Seit sie sich 1998 bei einer Klettertour an den Red Rocks im US-Bundesstaat Nevada kennenlernten, kreuzten sich die Wege der beiden Extremsportler Ueli Steck (†40) und Evelyne Binsack (51) während fast 20 Jahren regelmässig. Sie unternahmen Skitouren in der Schweiz und waren 2013 zeitgleich am Mount Everest, dem mit 8848 Meter höchsten Berg der Welt. Stecks früher Tod hat auch bei ihr tiefe Spuren hinterlassen.
Vor zwei Jahren starb Ueli Steck. Wie denken Sie heute über seinen Tod?
Evelyne Binsack: Uelis Tod ist für mich noch immer schwer zu fassen. Natürlich wussten nicht nur wir Bergsteiger, dass bezüglich Uelis Art, Berge als Alleingänger zu besteigen, eine Millisekunde der Unachtsamkeit genügt, und ein kleiner Fehler tödlich enden kann. Aber Ueli hinterliess das Gefühl, dass er zu jeder Zeit wusste, was er tat und sogar für Profibergsteiger galt er am Berg schon fast als unsterblich.
Welche Gedanken beschäftigen Sie seit da?
Lukrative Sponsorenverträge, der Medienrummel, der Druck, den Profi-Bergsteiger auf sich selber ausüben, können die eigene Wahrnehmung stark verzerren. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass ein Unglück nicht einfach ohne Vorwarnung kommt. Es sind einige unruhige Gefühle, die sich vor einem Unfall ankündigen und die man, im Rausch des Erfolgs oder unter Druck, leicht «überhört». Ueli entwickelte zwei verschiedene Persönlichkeiten. Die eine war sehr zugänglich, hilfsbereit, ungezwungen und offen. Die andere war, was ihm auch den Erfolg einbrachte, sehr ehrgeizig, diszipliniert, akribisch. Ich wage zu behaupten, dass Ueli beruflich gegen Schluss hin eher getrieben war und dass seine Leidenschaft nicht mehr im gleichen Licht strahlte.
Ueli Steck (†40), gelernter Zimmermann aus dem Emmental, gehörte zu den weltbesten Solokletterern. Die «Swiss Machine», so sein Übername, war für seine frappante Schnelligkeit auf hochalpinen Routen bekannt. Vor zwei Jahren wollte er schaffen, was vor ihm noch niemandem gelungen ist: Die beiden Gipfel von Mount Everest (8848 m) und Lhotse (8516 m) innert 48 Stunden und ohne Sauerstoffflasche in einem Zug zu bezwingen. Für dieses Extremunternehmen befand er sich am 30. April 2017 auf Akklimatisierungstour am Nuptse (7861 m) im Himalaya-Gebirge, wo er in die Tiefe stürzte. Noch am selben Tag wurde sein lebloser Körper durch einen Rettungstrupp gefunden. Steck hinterlässt seine Ehefrau Nicole.
Ueli Steck (†40), gelernter Zimmermann aus dem Emmental, gehörte zu den weltbesten Solokletterern. Die «Swiss Machine», so sein Übername, war für seine frappante Schnelligkeit auf hochalpinen Routen bekannt. Vor zwei Jahren wollte er schaffen, was vor ihm noch niemandem gelungen ist: Die beiden Gipfel von Mount Everest (8848 m) und Lhotse (8516 m) innert 48 Stunden und ohne Sauerstoffflasche in einem Zug zu bezwingen. Für dieses Extremunternehmen befand er sich am 30. April 2017 auf Akklimatisierungstour am Nuptse (7861 m) im Himalaya-Gebirge, wo er in die Tiefe stürzte. Noch am selben Tag wurde sein lebloser Körper durch einen Rettungstrupp gefunden. Steck hinterlässt seine Ehefrau Nicole.
Denken Sie, er hat gewusst, dass er nicht lebend zurückkehrt?
Ich bin überzeugt, dass Ueli bereits seit einer gewissen Zeit vor seinem Tod, nicht mehr hundert Prozent aus einer tiefen Motivation, unterwegs war. Er hat auch selber gesagt, dass er so auf Dauer nicht weitermachen könne, «sonst fehle man eines Tages beim Abendessen».
Vor zwei Wochen starben die drei Star-Bergsteiger David Lama, Jess Roskelley und Hansjörg Auer durch eine Lawine in Kanada. Haben Sie die drei gekannt?
Ich habe vor allem die Aktivitäten von David Lama stark mitverfolgt. Er war ein junger, talentierter Bergsteiger aus Österreich, mit einem Sherpa-stämmigen Vater aus dem Khumbutal in Nepal. Als er 2012 die Kompressor-Route am Cerro Torre frei kletterte, holte er sich definitiv die Unsterblichkeit im Extrem-Alpinismus.
Wie denken Sie über deren Tod?
Die Fragen, die ich mir als Berufsbergführerin stelle, sind, warum die drei Profialpinisten nach den ersten Spontanlawinen in unmittelbarer Nähe nicht umgekehrt sind. Auch Wettervorhersagen sind heute mit einem Satellitentelefon von überall abrufbar, welche die Bergsteiger zusätzlich vor dem Schneefall gewarnt hätten. Das Unglück ist passiert, und es ist sehr schwierig, die Entscheidungsfindungen der drei Profibergsteiger nachzuvollziehen.
Ueli Steck war alleine unterwegs.
Es war sein Stil, seine Schnelligkeit, seinen Anspruch an sich selbst, seine Art, auch schwierige Routen an hohen Bergen alleine zu bewältigen.
2013 legte er sich mit Sherpas am Mount Everest an, was als Machtkampf zwischen Einheimischen und Profikletterern beschrieben wurde. Hat sich die Bergsteigerwelt so sehr verändert, dass Einklänge mit der Natur nicht mehr im Vordergrund stehen?
Beim Profibergsteigen ging es nie nur um den Einklang mit der Natur. Im 19. Jahrhundert waren es ausschliesslich Männer, die Berge bestiegen und da nistete sich auch der Sprachgebrauch ein: einen Berg «bezwingen». Einen Berg «in Angriff nehmen». Das ist eine Wortwahl, die mich bis heute total irritiert.
Was ist der Extrem-Bergsteiger für ein Typ Mensch?
Extrembergsteigen setzt viele Emotionen frei, die der Athlet im normalen Leben, in dieser Art, nicht finden kann oder nicht finden zu können glaubt. Also handelt es sich eher um einen verschlossenen Typ Mensch. Und mit «verschlossen» meine ich nicht einmal eine fehlende Extrovertiertheit, sondern vielmehr die Verschlossenheit zu sich selbst.
Ihre Parallelen zu Ueli Steck?
Sowohl Ueli als auch ich haben unsere Leidenschaft zu unserem Beruf gemacht. Ueli wurde Profi-Bergsteiger, ich Berufsbergführerin. Meine Alleingänge durch zahlreiche Nordwände habe ich jedoch nie im Rampenlicht der Öffentlichkeit unternommen.
Wie ist heute Ihr Verhältnis zu den Bergen?
Ich bin nach wie vor sehr viel im Gebirge unterwegs. Aber ich habe keinen Bock mehr auf noch höher, noch schwieriger, noch exponierter. Dieses Feuer ist erloschen. Und auch das Feuer an den 8000 Meter hohen Bergen ist erloschen.
Weshalb ist dieses Feuer erloschen?
Ich war über 35 Jahre auf hohem Niveau am Berg unterwegs. Ich habe genügend Schneebiwaks erlebt, wo man vor Kälte zitternd den nächsten Morgen abwartet.
Wofür brennt es heute?
Für das eigene Leben. Nur damit hat man die Energie, dieses in anderen Menschen zu entfachen.
Was können Sie Bergsteigern mit auf den Weg geben?
Ein frühzeitiger Rückzug am Berg kann eine lebensverlängernde, sehr kluge Entscheidung sein.
Evelyne Binsack (51) war 2001 die erste Schweizerin, die den Gipfel des Mount Everest erreichte, den höchsten Berg der Welt. Die gebürtige Nidwaldnerin liess sich zur Bergführerin, Helikopterpilotin und Filmerin ausbilden. Zwischen 2006 und 2007 legte die Extremabenteurerin 27'000 Kilometer von Innertkirchen BE an den Südpol zurück, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Heute führt Evelyne Binsack Touren durch die heimischen Berge und hält Motivationsreferate. Seit 20 Jahren lebt sie im Berner Oberland.
Evelyne Binsack (51) war 2001 die erste Schweizerin, die den Gipfel des Mount Everest erreichte, den höchsten Berg der Welt. Die gebürtige Nidwaldnerin liess sich zur Bergführerin, Helikopterpilotin und Filmerin ausbilden. Zwischen 2006 und 2007 legte die Extremabenteurerin 27'000 Kilometer von Innertkirchen BE an den Südpol zurück, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Heute führt Evelyne Binsack Touren durch die heimischen Berge und hält Motivationsreferate. Seit 20 Jahren lebt sie im Berner Oberland.