Erinnerungen an Beat Richner
Der «Swiss Doctor» rettete Millionen von Kindern

Er hat sein Leben den Ärmsten und Schwächsten gewidmet, eine ganze Generation von Kambodschanern verdankt dem «Swiss Doctor» ihr Leben. Kinderarzt Beat Richner ist am Sonntag mit 71 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben. Sein Werk lebt weiter.
Publiziert: 09.09.2018 um 21:47 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 23:00 Uhr
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Warteschlange vor dem Kinderspital Kantha Bopha in Siem Reap, Kambodscha: Hier werden Kinder gratis medizinisch versorgt.
Foto: Getty Images / EyesWideOpen
Peter Rothenbühler

Beat Richner hätte den Nobelpreis verdient, entweder für Frieden oder für Medizin. Denn er war ein Friedensstifter und ein Medizinpionier. Sein Lebenswerk kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er war wohl der wichtigste humanitäre Botschafter der Schweiz seit Henry Dunant. Er hat etwas auf die Beine gestellt, das anfangs von vielen kritisiert wurde, heute aber weltweit als Modell von nachhaltiger Hilfe im Gesundheitswesen gilt. Er sprach nicht gerne von Hilfe, er wollte Gerechtigkeit herstellen, Frieden. «Nach einem furchtbaren Krieg ist Heilung für kranke Kinder die nachhaltigste Friedensarbeit, die es überhaupt gibt», sagte er immer.

Er hat mit seinen Kinderspitälern Millionen von Kindern operiert, gepflegt, geimpft, Hunderttausende vor dem sicheren Tod gerettet. Eine ganze Generation von Kambodschanern verdankt ihr Leben dem «Swiss Doctor», diesem Kinderarzt, den viele Entwicklungshelfer und selbst die Weltgesundheitsorganisation am Anfang sehr kritisch verfolgt haben, weil er alles anders gemacht hat. Und recht bekommen hat.

Moderne Medizin für alle, nicht nur die Reichen 

Als er 1991 beschloss, seine Kinderarztpraxis in Zürich aufzugeben, wo die ganze Schickeria des Züribergs mit ihren Kindern ein- und ausgegangen ist, hatte er eine klare Idee von dieser «andern» Art zu helfen. Der alte Grundsatz vieler europäischer Entwicklungshelfer, man müsse in armen Ländern für arme Menschen eine arme Medizin, also sogenannte Barfussmedizin ausüben, mit Krankenstationen, die nur minimal, meist mit Occasionswerkzeug, ausgerüstet sind, hat er strikte abgelehnt. Korrekte Medizin für alle, das war sein Anspruch.

«Rolls-Royce-Medizin», riefen die Hilfswerke aus, wenn er einen Computertomografen anschaffte, weil die Tuberkulose beim Kind nur mit einem solchen Gerät korrekt diagnostiziert werden kann. Doch: Selbst die WHO wusste nicht, wie viele Kinder nur wegen Unterernährung behandelt werden, obschon sie Tuberkulose haben. Weil die Diagnose fehlte.

Anständige Löhne für kambodschanische Ärzte

Dann bekämpfte Richner konsequent die Korruption. In den meisten armen Ländern geht das Geld von Hilfsorganisationen zuerst an die Regierung, dort versickert es zum Teil. Das kambodschanische Gesundheitsministerium verlangte zunächst auch, das Spendengeld zu verwalten und die Ärzte und das Pflegepersonal selbst anzustellen. Richner sagte Njet, das Spendengeld wird von einer Treuhandfirma in Zürich verwaltet, die Leute werden von Richner persönlich angestellt und entlöhnt, und zwar zu Ansätzen, die verhindern, dass jeder Arzt noch einen Nebenjob ausüben muss, um seine Familie zu ernähren. Für diese Art, das Spital zu führen, musste er jahrelang kämpfen, bis die Regierung nachgab.

Beat Richner sorgte auch dafür, dass die hohe Qualität der Medizin in seinen Spitälern gesichert wird, durch eine Partnerschaft mit Kapazitäten der Schweizer Medizin: Das Universitäts-Kinderspital Zürich sandte regelmässig seine Professoren nach Kambodscha, zum Aufbau einer Chirurgie, einer Maternité, einer Neurologie etc. Die Spitäler Kantha Bopha haben heute Universitätsrang, und die Prüfungen der künftigen Mediziner werden von Professoren aus Zürich abgenommen. Auch hier nach dem Grundsatz: Jedes Kind hat ein Recht auf korrekte Medizin, nach dem neuesten Stand der Wissenschaft.

Konzerte im Zürcher Grossmünster, Circus Knie und Kloster Einsiedeln

Neue Wege ging Dr. Richner auch beim Geldsammeln: Jeden Samstag gab er im Spital Jayavarman in Siem Reap, in der Nähe der Ruinen von Angkor Wat, ein Konzert, spielte auf seinem Cello Bach, sang eigene Lieder und informierte die Touristen über sein Werk. Mehrmals pro Jahr kam er mit seinem Cello in die Schweiz «auf Betteltour», wie er sagte, und gab Konzerte mit Vortrag vor einem grossen Publikum, im Zürcher Grossmünster, bei der jährlichen Gala im Circus Knie und im Kloster Einsiedeln.

Er bestand auch darauf, die vielen Spender regelmässig mit Inseraten über den Stand der Dinge zu informieren, die er selbst schrieb. Er brauchte keine Werbeagentur. Und noch eins hat er anders gemacht: Er hat dafür gesorgt, dass sein Lebenswerk über seinen Tod hinaus reibungslos weitergeht, indem er eine kambodschanische Mannschaft aufgebaut hat, die die Spitäler nach seinen Kriterien weiterführt. Unter der Leitung seines langjährigen Stellvertreters Peter Studer. Zum Glück hat er selbst noch erleben dürfen, wie Experten aus der ganzen Welt seine «andere» Art zu helfen als vorbildliches Projekt mit dem besten je gesehenen Kosten-Wirkungs-Verhältnis beurteilt haben.

Peter Rothenbühler, Mitglied des Stiftungsrates Kantha Bopha, Ex-Chefredaktor «Schweizer Illustrierte»

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