfekt auf Instagram präsentiert. Aber das ist nicht die Wahrheit. Deswegen schaue ich, dass es nicht so rüberkommt. Denn das Leben ist nicht so perfekt.

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Die Missen in der Schweiz wären fast ausgestorben

Es ist so eine Sache mit der Miss Schweiz. Ab 1976 wurde die Wahl von der Miss Schweiz Organisation veranstaltet. Der Schönheitswettbewerb war ein grosses TV-Ereignis im Schweizer Fernsehen. Dann stieg der Sender aus. Der Wettbewerb verlor an Bedeutung. Unternehmer Guido Fluri kaufte die Marke 2012. Neu sollte die Miss nicht mehr nur schön sein, sondern auch eine Wohltäterin. Das währte nicht lange. 2017 übernahm ein Team um Angela Fuchs die Miss-Wahl. Es geht nun wieder «bloss» ums Aussehen. Eigentlich sollte der Privatsender 3+ die Wahl live übertragen, doch es gab Konflikte. Sat.1 Schweiz sprang in die Bresche. So gibt es mit Jastina Doreen Riederer wieder eine Miss Schweiz. Und was man schon weiss: Nächstes Jahr gibt es wieder eine Schönheitskönigin.

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