Gesellschaftsforscher Patrick Weber
Wann weiss man, dass man schwul ist?

Das Outing von Ex-Kunstturner Lucas Fischer berührt die Menschen. Sozialwissenschaftler Patrick Weber leitete sieben Jahre die Coming-out-Beratungsplattform «du-bist-du.ch» und erklärt, wieso späte Coming-outs heute immer seltener werden.
Publiziert: 02.10.2018 um 16:02 Uhr
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Aktualisiert: 02.10.2018 um 16:54 Uhr
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Patrick Weber erforscht unter anderem die Diskriminierung von Jugendlichen gegenüber homosexuellen Gleichaltrigen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut Integration und Partizipation, Hochschule für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Foto: Zvg
Michel Imhof

BLICK: Lucas Fischer hat sich am Wochenende im Alter von 28 Jahren zu seiner Homosexualität bekannt. Zuvor liebte er Frauen. Kann sich das Empfinden so verändern?
Patrick Weber:
Es kommt immer auf das Umfeld an. Lucas Fischer sagt, dass Homosexualität im Spitzensport ein Tabu-Thema war. Das kann dazu führen, dass die eigene sexuelle Orientierung unterdrückt wird. Jetzt hat er neue Menschen im Umfeld, die dem Thema offener gegenüberstehen. Es braucht einen Auslöser, um die neue Gefühlswelt zu entdecken.

Kann also auch ein 60-jähriger Mensch diese andere Seite an sich entdecken?
Je nach Umfeld und wie er lebt, kann es länger dauern, bis ein Mensch diese Gefühle, die er eigentlich schon länger hat, entdeckt. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist hier ein wichtiger Punkt: Früher fanden die Coming-outs später oder gar nicht statt, man musste sich verstecken.

Wann outen sich die Menschen heute?
Gemäss einer Studie aus Deutschland finden Coming-outs in westlichen Ländern immer früher statt. Dank dem Internet haben Jugendliche schnellen Zugriff auf Informationen und können Gleichgesinnte schneller finden. Durchschnittlich finden die äusseren Coming-outs bei homo- oder bisexuellen Menschen im Alter von 16,9 Jahren statt.

Lucas Fischer sagt, es sei ihm im Spitzensport oft gesagt worden, er solle sich nicht so schwul verhalten. Was hat das für einen Einfluss auf den Prozess?
So eine diskriminierende Aussage kann zu einer Abwehrhaltung führen. Man will den Personen nicht den «Gefallen» tun und sich outen, schiebt das Thema ganz von sich weg oder hat dadurch noch mehr Angst, zu seiner Homosexualität zu stehen. Es bringt nichts, jemanden zum Coming-out zu drängen. Der Grund, jemanden als schwul zu bezeichnen, liegt oft in Vorurteilen: Wer sich nicht typisch männlich kleidet und verhält, gilt gleich als schwul.

Was halten Sie von öffentlichen Coming-outs wie dem von Lucas Fischer?
Jedes öffentliche Coming-out trägt zur Sensibilisierung bei. Zudem zeigt es Menschen, die gerade ihre sexuelle Orientierung entdecken, dass sie nicht allein sind. Viele meinen, die Gleichstellung sei schon Realität, dabei ist die Akzeptanz noch lange nicht bei 100 Prozent. Die Suizidversuchsrate bei homosexuellen Jugendlichen ist in der Schweiz noch heute viel höher als bei heterosexuellen Jugendlichen.

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