Noch immer erschrickt er, wenn sich ihm jemand überraschend von hinten nähert. «Wenn jemand drängelt oder schnell daherkommt», sagt Beat Schlatter (57). Dann erinnert sich sein Körper in Bruchteilen von Sekunden an das traumatische Erlebnis. Es ist knapp vier Jahre her, dass der Schauspieler am Bahnhof Meilen ZH auf den Zug wartet. Aus dem Nichts und am helllichten Tag wird Schlatter brutal von hinten attackiert. Nach zwei Schlägen liegt er bewusstlos am Boden. «Zum Glück, vielleicht hätte er sonst noch länger auf mich eingeschlagen.» Der Angreifer Massimo R.* ist Kampfsportler, die Verletzungen gravierend.
Inzwischen ist der Täter tot. Schlatter hat letzte Woche zufällig davon erfahren, verstorben ist der 44-jährige Italiener bereits am 22. Oktober in Herrliberg ZH. «Trotz seiner Tat berührt mich das», sagt Schlatter, der seinem Peiniger nur noch ein einziges Mal beim Staatsanwalt begegnet ist. Obwohl klar ist, dass der Täter psychisch krank war, Drogenprobleme hatte und die Attacke auch nicht dem Schauspieler persönlich galt, sei ein solcher Angriff schwer zu verdauen. «Vergessen kann man so etwas nie.» Zwar entschuldigte sich Massimo R. später bei Schlatter, «aber ich spürte keine echte Reue von ihm».
Eine Kerze für seinen Peiniger
Dennoch zündete Schlatter am Freitag für den Verstorbenen in der Kirche eine Kerze an. Er tut das regelmässig für Freunde in Not oder seine toten Eltern. «Ich bin kein grosser Kirchgänger, aber ich versuche mich an christliche Werte zu halten. Auch wenn ich ab und zu wieder aus der Kurve schleudere», meint er mit seinem lausbübischen Grinsen. Doch dann wird er wieder ernst. «Wer vergeben kann, der kann auch loslassen», sagt er über Massimo R.
Etwas, was der reformierte Pfarrer Andrea Marco Bianca (56) bestätigt. «Dazu gibt es sogar Untersuchungen», sagt er. «Denn solange man einem Peiniger nicht verzeihen kann, bestimmt dessen Tat auch die eigene Gefühlswelt.» Darum gehen solche Rituale über sie Symbolik hinaus. Sie befreien einen tatsächlich und können im Innenleben viel verändern», erklärt Bianca.
Sein heilsamer Humor ist Schlatters Glück
Als traumatisiert möchte sich Schlatter trotz gravierender Verletzungen nicht bezeichnen, er lag mit Schnittwunden und Prellungen mehrere Tage im Universitätsspital. Die sind heute alle gut verheilt, aber in gewissen Dingen ist er sensibler geworden: «Wenn ich in der Zeitung von einem ähnlichen Fall lese, dann fühle ich mit den Betroffenen viel mehr mit. Denn ich weiss, wie sich das anfühlt.» Und zum Glück verfügt er auch über einen heilsamen Humor. Als ihn kürzlich ein Velofahrer auf dem Trottoir beim Überholen streifte, erschrak er so sehr, dass der Velofahrer stürzte. Passiert ist nichts. «Als das Malheur geklärt war, konnten wir darüber lachen und machten Duzis.»
* Name bekannt