Ihre Betriebe kennt jeder, sei es in Zürich am Hauptbahnhof, in Basel die «Kunsthalle», in St. Moritz das «Suvretta House» – aber kaum jemandem ist die Familie bekannt, die dahintersteht: In bester diskreter Schweizer Hoteliertradition steuern die Candrians aus dem Hintergrund eine der grössten Gastronomiegruppen der Schweiz.
Umsatzzahlen gibt die Candrian Catering AG mit 45 Betrieben und 1200 Mitarbeitern seit 2011 nicht mehr bekannt, aber sie wächst kontinuierlich. Und unübersehbar: Gerade hat sie im Zürcher Hochhaus Primetower das «Clouds Kitchen» eröffnet.
Ich bringe die Verwaltungsrätin Tina Candrian (44) auf der «Sonntagsfahrt» von der Zürcher City zum neuen Restaurant im Industriegebiet. Sie ist die Tochter von Martin Candrian. Der Präsident des Verwaltungsrats führte den Konzern 32 Jahre, bevor er ihn 2011 in die Hände der fünften Generation legte. Meine nicht ganz ernst gemeinte Bemerkung, sie sei ja eigentlich als Hotel-Erbin die «seriöse Version von Paris Hilton», nimmt sie mit Humor. Die Welt des Glitzers und Glamours liegt ihr und ihrer ganzen Familie allerdings fern. Obwohl sie in ihrem Engadiner Luxushotel genau diese internationale High Society beherbergt.
Ihr Ururgrossvater Anton Bon baute das Suvretta und auch das Parkhotel Vitznau. Urgrossvater Primus Bon übernahm 1923 die Pacht des Zürcher Bahnhofbuffets, Grossvater Rudolf Candrian-Bon führte die Betriebe in Zürich und im Engadin weiter, bis Tinas Vater 1979 die Leitung übernahm und aus einer Einzelfirma die Candrian Catering AG machte. Am Hauptbahnhof gehört vieles, was mit Kulinarischem zu tun hat, zur Firma.
In den unterirdischen Produktionsräumen werden unglaubliche Mengen Esswaren hergestellt. Jedes Jahr verarbeitet man 160 Tonnen Fleisch, 27 Tonnen Lachs, röstet 41 Tonnen Kaffee. Es gibt eine Bäckerei, eine Metzgerei, wo aktuell Weisswürste fürs Oktoberfest gemacht werden. Und pro Tag verlassen 860 Kilo Birchermüesli die «Katakomben». Trotz der starken Stellung am Hauptbahnhof müssen die Candrians sich bei den SBB immer wieder um die Erneuerung der Pachtverträge bemühen.
Die Abhängigkeit von einem einzigen Standort trieb Tina Candrians Vater an, auch in Gastronomiebetriebe ausserhalb zu investieren. Was das Erfolgsrezept dieser 150-jährigen Familiendynastie sei, möchte ich von meinem Gast wissen. «Eine gewisse Beharrlichkeit, der Wille zum Durchhalten, wie damals, als man das
Suvretta während der Kriegsjahre schliessen musste», sagt die dreifache Mutter, «dazu langfristiges Denken und die Liebe zum Beruf!» Und natürlich genügend finanzielle Reserven, die in guten Zeiten angelegt werden müssen, um Krisen überhaupt überstehen zu können.
Nun ist also die fünfte Generation am Zug. Tina Candrian, älteste von vier Geschwistern, absolvierte die Hotelfachschule in Lausanne und ist für PR und Marketing zuständig. Der jüngste Bruder Reto stiess 2011 aus der Finanzbranche dazu und ist seit kurzem CEO. Die grösste Herausforderung für sie und ihren Bruder? «Die Schnelllebigkeit! Die Leute wollen immer etwas Neues – darauf müssen wir reagieren» sagt Tina. Dann steigt sie aus und eilt zum Prime Tower. Sie will selber sehen, dass im neuen Lokal alles richtig läuft.