Die «Heidi»-Melodie ertönt. Bilder von Bergen, Kühen und einem Mädchen, das frohlockend über eine saftige Wiese rennt. Dann verkommt ihr Lachen zu einer Fratze. Tiere mutieren zu Fabelwesen. «Ich habe eine KI gebeten, einen Trailer für einen Heidi-Film zu erstellen, und jetzt kann ich nie wieder schlafen», schreibt Satiriker Patrick «Karpi» Karpiczenko (37) auf Twitter, als er vor knapp zwei Wochen sein Werk postet.
Seither ging Heidis Alp, die zum Albtraum wird, viral: über 18 Millionen Klicks, 15'000-mal geteilt – selbst in Japan. Der Künstler beschäftigt sich seit Jahren mit der künstlichen Intelligenz, kurz KI, bezeichnet sich selbst als «ersten Digital Native». «Meine Mutter ist Informatikerin, mein Vater Musiker. So habe ich früh programmiert und Roboter gebaut.» Für SRF-«Kulturplatz» moderierte Karpi im Mai eine Sendung zum Thema, beim «Tages-Anzeiger» hatte er eine KI-Bildkolumne. In der Schweiz ist der Berner aktuell als KI-Speaker und -Dozent in Firmen und Schulen unterwegs. Im Januar gibt er an der Zürcher Hochschule der Künste einen zweiwöchigen Kurs zum Thema. «KI wird für die nächsten paar Monate zu meinem Job.»
Blick: Karpi, Sie posten täglich neue Arbeiten auf Social Media. Wieso ging gerade der Heidi-Trailer viral?
Karpi: Das war Glück, der richtige Hirnfurz zur richtigen Zeit. Jetzt, zwei Wochen später, wäre es weniger spannend. Aber damals kam gerade ein neues Tool heraus, und ich musste sofort damit herumspielen, weil es sonst niemand in der Schweiz tat. Ich habe schnell gemerkt, dass es noch relativ schlecht ist: Körperformen werden komisch dargestellt, Tiere verschmelzen. Statt einer Sau oder einem Hund kriegte ich einen Sauhund als Ergebnis. Das fand ich als Satiriker natürlich lustig.
Das Ergebnis ist alles andere als perfekt.
Und das war für viele beruhigend. Sie kommentierten: «Ah, KI nimmt den Filmemachern noch nicht den Job weg – ausser David Lynch.» Ich sehe das natürlich nicht so. Wenn etwas vor einem Monat noch schlecht war, dann weiss ich, dass es in drei Monaten mega gut sein wird.
Wieso ist KI gerade in diesem Jahr so präsent geworden?
Ende November erschien ChatGPT – eine KI, die auf Wunsch Texte generiert. Die Technologie war schon ein, zwei Jahre alt, aber wurde erst zu diesem Zeitpunkt massentauglich. Alle konnten sie ausprobieren. Zeitgleich entwickelte sich die Generation künstlich erstellter Bilder von null auf hundert.
Wie erklären Sie Ihrem Grosi künstliche Intelligenz?
Maschinen übernehmen Aufgaben, die für uns intelligent wirken. Künstliche Intelligenz hat nichts mit wirklicher Intelligenz zu tun. Vielmehr wirkt sie wie ein «Zaubertrickli», da sie auch menschliche Fähigkeiten vortäuscht. Ich persönlich nutze lieber den Ausdruck maschinelles Lernen.
Wieso?
Weil dieser klarer definiert ist. KI bedeutet irgendwie alles – so wie Kreativität oder Glaube. Wörter, die so gross sind, dass sie nichts Konkretes mehr bedeuten. Aber im Moment stellen sich alle das Gleiche darunter vor, sprich: generierte Texte und Bilder. Deshalb ist KI eine gute Abkürzung.
Wieso brauchen wir künstliche Intelligenz?
Im Idealfall macht KI unser Leben einfacher – wie die Erfindung von Rad, Feuer oder Deodorant. Sie verbessert unser Leben und ist deshalb grundsätzlich gut.
Wir alle nutzen KI bereits im Alltag – wie?
Wenn wir etwas übersetzen oder den schnellsten Fahrweg berechnen lassen. Simultanübersetzungen sind heute immer und für alle möglich. Maschinen verstehen seit einem halben Jahr auch Mundart. Als Bub hätte ich mir gewünscht, dass ich mit meinen polnischen Grosseltern reden kann.
Was wäre für Sie als Satiriker heute schon möglich?
Das Publikum des Schweizer Fernsehens sehnt sich zum Beispiel danach, dass Viktor Giacobbo wieder Sendungen macht. Ich könnte nun seine Bilder und seine Stimme in den Computer packen und eine neue Satiresendung mit ihm realisieren. Theoretisch könnte ich auch Kurt Felix oder Nella Martinetti wieder aufleben lassen. Zuschauertechnisch wäre das für SRF wohl eine relativ sichere Angelegenheit …
… aber rechtlich eher weniger.
Oh ja. Aktuell kommen nun auch immer mehr Fälle von Urheberrechtsverletzungen auf, obwohl die KI-Start-up-Firmen behaupten, ihre Tools nur mit öffentlich zugänglichem Material wie Wikipedia zu speisen. Ich persönlich habe als Satiriker das Gefühl, dass es okay ist, wenn ich eine Collage mache und Superstars wie etwa Heidi drankommen. Und mittlerweile generiere ich alles Beigemüse wie Hintergrundbilder selbst, somit liegt das Urheberrecht bei mir.
Moralisch gesehen wäre es auch schwierig, TV-Persönlichkeiten zu benutzen.
Also, wenn Viktor Giacobbo sein Go geben würde, dann hätte ich keine Bedenken. Er müsste nicht einmal ins Studio kommen. Bei Verstorbenen ist es natürlich was anderes.
Wo liegen Ihre Grenzen?
Mir ist es wichtig, dass ich meine KI-generierte Arbeit transparent mache und dass niemand darunter leidet. Das ist mein moralischer Ansatz.
Was macht Ihnen bezüglich KI Angst?
Dass uns als Gesellschaft die Technik und deren Entwicklung entgleitet. Dass autoritäre Staaten oder multinationale Unternehmen das Monopol auf diese Technologie horten, unsere persönlichen Daten mit Füssen treten, wir abhängig sind von dieser Technologie und nichts mitbestimmen können. In der Schweiz gibt es keine grossen KI-Firmen oder -Dienste. Es ergäbe Sinn, auch hierzulande aufzurüsten.
Es braucht Ihrer Meinung nach eine Taskforce?
Eine 100-Prozent-Stelle beim Bund, die sich damit befasst, ist tatsächlich zu wenig. Es bräuchte vieles. In erster Linie Aufklärungsarbeit in den Köpfen von uns allen, damit wir die Technologie als das erkennen, was sie ist: etwas Revolutionäres, das alle Bereiche unseres Lebens verändern wird. Wichtig ist, dass wir uns alle damit befassen.
Die FDP macht bereits mit KI-generierten Plakaten Wahlkampf.
Die Wahlen in der Schweiz machen mir Sorgen. Parteien beginnen, Fake News zu generieren. Ich will nicht, dass die Menschen ihr Vertrauen verlieren und in den Zynismus verfallen, dass sie eh alles als Fake und daher als egal empfinden. Das würde autoritären Mächten in die Hände spielen und ist am Ende keine demokratische Angelegenheit mehr.
Wie behalten Sie das Vertrauen in die Berichterstattung?
Meine eigene Wahrnehmung rüstet mich auf. Mein Wissen um all die KI-Möglichkeiten sensibilisiert mich. Mittlerweile zweifle ich schon an Echtem. Oft betrachte ich den Himmel und finde, dass er heute schlecht «gefotoshoppt» ist. Man beginnt, den Alltag zu kritisieren (lacht).
Sie sind Vater einer dreijährigen Tochter. Wie bringen Sie ihr bei, was real und was künstlich ist?
Keine Ahnung! Ich denke natürlich täglich daran, in welche Welt sie geboren wurde. Wir spielen aber öfter, dass sie sich ein Fabelwesen wünschen kann. Ich generiere es dann und zeige ihr das Bild. Wenn es ihr zu «gfürchig» ist, dann müssen die Augen grösser werden, das Fell wuscheliger. Danach drucke ich das Monster mit dem 3-D-Drucker aus. Meine Tochter sieht auf diese Weise, wie etwas mit KI entsteht.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
Keine Bedenken?
Ich mache mir natürlich Sorgen, dass sie einem KI-Tool gefüttert wird – ihr Bild, ihre Stimme, ihre Art. Das löst ein metaphysisches Gruseln in mir aus.
Was kommt noch auf uns zu?
Bisher lag ich mit meinen Prognosen stets daneben, erwartete Entwicklungen zu spät, was irgendwie erschreckend ist. Aber super personalisierte Sachen werden kommen. Waren früher Werbekampagnen für alle, fokussierte man sich später auf Zielgruppen. In Zukunft wird individuell abgezielt, kommerziell wie auch im politischen Wahlkampf. Eine digitale Jacqueline Badran wird erscheinen und uns direkt als Person ansprechen. Und wir können der digitalen Badran Fragen stellen.
Was wird KI nie können?
In erster Linie sind physische Dinge schwierig. Meine Coiffeuse ist bezüglich der Entwicklung relativ entspannt. Wenige Leute würden ihren Kopf in eine Scherenmaschine legen.
Welche Jobs sind gefährdet?
Jene von Sprechern. Professionelle Off-Stimmen werden bis Ende Jahr mit KI ganz einfach perfekt zu generieren sein. Wir könnten uns also wieder auf das besinnen, was nicht maschinell, nur schön und professionell ist. Auf das, was uns seltsam, sonderbar, menschlich macht. Die eigene Stimme mit Attitüde, Kontext, Charakter.
Brauchts eine Gegenbewegung?
Ja, die wird sich durchsetzen, glaube ich – auch bei Bildern. Wenn ich durchs Kunsthaus gehe, merke ich, wie «schön» für mich heute weniger bedeutet. Weil «schön» mir KI auf Knopfdruck gibt. Wichtig ist aber die Geschichte jedes Bildes, der Kontext, das Warum. «Schön» ist Dekoration. Darum ist für mich auch die Fotografie noch nicht ersetzbar. Die Leute wollen doch nicht nur Dinge anschauen, die nicht real sind.
Kann KI eigentlich Ihren Job, sprich Satire?
Da bin ich dran, schon immer. Ich versuche lustige Dinge zu generieren, aber meistens ist das Ergebnis unfreiwillig komisch, weil es eben noch nicht funktioniert. So wie der «Heidi»-Trailer. Pure Satire!