Am Küchentisch von Thomas Bachmann in Köniz BE klirren die Gläser. Das Gründungs-quintett des Jodlerklubs Männertreu Suisse stösst auf die offizielle Lancierung des Chors an. Bachmann, der Präsident, wagt einen Versuch, noch mal halbwegs ernsthaft die Statuten vorzulesen, aber rechts und links von ihm wird bereits getrunken, gelacht und geschwatzt. Also lässt ers bleiben.
Die Themen am Tisch sind keine anderen als in jedem beliebigen Männerchor, wenn man mit den Kollegen nach der Probe noch eins «zieht». Der Job, die Familie, Wochenend- oder Ferienpläne. Der kleine, aber entscheidende Unterschied: Hier wird nicht von Ehefrauen, Freundinnen und Kindern erzählt, sondern von Partnern. Die fünf Männer verbindet nämlich nicht nur ihre Liebe zur Volksmusik, sondern auch die zu Männern. Und am Stammtisch einer traditionellen Jodlerrunde kann einen nur schon die Frage «Hast du eigentlich eine Freundin?» ganz schön in Verlegenheit bringen, weiss Thomas Bachmann.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Kein Larifari, kein Statement
Bachmann kommt aus einer in der Jodlerszene etablierten Familie, hat als Kind mit seinem Vater im Duett gejodelt und sang später auf CD-Aufnahmen. Einen Jodlerklub, in dem er sich wohlfühlte, fand er nicht. «Es ist nicht so, dass man aufgrund seiner sexuellen Orientierung nicht akzeptiert würde, aber gerade in diesem traditionellen Umfeld bräuchte es mehr, als bloss geduldet zu werden. Es sind komplett unterschiedliche Lebenswelten.»
Das weiss auch Franz-Markus Stadelmann, der Dirigent von Männertreu Suisse. Er selbst hat zwar diese Erfahrung so nicht gemacht. Als er sich mit 35 Jahren outet, ist er bereits ein bekannter Name in der Volksmusikwelt, jodelt nicht nur selbst, sondern leitet auch als Dirigent erfolgreich verschiedene Chöre. «Aber die Hemmschwelle von Schwulen, einem Verein in einem sehr traditionellen Umfeld beizutreten, ist gross. Schade, denn so geht viel Talent verloren.»
Erst nur Absagen
Die Idee eines schwulen Jodlerklubs geistert denn auch schon seit vielen Jahren in den Köpfen von Stadelmann und Bachmann herum, die einander schon lange kennen. Als Thomas Bachmann bei einem Apéro Reto Rüegg kennenlernt, ist dieser sofort begeistert von der Idee. «Ich hätte schon damals sehr gern in einem traditionellen Chor gesungen, aber in meinem urbanen Umfeld gab es so etwas nicht.» Zusammen mit zwei weiteren Bekannten, Fabio Truffer und Marcel Blickenstorfer, machen sie dann endlich Nägel mit Köpfen. Der erste Schritt: Mitglieder suchen. Gar nicht so einfach. Franz-Markus Stadelmann legt eine Liste mit Namen von Jodlern und Sängern an, von denen er weiss, dass sie schwul sind – und kassiert nur Absagen.
Erst als er beim SRF-Radio Musikwelle vom Projekt erzählt und sie eine Homepage aufschalten, auf der man sich informieren kann, tröpfeln die Anmeldungen rein. Mittlerweile hat der Chor rund 40 Mitglieder aus der ganzen Schweiz, die sich einmal im Monat in Olten zur Probe treffen. Das Ziel ist klar: ein Auftritt am Eidgenössischen Jodlerfest. Denn ein Larifari-Verein, so der Dirigent, wolle man nicht sein. Aber auch kein Statement. «Uns gehts nicht darum zu sagen: ‹Schaut her, wir sind schwul und tragen trotzdem eine Tracht!› Wir texten auch keine Lieder so um, dass sie zu einer Schwulen-Community passen. Es geht einzig und allein darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem Männer, die sich nicht so in einem traditionellen Jodlerklub sehen, ihrem Hobby nachgehen können.»
Prügel und Getratsche
Diskriminierung – und sei es nur durch blöde Sprüche – gehört für schwule Männer zum Alltag. Thomas Bachmann wurde gar einmal körperlich attackiert, von drei Männern mit der Faust ins Gesicht geschlagen und mit Füssen getreten. Das ist zwar schon lange her, gehört aber für Schwule auch heute noch viel zu oft zur Realität. Jeder der fünf Männer am Tisch kann über Dutzende Situationen berichten, in denen er seiner sexuellen Orientierung wegen anders behandelt wurde als andere. Es irrt, wer glaubt, die Gesellschaft werde diesbezüglich immer offener. «Ich erlebe das Gegenteil», sagt Marcel Blickenstorfer. «Vor zehn Jahren bin ich noch mit meinem Mann Hand in Hand durch die Stadt gelaufen. Das trauen wir uns heute nicht mehr.» Verleugnen oder verstecken mag sich keiner von ihnen.
Auch nicht wegen der Familie. «Meine Mutter fand erst, ich gehe etwas gar offensiv mit meiner Homosexualität um, das müsse man doch nicht gleich jedem auf die Nase binden», erzählt Stadelmann. Ab dem Zeitpunkt, als er sich traut, zu sich zu stehen, nimmt er seinen Partner auch zu Jodelfesten mit. «Findet jemand das unpassend, ist es sein Problem, nicht meins.» Auch die Mama gewöhnte sich daran, dass Franz-Markus den Partner mitbringt zum Sonntagszmittag statt einer Partnerin.
«Mich zu verleugnen, ist keine Option»
Fabio Truffer, über 30 Jahre jünger als Franz-Markus Stadelmann, macht ähnliche Erfahrungen. «In einem kleinen Walliser Dorf wird halt getratscht. Ich weiss, dass das für meine Familie nicht angenehm ist. Aber mich selbst zu verleugnen, ist einfach keine Option.» Umso mehr geniesst er sein neu gewonnenes Hobby mit Gleichgesinnten. Fabio wollte ursprünglich gar nicht mitsingen bei Männertreu Suisse, sondern sich ums Marketing kümmern. Er tut nun beides sehr erfolgreich. Man siehts an den vielen Anfragen für Auftritte, die bereits eingehen. «Aber die Leute müssen sich noch etwas gedulden, wir haben ja erst zweimal geprobt», sagt Franz-Markus Stadelmann. Man darf gespannt sein, was es von diesen Männern künftig noch zu hören gibt.