Frauen überlegen in der Regel etwas länger, wenn sie vor einem wichtigen Termin ihre Kleidung auswählen. So auch Elisabeth Kopp (84) am 2. Oktober 1984, als sie zur Wahl der ersten Bundesrätin antrat. «Ich dachte, am besten wäre jetzt ein Deux-Pièces, aber das hatte ich nicht. Da habe ich einfach das angezogen, was mir zu der Zeit am besten gefiel», erinnert sich Kopp.
Zwischen Macht und Weiblichkeit
Die Wahl der damaligen Bundesratskandidatin fiel auf eine blaue Seidenbluse des Schweizer Labels Akris. Das geschichtsträchtige Outfit ist Teil der Ausstellung «Robes politiques – Frauen Macht Mode», die ab dem 19. März im Textilmuseum St. Gallen zu sehen ist. Anlass dafür ist der
50. Jahrestag der Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts in der Schweiz.
«Wir haben einen grossen geografischen und historischen Bogen gespannt. Dabei geht es keinesfalls um eine modische Wertung», so Co-Kuratorin Annina Weber (38). «Vielmehr wollen wir das Spannungsfeld zwischen Machtposition und Weiblichkeit aufzeigen. Denn es ist nach wie vor so, dass die äussere Erscheinung von Frauen auf der politischen Bühne viel stärker beachtet wird als bei Männern.»
Weiblicher Stil – aber demonstrativ
Kopp setzte während ihrer Amtszeit bewusst auf einen femininen Auftritt – sie trug immer einen Rock: «Ich fand, als einzige Frau in diesem Laden müsse ich nicht auch noch in Hosen herumlaufen.»
In den 1980er-Jahren waren Frauen in hohen politischen Ämtern noch eine Seltenheit. Darum stachen die Stilmittel der mächtigen Damen umso mehr ins Auge. So auch bei der «Eisernen Lady», Margaret Thatcher (1925–2013). Sie prägte als erste englische Premierministerin von 1979 bis 1990 mit ihrer neokonservativen Politik nicht nur den «Thatcherismus», sondern auch das «Handbagging». Bei wichtigen Treffen stellte sie ihre Handtasche jeweils demonstrativ hin, und jeder verstand die Botschaft: Die meint es ernst! Damit machte sie das typische Damen-Accessoire zur Waffe einer Frau in einer Männerwelt.
Frauen in «männlicher Uniform»
Um in den Reihen der mächtigen Männer weniger aufzufallen, greifen viele Frauen auf die «männliche Uniform» zurück, den Anzug. So Bundeskanzlerin Angela Merkel (66): Sie hat es nach Jahrzehnten geschafft, dass man sie nicht mehr anhand ihrer Kleidung beurteilt, sondern in ihrer Funktion wahrnimmt – indem sie die immer gleiche Bekleidungskombi aus Blazer und Hose wählt. Bloss punkto Farbe gibt sie sich mehr Spielraum. Als aber Merkel beim Opernbesuch in Oslo 2008 ein Abendkleid mit tiefem Dekolleté trug, war der Skandal perfekt: Die Kanzlerin ist eine Frau!
«Wie weiblich eine Politikerin auftreten will oder eben nicht, ist ihre Entscheidung. Was sie nicht vermeiden kann, ist, dass darüber geurteilt wird – das wollen wir thematisieren», so Weber. Heute sei vieles entspannter, denn «je mehr Frauen in der Politik sind, desto weniger fallen sie auf und desto freier werden sie». Zudem findet ein Umdenken statt, modische Kritik an Kleidung und Körper ist nicht mehr angebracht, ganz besonders in den USA.
Fashion-Moralismus in den USA
Bei aller politischer Korrektheit ist jenseits des Atlantiks jedoch ein anderes Phänomen zu beobachten: Fashion-Moralismus. Nirgendwo anders werden die Outfits von Politikerinnen und First Ladys derart streng beobachtet, ganz besonders bei der neuen wichtigsten Frau in den USA, Kamala Harris (56). Die Vizepräsidentin kombiniert Blazer mit Turnschuhen und eleganter Perlenkette, der nahbare Look kommt gut an.
Kürzlich musste Harris aber auch Kritik einstecken: Sie wagte es, einen Blazer des italienischen Luxuslabels Dolce & Gabbana zu tragen. Der war nach dem Geschmack der moralischen Mode-Polizei mit über 2000 Franken nicht nur zu kostspielig, sondern auch unpatriotisch. Die Demokratinnen in den ersten politischen Reihen setzen in der Regel auf heimische und kleine Labels – schliesslich soll das Geld im Land bleiben.
Kraft der Symbolik
Eine, die bei ihrer Garderobe nie danebengreift, ist Jacinda Ardern (40). Was die Premierministerin von Neuseeland trägt, wirkt niemals aufgesetzt. Nach den Anschlägen auf zwei Moscheen mit 50 Toten vor zwei Jahren zeigte sie sich mit Kopftuch, beim Treffen mit der Queen trug Ardern einen Federmantel der Maori. Aber Ardern ist auch einfach Mutter: Bei einer Videokonferenz während des Lockdowns tauchte sie ungeschminkt und im verwaschenen T-Shirt auf. Sie habe gerade versucht, ihr Baby ins Bett zu bringen.
Auch das kann eine Botschaft sein. Und warum die Aufmerksamkeit nicht nutzen? «Aus einem Heer von dunklen Anzügen kann eine Frau im roten Kostüm hervorstechen – wenn sie das will», sagt Weber. «Frauen haben mehr Spielraum als Männer.» Der Dresscode für den Herrn hat sich seit der Französischen Revolution etabliert und kaum verändert: der Anzug. «Zuvor war genau nach Stand definiert, wer was trägt. Dem musste sich jeder fügen, auch die Königin», erklärt die Textil-Expertin mit einem Beispiel der französischen Königin Marie-Antoinette (1755–1793). «Diese liess sich der damaligen Mode entsprechend in einem Chemise-Kleid porträtieren. Das Volk war empört, weil es dieses Kleid als nicht standesgemäss erachtete. Das Bild musste nochmals gemalt werden.»
In der Ausstellung «Robes politiques – Frauen Macht Mode» im Textilmuseum St. Gallen werden fünfzig textile Objekte gezeigt: Ab morgen Freitag bis 6. Februar 2022 im Textilmuseum St. Gallen zu sehen. textilmuseum.ch
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