BLICK: Herr Hohler, Sie halten Ihre Biografie in den Händen.Wie fühlt sich das an?
Franz Hohler: Im Nachhinein hat man ja jeweils das Gefühl, dass die Zeit wahnsinnig schnell vergangen sei. Doch wenn ich das Buch durchblättere, merke ich, dass es eine reiche Zeit war. Aber wenn eine Biografie über einen erscheint, ist das ein Alarmsignal. Es bedeutet, dass man im Alter angekommen ist.
Was wird im Alter wichtiger?
Die Beziehungen und Freundschaften zu den Menschen, die man gerne hat. Weil man merkt, dass der Vorrat an Zukunft langsam schmilzt. Alle Momente, die man zusammen verbringt, werden kostbarer.
Wenn Sie zurückschauen, würden Sie etwas anders machen?
Ich hätte Akzente anders setzen können. Es ist mir nie gelungen, etwas für die grossen Schauspielhäuser zu schreiben. Wenn ich nicht so viele Kindersendungen fürs Fernsehen gemacht hätte, wäre aus mir vielleicht ein Dramatiker geworden.
Bereuen Sie das?
Solchen Sachen weine ich nicht nach. Dafür habe ich so viel anderes gemacht und immer das, woran ich Spass hatte. Bis heute bekomme ich Reaktionen auf die Kindersendung «Franz und René». Und dann denke ich, das ist doch viel lustiger als ein Drama. Es ist alles gut, so wie es ist.
Sie zählen zu den grossen Intellektuellen der Schweiz und schreiben noch immer Kinderbücher. Warum?
Ich liebe die kindliche Fantasie. Dieser Zustand, in dem sich der Mensch seine eigene Welt erschafft. Das fängt mit dem ersten Atemzug an und intensiviert sich mit jedem Lebensjahr.
Sie haben auch ein Grosskind?
Ja, eine Enkelin. Ihr Bild hängt über dem Bett hier im Arbeitszimmer. Wenn ich mal einen Mittagsschlaf machen will, brauche ich bloss dieses friedlich schlafende Baby anzuschauen und schon bin ich weg.
Haben Sie sich selber etwas Kindliches bewahrt?
Das hoffe ich. Der Umgang mit Kindern macht mir grosse Freude. Das funktioniert nur, wenn man die Türe zum eigenen Kinderzimmer offen lässt. Interessant ist die Beweglichkeit im Denken der Kinder. Sie haben keine Mühe mit der magischen Welt. Obwohl sie wissen, dass es nicht möglich ist, finden sie es lustig, wenn ein Joghurt aus dem Kühlschrank abhaut. Für sie ist es auch normal, dass Tiere sprechen. Das bedeutet letztlich, dass wir mit den Tieren verwandt sind und wir der Natur Sorge tragen müssen.
Das ist auch Ihnen ein Anliegen. Sind Sie Vegetarier?
Ich mag Fleisch gerne, aber ich esse trotzdem oft vegetarisch. Besonders in Restaurants oder bei grossen Anlässen. Einfach, um ein Zeichen zu setzen. Und wenn immer möglich esse ich bio. Nicht, weil ein Bio-Rüebli besser schmeckt, sondern weil es im schonenden Umgang mit der Erde heranwächst.
Sind Umweltprobleme heute komplexer als vor 50 Jahren?
Ich glaube, jede Gegenwart ist unübersichtlich. Sie wird erst übersichtlicher, wenn sie zur Vergangenheit geworden ist. Oft denkt man, dass es früher einfacher war. Aber wenn man älter wird, kommt einem vieles ähnlich vor. Darum erschrickt man im Alter nicht mehr so leicht.
Aber gerade in Bezug auf die Umwelt scheinen heute viele Schäden unumkehrbar.
Anfang der 70er-Jahre erschien der erste Bericht des Club of Rome zum Zustand des Planeten. Er hielt die Konsequenzen des Wachstums in Zahlen fest. Dazu habe ich die Ballade «Der Weltuntergang» geschrieben. Ich trage sie noch heute in Schulen vor und alle denken, es sei aktuell. Die Probleme von heute sind schon lange bekannt. Natürlich haben sie sich verschärft. Und es ist anders, ob man vor etwas warnt oder sieht, wie es passiert.
Tut es das jetzt?
Ein aktuelles Beispiel ist das Sterben der Korallenriffe. Ich habe gelesen, dass einer der Stoffe in der Sonnencreme dafür mitverantwortlich ist. Es tauchen immer gleiche Muster auf. Der Mensch greift ein, hat aber keine Ahnung über die Auswirkungen. Für den Menschen ist Sonnencreme etwas Nützliches, aber für die Korallen fatal.
Sie haben ein Manifest zum Flüchtlingsthema geschrieben. Würden Sie jemanden bei sich aufnehmen?
Das haben wir uns überlegt. Flüchtlinge aufzunehmen, würde unsere Verhältnisse und auch unsere Lebensweise überfordern. Ich bin ja ein rüstiger Rentner und häufig unterwegs. Im Übrigen bewilligen die Migrationsämter weniger private Unterbringungen von Flüchtlingen als angeboten werden. Etwas, das ich nicht verstehe.
Es geht auf den Lebensabend zu, wie viel arbeiten Sie noch?
Der Abend war immer eine sehr aktive Tageszeit für mich, und das ist auch heute noch so. Ich nehme mir immer wieder vor, weniger zu machen. Aber es klappt nicht so ganz, und das ist gut so. So lange mir was in den Sinn kommt und es mir und anderen Freude macht, bleibe ich aktiv.