Jetzt gehen Bruno komplett die Gäule durch. Der Mitfünfziger, rotes Flanellhemd und geschorene Haare, starrt mit leerem Blick in die Runde der Zuschauerinnen. Dort, auf einem Pult zwischen zwei Wasserflaschen, sieht er tatsächlich einen rosaroten Traktor: einen Oldtimer, filigran, mit runden Kurven. Nur. Da ist nichts.
Es fing alles ganz harmlos an. Zuerst legt ihm der junge Mann mit den Sommersprossen und den roten Haaren seine Hand auf die Schulter und spricht mit sanfter Stimme. Der Rest kommt schleichend. Zuerst erstarren Brunos Beine, dann versteift sich sein Arm. So geht das weiter, und irgendwann sind auch Brunos Schuhe «weggezaubert». Also eben alles nur in dessen Kopf. «Seht ihr das Flackern der Augenlider, es ist sensationell», jubelt der Hypnotiseur.
Alles nur Show, frage ich mich, alles abgesprochen? Sieht aber verdammt echt aus. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Diese Prozedur habe ich noch vor mir. Kontrolle abgeben und so, da leide ich etwas.
Eine Mischung aus Traumschwiegersohn und Guru
Willkommen im Hypnosekurs! Hell, weiss, geradezu klinisch präsentiert sich Gabriel Palacios’ Institut in Bern, das ausschaut wie im Schönheitssalon und riecht wie im Wellnessbereich. Früchteschalen und Guetsli liegen bereit, hinten rechts steht ein Bambus aus Plastik. In Gold dagegen die Schrift auf dem Schild: Palacios Relations steht da. Und als golden kann man auch den Gastgeber bezeichnen. Was Gabriel Palacios (29) anfasst, kommt gut.
Palacios, offenes Gesicht, charmant und freundlich, ist der bekannteste Hypnotiseur des Landes. Eine Mischung aus Traumschwiegersohn und «Guru»: «Du musst einfach strahlen wie die Sonne», so sein Motto. Damit die schlechten Dinge auf dem Weg verglühen. Ein sehr beschäftigter junger Mann und ein überaus geschäftstüchtiger dazu: Er schreibt Ratgeberbücher, seine Lesungen sind von St. Gallen bis Brig ausverkauft, die Seminare auch rappelvoll, ungezählte Auftritte in TV und Radio. Einzelsitzungen nimmt er schon länger keine mehr an, auch so dauert die Wartezeit für einen Termin bei ihm über ein Jahr. Palacios kennt auch die Kniffe des Verkaufs, Angebot und Nachfrage, so Dinge.
Für Auserwählte gibt es eine spezielle Visitenkarte
Die Teilnehmer des Hypnoseseminars, mehrheitlich Frauen, hängen an seinen Lippen, auf dass er sie etwas frage oder lobe oder
sie zumindest wahrnehme. Die meisten arbeiten in der Pflege oder im Sozialbereich. Die einen suchen Entspannung oder Linderung, andere wollen mit der Hypnose neue Wege gehen, neues Wissen erlangen für den Job oder daheim.
Auserwählten gibt er seine persönliche Visitenkarte, jene aus Holz, also die private. Nur der Name steht drauf und seine Nummer. Aber auch die Leute haben keine Chance auf einen persönlichen Termin. Die Warteliste ist einfach voll.
Eine seiner Leistungen ist es, allen ein gutes Gefühl zu geben. Im Seminar wie bei den Lesungen. Und das ist heutzutage ja schon viel. «Ich will kein Guru sein, sondern ein ganz normaler Mensch», sagt er. Abhängigkeiten seien nicht in seinem Interesse. Er habe deshalb auch schon Leute verabschieden müssen, wie er es nennt.
Palacios veröffentlicht fleissig neue Bücher, die Rohfassung rattert er jeweils in zehn Tagen runter. Ein unfassbares Tempo, das jeden anderen Autor vor Neid in eine tiefe Schaffenskrise stürzt. Er schreibe fortlaufend, das Geschriebene des Vortags lese er nicht mehr durch, verrät er. Erst am Schluss dann. Der Mann schreibt also einfach immer weiter: «Ich schreibe die Sätze und weiss gar nicht, wie ich darauf gekommen bin.» Die Erkenntnisse kämen aus dem Unterbewusstsein. Aha, so geht das.
Und er wird gelesen. Mittlerweile hat er seinen fünften Bestseller geschrieben. Platz eins bei den Sachbüchern, seit vier Wochen schon. Und das mit 29.
«Ich bin kein Mentalist»
Auch mit 19 nutzte er sein Talent bereits erfolgreich, mit sogenannten Infotainments, an Firmenfeiern den Chef hypnotisieren, solche Sachen. Einmal orakelte er auch (erfolgreich) den Fussballweltmeister (Spanien) voraus. Es folgten Auftritte bei Pro Sieben, ZDF, SRF. Aber all das ist lange her, quasi Jugendsünden. «Ich bin kein Mentalist mehr», sagt er heute dazu.
Der Mann macht nur noch therapeutische Hypnose. Hypermnesien, EEG-Messungen, Induktion, Exduktion. So tönt es im Seminar. «Manchmal rechtfertige ich mich fast zu viel mit wissenschaftlichen Fakten», sagt er.
Hypnose ist in weiten Teilen der Bevölkerung unbestritten. Sportler nutzen sie, um das entscheidende Quäntchen aus sich herauszupressen, Chirurgen operieren damit, Zahnärzte bohren sich so durch. Die Frage ist also weniger,
ob es funktioniert, sondern was man damit anstellt. Palacios will den Menschen helfen.
Palacios fährt teure, schnelle Wagen
Finanziell geschadet hat ihm der Wandel nicht, mittlerweile fährt er Ferrari und Maserati. Ob sich das nicht widerspricht, Pestalozzi und Profit, fragt man sich. Niemand werfe ihm vor, ein Geschäftsmann zu sein, sagt er, der ein mehrköpfiges Team unterhält: Auf dem Tisch steht ein Ferrari-Modell, er betrachtet es schwärmend: «Ich stehe zu meiner Leidenschaft.» Er habe so Freude an dem Auto und meint natürlich das Original. «Sooo Freude», spricht er es aus.
Einen Touch zum Theatralischen, so viel wird im Seminar schnell klar, kann man ihm nicht absprechen. Er turnt, reisst Grimassen, imitiert Leute. Er ist auch ein grandioser Entertainer, es ist die helle Freude. Ein guter Lehrer sollte die Inhalte unterhaltsam vermitteln können, weiss Herr Palacios, der auch ausgebildeter Marketingfachmann ist.
Der Name ist übrigens echt, kein Künstlername.
Ferrari hin oder her, das Wichtigste ist die Familie, wie er versichert. Er ist der jüngste von sieben Geschwistern, die Mutter war ab seinem sechsten Lebensjahr alleinerziehend. Zwei Schwestern sind bei ihm an Bord, eine putzt, die andere unterrichtet an seinem Institut Grundlagen der Medizin. «Mein Vater wäre stolz auf mich», ist er sicher.
Sein Vater brachte sich um
Seine Kindheit ist der Grund, warum er tut, was er tut. Denn die war nicht sehr erbauend: Früh schon litt er unter Affektanfällen, bis zu 30 Mal am Tag wurde er urplötzlich ohnmächtig. Als er mit sechs allmählich lernte, die Anfälle zu kontrollieren, beging der Vater Suizid. Nach einem Wutanfall am heimischen Esstisch verliess dieser Haus und Familie und sprang von der Berner Kirchenfeldbrücke. «Das war wieder eine Ohnmachtssituation», erinnert sich Palacios. Dazu kamen noch die roten Haare und Sommersprossen, in der Schule wurde er deswegen gemobbt. Wegen all dem begann er mit dem Zaubern: «Ich wollte die Kontrolle haben.» Und er hatte den Wunsch, anders zu sein als die anderen, anders als die Mobber.
Das ist ihm gelungen, seine Geschichte ist darum auch eine Selfmade-Geschichte. In Amerika käme sie sehr gut an. Und hier? «Einfach immer auf Augenhöhe sein mit allen», das sei ihm wichtig. Er helfe etwa auch beim Aufräumen und Putzen.
Mittlerweile üben wir Blitzhypnose, an uns selber, die mit dem Fingerschnipsen. «Das könnt ihr alle heute daheim schon reproduzieren», motiviert der Meister seine Zauberlehrlinge. «Ahh» und «Ohh» tönts aus der Runde. Und eigentlich ist das eine tolle Sache, schliesslich hat jeder rund 500 Franken für den Tag bezahlt. «Hypnotisieren geht aber nicht gegen den Willen einer Person», sagt Palacios.
Es kribbelt wie irre
Und dann bin ich dran. Kontrolle abgeben und so.
Tja, einen Ort, wo ich mich wohlfühle, das wüsstest du gern, denke ich dort vorne im Sessel und sage vorsichtshalber: «Äh, eine Wiese.» Denke dabei aber an einen Wald. Es folgt, Bruno kennt das schon, die obligate Beinstarre. Meine Beine sollten jetzt also mit dem Boden festgewachsen sein, was ich so leider nicht bestätigen kann. Aber jetzt absichtlich zu strampeln, wäre auch läppisch. Also lasse ich es bleiben. So einfältig sind meine Gedanken.
Die Sache ist vertrackt: Eigentlich will man ja das fröhliche Versuchskaninchen spielen, gehört ja irgendwie zum Job, aber man ist ja auch nicht blöd und durchschaut die hinlänglich bekannte Schlangenbeschwörer-Kompetenz des Meisters. Kurz: Ich sträube mich. Aber mehr so innerlich.
Irgendwann macht Palacios etwas mit meiner Hand, die plötzlich wie irre zu kribbeln beginnt. «Tuts weh?», fragt er. Nein, nicht wirklich. Und was macht Palacios? Der sagt allen Ernstes: «Öffne die Augen und schau mal auf deine Hand.»
Boah, die sieht jetzt doch erstaunlich lädiert aus, sie glüht feuerrot mit Furchen von kratzenden Fingernägeln. Den Schmerz hätte ich doch spüren müssen? Palacios lächelt sanftmütig. Jetzt bin ich dann doch baff.
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