Ein Aargauer Leserbriefschreiber wunderte sich letzte Woche: «Im Zusammenhang mit dem Hype um Papa Moll bin ich schon erstaunt, dass die Ähnlichkeit mit der Figur von E. O. Plauen kein Thema ist.» E. O. Plauen? Nie gehört.
Es ist das Pseudonym von Erich Ohser (†41), einem deutschen Zeichner. Frappant, wie sein Comic «Vater und Sohn» dem Schweizer Comic «Papa Moll» ähnelt. Dicke Bäuche und kahle Köpfe tragen beide Hauptfiguren. Tollpatschig straucheln die Väter durch die Abenteuer des Alltags.
Zehn Kollegen auf der BLICK-Redaktion zeige ich «Vater und Sohn»-Zeichnungen. Alle zehn reagieren gleich: «Ah, du schreibst über Papa Moll?» Falsch. Erich Ohser zeichnete seine Bilder 18 Jahre bevor die Aargauerin Edith Oppenheim († 94) 1952 den ersten «Papa Moll»-Band publizierte.
Ist «Papa Moll» ein Plagiat? Der Comic, der nun aufwendig verfilmt wird, nach dem Krieg abgekupfert? Des Schweizers liebster Comic-Vater ein Abklatsch aus Deutschland?
«Ein Bezug ist offenkundig.»
Die Recherche führt nach Plauen, einer Stadt in Sachsen, nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zum Mauerfall Teil der DDR. Hier wuchs Ohser auf, hier verwaltet die Erich-Ohser-Stiftung den Nachlass des Zeichners. Und hier ist Kennern bewusst: Der Schweizer Papa Moll hat einen deutschen Vater.
«Uns haben Schweizer Besucher auf die Ähnlichkeiten aufmerksam gemacht», sagt Kunsthistorikerin und Ohser-Biografin Elke Schulze. «‹Vater und Sohn› sind bei ‹Papa Moll› wohl Pate gestanden», sagt sie. «Die Typen sind sehr ähnlich, im Charakter und in der körperlicher Stilisierung.» Beide tragen Pullover, sind rundlich, gemütlich. «Identisch aber sind sie nicht», sagt Schulze. «Vater und Sohn» ist konsequent schwarz-weiss gehalten, «Papa Moll» farbig. Der deutsche Comic kommt ohne Texte aus. «Papa Moll»-Schöpferin Oppenheim reimt zu ihren Bildern. Der sächsische Humor ist eher anarchistisch, jener aus der Schweiz fast reaktionär.
Aber, sagt Schulze: «Ein Bezug zwischen ‹Papa Moll› und ‹Vater und Sohn› ist offenkundig.» Was die Verwalter des «Papa Moll»-Erbes nicht erwähnen. Schulze: «Es ist bedauerlich und erstaunlich, dass die Verwandtschaft nicht benannt wird.» Es sei legitim, eine bestehende Figur weiterzuentwickeln – «mit einem Verweis».
Sowohl die Website über die 2001 verstorbene Autorin wie der Globi-Verlag, der «Papa Moll» seit 1995 herausgibt, unterschlagen die deutsche Vaterschaft. «Gemäss meinem Informationsstand ist ‹Papa Moll› kein Plagiat», sagt Verlagsleiterin Gisela Klinkenberg. «Die Ähnlichkeit zu ‹Vater und Sohn› ist rein zufällig.»
Nur: Ein Zufall liegt nicht vor. Oppenheim gestand 1991 in einem Interview mit dem Schweizer Comic-Experten Cuno Affolter: «Ich kannte zwar ‹Vater und Sohn›. Ich finde es ein ausgezeichnetes Buch.» Aber, betont sie, «es ist ein ganz anderer Vater».
E. O. Plauens Papa sei auf gleicher Ebene gewesen mit dem Kind. «Das ist bei mir das Gegenteil.» Moll sei Vorbild, Erzieher, guter Vater. Er habe eine Familie, nicht nur einen Sohn.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die «Vater und Sohn»-Rechte an den Südverlag in Konstanz an der Schweizer Grenze. «Wir betrachten ‹Papa Moll› als Plagiat», sagt heute Ines Ende, beim Südverlag zuständig für Lizenzen. «Der zeitliche Ablauf und die Ähnlichkeit belegen es.»
Gegen den «Papa Moll»-Film könne sie aber nicht vorgehen, sagt Ende. «Seit dem Tod von Ohser sind über 70 Jahre vergangen, jeder kann mit den Figuren nun machen, was er will.»
Oppenheims Sohn Roy weist den Plagiatsvorwurf zurück. «Papa Moll» sei 1996 geschützt worden. Abklärungen hätten klar ergeben: Kein Plagiat. «Glatzköpfe kann man nicht schützen, ein Drittel der Menschheit ist kahl.» Comic-Experte Affolter pflichtet bei: «Ein Plagiat würde ich ‹Papa Moll› nicht nennen. Aber Plauen hat Edith Oppenheim sicher beeinflusst.»
Zeichner Ohser: eine zerrissene Person
Ohser war eine widersprüchliche, ja tragische Figur. Er beginnt als Buchillustrator, zeichnet für Erich Kästner. 1933 ergreifen die Nazis die Macht in Deutschland. Sie verbrennen Kästners Bücher. Ohser erhält Berufsverbot. Unter dem Pseudonym E. O. Plauen veröffentlicht er im Dezember 1934 in der «Berliner Illustrierten Zeitung» eine erste Folge von «Vater und Sohn».
Die Bildergeschichten sind erfolgreich, erscheinen bis 1937. Sie gefallen den Nazis. Ab 1940 zeichnet Ohser im NSDAP-Blatt «Das Reich». Propagandaminister Joseph Goebbels verfasst wöchentlich den Leitartikel. Ohser soll nie antisemitisch, sondern patriotisch gezeichnet haben. Schulze relativiert: «Ohser verwendete in seinen politischen Karikaturen eine zugespitzte Formensprache und bediente sich hierzu mitunter auch rassischer Stereotype.»
Ohser ist ein zerrissener Mensch. Er zeichnet für die Nazis, gleichzeitig witzelt er mit Autor Erich Knauf über Hitler und Goebbels. Da er schwerhörig ist, spricht Ohser dabei besonders laut. Ein Nachbar hört ihn, notiert alle Aussagen – und verrät ihn. Knauf und Ohser werden am 28. März 1944 in Berlin verhaftet. Am 6. April soll ihnen der Prozess gemacht werden. In der Nacht zuvor nimmt sich Ohser das Leben. In einem Abschiedsbrief gesteht er die Schuld ein. Was seinen Freund Knauf aber nicht rettet: Die Nazis richten ihn hin.
Ohser lebt in «Vater und Sohn» weiter. Und in «Papa Moll».
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