BLICK: Was ist das Wichtigste, das Sie in 53 Jahren gelernt haben?
Marco Rima: Dass ich nicht mehr auf jeder Welle surfen muss. Ich nehme heute nur noch diejenigen, die mir Spass machen. Früher sprang ich auf jedes Brett, bin deswegen auch oft auf die Schnauze gefallen. Das Alter lehrte mich, dass es auch in ruhigen Gewässern schön sein kann.
In Ihrem Programm «Made in Hellwitzia» nehmen Sie trotzdem eine neue Welle: Sie versuchen sich als Rocksänger.
Wir spielen Songs, die wir auch in einem Rockklub dröhnen könnten. Musik begleitet mich aber schon meine ganze Karriere. Mein erstes Solo-Programm «Keep Cool» Anfang der 90er-Jahre war ein Comedy-Musical. Nun haben wir erstmals richtige Songs geschrieben.
Mit dem neuen Lied «Chuchichäschtli» wollten Sie sogar zum Eurovision Song Contest ...
Wir haben aber leider den Eingabetermin verpasst! Ich finde den Eurovision super. Je verrückter, umso besser! Abgesehen davon gibt es nicht mehr viele TV-Shows, die sich voll der Unterhaltung, sei es Musik oder Comedy, widmen. Schon gar nicht in der Schweiz.
Bedauern Sie das?
Wir haben in unserem Land sehr viele tolle Autoren, Musiker, Comedians ... Aber die bekommen beim Schweizer Fernsehen kaum mehr ein Forum, höchstens in einer Castingshow. Oder dann müssen sie sich ein Handörgeli umbinden. Es ist eben einfacher, ein Format wie «The Voice» aus dem Ausland zu kopieren, statt etwas Eigenständiges zu machen.
Was fehlt beim SRF konkret?
Ich bedaure, dass Sendungen wie «Musik & Gäste» von Heidi Abel, «Grell-Pastell» mit Kurt Aeschbacher oder eine wunderbare Sitcom wie «Fascht e Familie» nicht mehr existieren. Da hatten einheimische Künstler noch die Möglichkeit, ihr Schaffen einer breiten Bevölkerung zu präsentieren. Die heutigen Programmgestalter müssen sich dringend Gedanken machen, wie sie ihre Verantwortung trotz kleinerer Budgets gegenüber dem hiesigen Kulturschaffen wahrnehmen. Ich stelle einfach fest, dass es für die Jungen immer schwieriger wird, eine Plattform zu bekommen. Nicht nur beim TV, auch beim Radio: Mittlerweile stammen 90 Prozent aller gespielten Titel aus dem Ausland. Als ich angefangen habe, war vieles einfacher. Man wurde in allen möglichen Fernsehsendungen vorgestellt, durfte mitgestalten und am Radio wurde man konsequent gefeatured!
Frankreich führte eine Radio-Quote ein: 40 Prozent aller gespielten Lieder müssen französischsprachig sein. Fordern Sie ein ähnliches Modell für die Schweiz?
Ich bin prinzipiell gegen Quoten und Vorschriften. Aber ich appelliere an die SRF-Chefs, dass sie ihren Bildungs- und Kulturauftrag sorgfältiger wahrnehmen. Dann würden sich auch wieder vermehrt junge Schweizerinnen und Schweizer für ihre Kultur interessieren.
Das tun sie nicht mehr?
Nein, weil sie ihr nicht mehr ausgesetzt sind. Ich beobachte das bei meinen eigenen Kindern. Sie kennen alles aus Hollywood, aber fast keinen Schweizer Film. Als ich jung war, kaufte ich mir die Platten von Emil, Ces Keiser, Cabaret Rotstift, Joachim Rittmeyer, weil ich sie im TV gesehen hatte. Ich war stolz, dass so tolle Kabarettisten aus der Schweiz Erfolg hatten. Das gab mir eine Identität. Später sogar einen Beruf. Ich wollte so sein wie sie.
Sie galten in der Schweizer Comedyszene seit jeher als Aussenseiter. Warum eigentlich?
Weil ich der Gründer des Sauglattismus bin. Ich und Marcello Weber wurden in den 80er-Jahren mit Marcocello nie als Kabarettisten akzeptiert. Dafür waren wir zu wenig intellektuell. Zudem bin ich Innerschweizer und habe deswegen eine etwas derbere Sprache. Bei uns sagt man «huerä schön» und «huerä siäch», das tönt schon in Zürich obszön. Während meinen 35 Jahren auf der Bühne hatte ich zweieinhalb Millionen Zuschauer. Dennoch hat mich das Feuilleton der Schweiz nie als ernsthaften Künstler betrachtet.
Traurig darüber?
Es gab Zeiten, da nagte ich tatsächlich daran. Heute nicht mehr. Ich habe dafür Narrenfreiheit. Und das ist mir wichtiger. Ich darf jede Form von Humor bedienen.
Darf man sich eigentlich über alles lustig machen?
Definitiv nein. Ich machte in meinen früheren Jahren viele Witze über Jesus, heute lasse ich das bleiben. Natürlich bin ich für freie Meinungsäusserung, aber sich über den Glauben anderer, egal, wie abstrus er uns vorkommen mag, lustig zu machen, finde ich daneben. Für einen Lacher Gefühle zu verletzen, lohnt sich einfach nicht. Die Meinungsfreiheit hört für mich dann auf, wenn andere diskriminiert werden. Dabei muss man bedenken, dass nicht alle Menschen auf dieser Welt dasselbe humanistische Verständnis haben wie wir in Westeuropa.
Muslim-Karikaturen sollten aus Rücksicht auf die Befindlichkeit der Betroffenen also verboten sein?
Natürlich darf eine Satire-Zeitung wie «Charlie Hebdo» nach unserer Definition von Freiheit solche Karikaturen veröffentlichen. Aber in einer stetig radikaler werdenden Welt müssen die Verantwortlichen auch damit rechnen, dass dies zu einer radikalen Reaktion führen kann. Ethik bedeutet hier etwas anderes als da. Und beginnt auch nicht immer dort, wo sie vom Gesetz definiert ist. Was für mich gilt, muss nicht automatisch für den anderen gelten. Das trifft auf Muslim Mustafa zu, genauso wie auf Nachbar Müller. Vielleicht brauchen wir noch Geduld.
Warum mehr Geduld?
Vor fünfzig Jahren war es beispielsweise noch unvorstellbar, dass ein Katholik eine Protestantin aus dem Nachbardorf heiratet. Heute ist das nicht mal mehr einen Gedanken wert. Die Welt ist ein Dorf geworden, trotz riesiger Unterschiede in Erziehung, Glaube, Moral, den Werten. Eine Annäherung, geschieht nicht über Nacht. Zu lernen, sich gegenseitig zu akzeptieren, braucht Zeit.
Schweizer Comedy boomt. Divertimento füllten kürzlich gleich zweimal das Hallenstadion. Was sagt das über unsere Zeit aus?
Jede kleine Tragödie, die irgendwo auf der Welt passiert, können wir auf dem Handy praktisch in Echtzeit miterleben. Deshalb kommt uns alles nur noch radikal und brutal vor. Was zur Folge hat, dass wir uns geradezu nach ein paar unbeschwerten Stunden, die wir mit Lachen verbringen können, sehnen. Die Welt ist aber nicht wirklich kaputt. Nur kommt uns vieles so vor.
Sie haben zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe, aus der zweiten Ehe mit Christina auch zwei Kleine. Erziehen Sie die Jüngeren anders?
Ich bin milder. Dennoch ist es wichtig, den Kindern Leitplanken zu setzen. Wir sind eine impotente Gesellschaft geworden, in der niemand mehr Verantwortung übernehmen will. Die Eltern schieben die Schuld auf die Lehrer, diese auf die Erziehungsdirektion, die wiederum behauptet, die Politiker müssten dafür geradestehen. Nein, die Verantwortung zu übernehmen beginnt zu Hause am Küchentisch! Und das sollten wir nicht nur in der Kindererziehung bedenken. Das gilt im Leben!
Haben Sie mit 53 noch Träume?
Viele nicht mehr (lacht). Ich will nochmals richtig Vollgas geben, aber mit dem Alter schwinden die Extreme, die Wellen sind nicht mehr ganz so hoch. Und das ist okay so.