Komikerin Patti Basler (44) über den Verlust der wichtigsten Auftrittsmonate
«Es wird nie mehr so sein wie vorher»

Komikerin Patti Basler zieht im BLICK-Interview nach acht Wochen Lockdown Bilanz und erklärt, warum es noch mindestens ein Jahr dauern wird, bis sich die Schweizer Kulturszene von den finanziellen Auswirkungen der Krise erholen kann.
Publiziert: 10.05.2020 um 22:53 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2020 um 19:49 Uhr
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Komikerin Patti Basler ist sich sicher: «Es wird noch mindestens ein Jahr dauern, bis sich die Schweizer Kulturszene von der Corona-Krise erholt hat.»
Foto: Instagram
Interview: Patricia Broder

BLICK: Frau Basler, heute endet der Lockdown, die Lockerungsphase beginnt – worauf freuen Sie sich am meisten?
Patti Basler:
Darauf, dass ich mein Atelier endlich wieder ganz für mich allein habe. Ich habe in den letzten Wochen ein Nachbarskind in meinem Atelier aufgenommen und es täglich im Homeschooling unterrichtet. Das war einerseits sehr schön, hat mir aber andererseits auch wieder bestätigt, dass ich nicht mehr in den Lehrerberuf zurückmöchte.

Warum nicht?
Weil man da früh aufstehen muss (lacht). Ich bin doch eher eine Nachteule.

Wie haben Sie die letzten acht Wochen in der Quarantäne erlebt?
Ich habe die freie Zeit vor allem genutzt, um zu schreiben. Ich habe mir jeden Tag Gedanken zur Corona-Politik gemacht. Einige meiner Texte dazu, sind nun im «40 Tagebuch» beim Rotpunktverlag erschienen. Und ich habe mit meinem Bühnenpartner Philippe Kuhn das Satire-Videoprogramm «Apocalypso TV» ins Leben gerufen. Dafür haben wir beinahe täglich Videos in Philippes Studio produziert. Ich habe Glück. Mir ging und geht es in dieser schwierigen Zeit gut. Aber ich kenne Comedians, die zu Hause depressiv geworden sind, weil sie nicht mehr rauskonnten. Als Komiker lebt man stark vom Austausch mit anderen Menschen.

In welcher Form hat Ihnen Humor durch die Krise geholfen?
Indem ich ihn als Ventil gebrauchen konnte. Humor ist ein Rettungsanker in der Zeit der Isolation. Auf meine Einträge auf Twitter oder meine Videos mit Philippe habe ich viele positive Reaktionen erhalten. Aber es gab auch negative Rückmeldungen. Ich musste feststellen, dass viele Leute in der Krise dünnhäutiger wurden. Witze, die vorher möglich waren, kamen plötzlich nicht mehr gut an. Vor allem solche mit Fäkalhumor. Und das trotz der Hamsterkäufe von WC-Papier.

Krisenzeiten sollen einen Künstler ja besonders inspirieren. Ist das wirklich so?
Jein. Man macht eher aus der Not eine Tugend. Das Problem ist, die Corona-Krise ist eher reizfrei. Das sieht man auch bei den Comedybeiträgen im Netz. Auch bei unseren. Wir reden alle über WC-Rollen, Homeoffice und Verschwörungstheorien. Wenige Themen dominieren und sind zugleich durch ihre Dauerpräsenz schnell ausgereizt.

Kulturschaffende trifft die Krise besonders hart. Wie lange wird es dauern, bis sich die Szene wieder erholt hat?
Mindestens ein Jahr. Es wird sich zeigen, ob sie sich dann erholt hat. Und machen wir uns nichts vor: Es wird nie mehr so sein, wie es vorher war. Schon jetzt überlegen sich einige meiner Kollegen, ob sie überhaupt noch weitermachen sollen. Man muss wissen: Kleinkünstler und Comedians verlieren durch die Corona-Krise eine ganze Saison, die wichtigsten Monate März und April. Die Monate nach dem Januarloch und vor dem Festivalsommer. Einige Selbständige landen auf dem Sozialamt, andere kehren in ihre angestammten Berufe zurück. Im Gegensatz zu Angestellten gibt es keine Kurzarbeit, im Gegensatz zu Start-ups können sie nicht mit Bundeshilfe ein Unternehmen in den Sand setzen und in Konkurs gehen.

Wie kann den Künstlerinnen und Künstlern geholfen werden?
Die sozialen Unterstützungsprogramme für Kultur müssen jetzt greifen. Doch viele Kantone haben noch nicht gezahlt. Und natürlich sind wir auch auf die Unterstützung des Publikums angewiesen. Man kann Künstler nämlich auch im Netz unterstützen. Sei es, indem man ein Gedicht oder ein Film eines Künstlers online kauft. Viele sind auch virtuell buchbar. Mein Bühnenpartner Philippe und ich mussten auch kreativ werden und haben über unser «Apocalypso TV» Filmbeiträge an Firmen verkauft. Anstelle eines Liveauftritts gibt es dann ein Video. Am ersten Mai haben wir das für den Gewerkschaftsbund auch so gemacht.

Einige Künstler wie DJ Antoine haben die offiziellen Massnahmen scharf kritisiert. Der Staat spiele seine Macht aus. Sehen Sie das auch so?
Nein, der Bundesrat hat umsichtig und pragmatisch gehandelt. Über Fehler können wir erst später wirklich urteilen. Doch für Bühnenschaffende besteht ein grundsätzliches Problem. Sie leben vom Kollektiverlebnis, davon, dass man sich spürt, in Flüsterdistanz neben fremden Menschen sitzt oder steht. Sie leben von der räumlichen Enge und der physischen Nähe. Langfristig können Onlinestreamings dieses Gefühl nicht ersetzen. Solange die Gefahr einer zweiten Welle besteht, wird man dafür schlicht keine vernünftige Lösung finden.

Was nehmen Sie aus der Lockdownzeit mit?
Die Witze wohl eher nicht. Die will ich und auch sonst niemand mehr hören. Aus der Sicht der Soziologin sehe ich die Krise als eine prägende Zäsur. Es ist die grösste Krise, die wir bisher erlebt haben. Das Schöne und Verbindende, das wir dabei erfahren durften, ist ironischerweise die räumliche Trennung. Die Trennung hat uns mehr verbunden, als das Zusammensein. Plötzlich haben wir Videos einer israelischen Mutter oder eines iranischen Komikers geschaut und uns darin wiedererkannt. Es ging uns allen gleich: Egal, aus welchem Land wir kommen oder aus welcher sozialen Schicht, wir mussten zu Hause hocken und durften nicht mehr raus. Wir hatten dieselben Probleme. Das hat uns weltweit nähergebracht.

Was müssen wir als Gesellschaft aus der Krise lernen?
Dass Homeoffice und sechs Wochen Vaterschaftsurlaub möglich sind. Auch dass das Leben zu Hause als Familie vom Zusammensein profitiert. Und, dass es nicht nötig ist, für jede Sitzung nach New York oder Peking zu fliegen. Und erneut, die traurige Erkenntnis, dass sehr wichtige Jobs unterbezahlt sind. Leider aber auch, dass wenn die Krise langsam vorbei ist, viele wieder ins alte Fahrwasser zurückfallen. Die vorher viel gelobte Solidarität, nimmt schnell wieder ein Ende, da Hektik und Egoismus in unserem Alltag bald wieder Einzug halten.

Aargauer Multitalent

1976 als Bauerntochter in ­Zeihen AG geboren, machte Patti Basler eine Ausbildung zur Sekun­darlehrerin und studierte Erziehungswissenschaften. 2009 nahm sie das erste Mal an einem Poetry-Slam teil und entdeckte ihre Leidenschaft für kurze Wortbeiträge. Heute gehört Basler zu den wichtigsten Satirikerinnen des Landes und tritt neben der Bühne regelmässig in Radio und Fernsehen auf. 2019 erhielt sie den ­Salzburger Stier, die wichtigste deutschsprachige Kabarettauszeichnung.

1976 als Bauerntochter in ­Zeihen AG geboren, machte Patti Basler eine Ausbildung zur Sekun­darlehrerin und studierte Erziehungswissenschaften. 2009 nahm sie das erste Mal an einem Poetry-Slam teil und entdeckte ihre Leidenschaft für kurze Wortbeiträge. Heute gehört Basler zu den wichtigsten Satirikerinnen des Landes und tritt neben der Bühne regelmässig in Radio und Fernsehen auf. 2019 erhielt sie den ­Salzburger Stier, die wichtigste deutschsprachige Kabarettauszeichnung.

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