Lotti Latrous nach 18 Jahren Einsatz in Afrika
«Mein Mann und meine Kinder kamen zu kurz»

Am Samstag wird im SRF das letzte Mal der «Schweizer des Jahres» gekürt. Entwicklungshelferin Lotti Latrous (62) wurde dank ihrem Sieg im Jahr 2004 schweizweit bekannt. Seit 18 Jahren setzt sie sich in den Elendsvierteln von Abidjan an der Elfenbeinküste für die Ärmsten ein.
Publiziert: 09.01.2016 um 17:21 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 11:43 Uhr
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Schweizerin des Jahres 2004: Latrous mit Gatte Aziz und den Töchtern Sarah und Sonia (r.).
Foto: RDB
Von Katja Richard

Mehr als zehn Jahre sind seit Ihrer Ehrung vergangen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Lotti Latrous: Für mich ist sie eine immens grosse Ehre. Diese Auszeichnung hatte ich nie erwartet und verdient haben sie eher mein Mann und meine Kinder als ich. Dank ihnen konnte ich meinen Traum verwirklichen. Dank ihrem Zurücktreten aus Liebe zu mir, durfte ich Liebe schenken. Für mich ist diese Auszeichnung ein Zeichen, sie ermutigt mich, weiter zu machen. Ich war und bin den Schweizern aus ganzem Herzen dankbar dafür.

Was hat sich für sie damit verändert?
Wir wurden sehr bekannt. Darum war es unerlässlich, eine Stiftung zu gründen, was uns zu noch mehr Glaubwürdigkeit verhalf. Die Auszeichnung hat nur Gutes gebracht. Mit meinen Vorträgen konnte ich viele Menschen erreichen und von den Lebensjahren in einem Slum erzählen und wie sich dort - für mich - ein Gefühl von überirdischem Glück, Hoffnung und grosser Dankbarkeit eingestellt hat.

Was sagen Sie dazu, dass der Award abgeschafft wird?
Das kann ich nicht beurteilen, ich kann nur sagen: Für mich gibt es nicht den Besten oder die Beste. Es gibt sehr viele Menschen, die Gutes tun und dafür nie eine Auszeichnung erhalten.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Wegen einer Lungentuberkulose konnten Sie vorübergehenden nicht mehr nach Afrika. Es geht mir sehr gut. Meine Lunge hat sich vollends erholt. Ich kann wieder Luft holen, ohne dabei Schmerzen zu haben. In Afrika leiden Tausende an dieser grauenvollen Krankheit, nun weiss ich aus eigener Erfahrung wie es sich anfühlt, diese starken Medikamente, die einem wortwörtlich den Boden unter den Füssen wegziehen, einnehmen zu müssen.

Wie oft sind Sie jetzt vor Ort?
Ich verbringe alle zwei Monate einen Monat in Adjouffou. Wenn ich nicht dort bin fehlt mir die Heimat meines Herzens sehr stark. Aber ich habe gelernt zu akzeptieren, dass ich meine  Energien bündeln muss und vor allem habe ich gelernt, loszulassen und Verantwortung abzugeben.

Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, dass sie nicht mehr ständig in Adjouffou sind?
Nein, das konnte ich ablegen, ein schlechtes Gewissen habe ich hinsichtlich meiner Familie, denn indem ich mich in den letzten 18 Jahren in Adjouffou dafür einsetzte was mir Frieden schenkte, was meiner Seele gut tat, habe ich meinen Mann und meine Kinder vernachlässigt. Sie kamen zu kurz. Das ist eine Realität mit der ich leben muss.

Würden Sie das heute was anders machen, wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten? Die Zeit zurückdrehen kann niemand – daher nein, ich würde nichts anders machen. Ich schaue lieber auf das Heute, als auf das Gestern. Die Frage, die ich mir stelle ist also, was kann ich heute tun und nicht was hätte ich gestern anders machen können. Ich versuche im Heute zu leben und zwar so, als könnte dieses Heute der letzte Tag in meinem Leben sein. Das gelingt mir zwar nicht immer, aber ich versuche es jeden Tag aufs Neue.

Wo haben Sie die Feiertage verbracht?
Ich war dieses Jahr – zum ersten Mal seit 18 Jahren – nicht in Afrika sein, sondern habe mit meiner Familie in Genf gefeiert und das sehr genossen. Wir haben zusammen «Stille Nacht, Heilige Nacht» gesungen und ich habe für alle gekocht und zum Dessert eine Linzertorte gebacken.

Wie geht es mit Ihren Projekten voran, was sind derzeit die grössten Herausforderungen und Aufgaben?
Die grösste Herausforderung ist momentan die, dass Adjouffou, der Slum, in dem wir unser Ambulatorium, das Waisenhaus und das Spital betreiben, wegen dem Flughafen-Ausbau dem Erdboden gleichgemacht werden wird. Wir müssen also umziehen. Glücklicherweise haben wir bereits Land gefunden und Aziz, mein Mann kümmert sich nun darum, dass wir dort genau das bauen können, was wir brauchen. Wir hoffen, dass Mitte 2016 alles bereit ist für den Umzug. Meine Wurzeln in Adjouffou ausreissen zu müssen treibt mir aber jetzt schon die Tränen in die Augen.

Ist Ebola ist in dieser Region ein Problem? Nein. Die Elfenbeinküste ist wie durch ein Wunder verschont geblieben.

Wie kann man von der Schweiz aus helfen?
Es wird uns bereits unendlich viel geholfen. Ich stelle immer wieder fest, dass die Schweizer ein Volk sind das sein Glück teilen will und zwar grosszügig und nicht aus Mitleid, sondern aus Mitgefühl und mit dem Wissen, dass schon kleine Spenden in Afrika grosses bewirken können.

Was motiviert Sie, immer wieder nach Afrika zu gehen?
Alles! Sobald ich in Abidjan aus dem Flugzeug steige und den feuchten Geschmack von Humus rieche, der mich hier umgibt, den afrikanischen Sternenhimmel sehe, die afrikanische Musik höre, dann weiss ich, ich bin zu Hause. Und wenn ich dann die Kinder im Waisenhaus sehe und die Patienten vor unserem Ambulatorium und im Spital, dann bin ich dort, wo ich ganz einfach glücklich bin; durch und durch.

Wie lange werden Sie noch nach Afrika reisen?
So lange ich bei guter Gesundheit bin und meine Familie mich nach wie vor ziehen lässt, so lange werde ich nach Afrika reisen, denn dort habe ich das Zuhause meiner Seele gefunden.

Lotti Latrous

Lotti Latrous wurde als «Schweizerin des Jahres 2004» bekannt. Die Karriere ihres Mannes Aziz führte sie und ihre drei Kinder an die Elfenbeinküste, wo sie ein privilegiertes Leben als Direktoren-Ehefrau mit Chauffeur, Koch und Swimmingpool führte. Im Dienste des Mutter-Teresa-Krankenhauses wurde sie mit der Not der Menschen konfrontiert, mit Unterernährung und mit Aids, was damals einem Todesurteil gleichkam. Mit der Unterstützung ihres Mannes gründete sie 1999 das Centre Espoir. Ihr Mann wurde von der Firma nach Kairo geschickt, Lotti Latrous entschied sich schweren Herzens, ihre Familie alleine gehen zu lassen.

«Ich sehe täglich Menschen sterben.»
«Ich sehe täglich Menschen sterben.»
Therese Werder

Lotti Latrous wurde als «Schweizerin des Jahres 2004» bekannt. Die Karriere ihres Mannes Aziz führte sie und ihre drei Kinder an die Elfenbeinküste, wo sie ein privilegiertes Leben als Direktoren-Ehefrau mit Chauffeur, Koch und Swimmingpool führte. Im Dienste des Mutter-Teresa-Krankenhauses wurde sie mit der Not der Menschen konfrontiert, mit Unterernährung und mit Aids, was damals einem Todesurteil gleichkam. Mit der Unterstützung ihres Mannes gründete sie 1999 das Centre Espoir. Ihr Mann wurde von der Firma nach Kairo geschickt, Lotti Latrous entschied sich schweren Herzens, ihre Familie alleine gehen zu lassen.

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