Wenn der Schweizer National-Komiker 90 wird, ist ein grosses Interview das Mindeste. Et voilà!
Herr Steinberger, zum Anfang ganz simpel und einfach: Wie geht es Ihnen?
Emil Steinberger: Kein Halsweh, kein Fieber, kein Kopfweh – ergo, es geht mir gut.
Wie, wo und mit wem werden Sie Ihren runden Geburtstag feiern?
Ja, ja, das möchte man gerne wissen. Das Wo beantworten wir niemandem, und das Wie entwickelt sich gut. Aber so ganz wissen wir es erst, wenn wir am Bestimmungsort angekommen sind und alle Möglichkeiten gecheckt haben. Jetzt bleibt noch Mit wem? Ich glaube, das erraten alle selber – jedenfalls muss ich kein Catering bestellen. Türsteher braucht es auch nicht.
Dürfen wir angesichts der aktuellen Weltlage überhaupt feiern?
Auf unsere Art sicher.
Haben Sie je ein so tristes Jahr wie 2022 erlebt?
Ich vermute leider, es könnten noch tristere Jahre kommen. Es rumort zurzeit auf der ganzen Welt. Und die eingesetzten Mittel, um Unruhe zu stiften und politische Systeme zu vernichten, werden immer teuflischer, bösartiger und gemeiner. Vieles wird schleichend inszeniert.
Möchten Sie noch einmal 20 sein?
Warum auch nicht? Ich würde dann aber nicht nochmals als Postbeamter beginnen wollen. Denn die Aufgaben am Schalter würden mir heute keinen Spass mehr machen. Dass ich bereits in den 50er-Jahren in einem Cabaret-Ensemble nebenberuflich mitspielen konnte, würde ich beibehalten – wie auch die ganze Fortsetzung. Denn die war sehr abwechslungsreich und erfolgreich.
Und wie alt möchten Sie werden?
Ich weiss nicht, ob Sie so viel Raum auf der Seite haben. Diese Antwort bräuchte Platz. Es wären da ganz schwierige Berechnungen auszuführen, die mit der Konstellation der Sonne in Verbindung gebracht werden müssten – aber ohne die eigenen körperlichen Strömungen zu vergessen, die ja den Herzrhythmus ebenso beeinflussen wie die in letzter Zeit neu entdeckten Aufgaben des Darms. Kurz gesagt: Ich benötige schon noch etwas Zeit!
Sie sind seit 60 Jahren künstlerisch unterwegs. Woher nehmen Sie diese verblüffende Energie?
Darf ich statt 60 die Zahl 78 nennen? Denn mit zwölf Jahren hatte ich schon erste kabarettistische Auftritte; in der Pfarrei St. Paul in Luzern, beim Jahresessen der Ministranten. Die Energie hole ich beim Publikum, die sie mir über ihr Lachen zuwirft.
Und hat sich wirklich noch nie ein ganz kleiner Rücktrittsgedanke eingeschlichen?
Das ist eine gute Frage. Es gab immer wieder Abschnitte im Leben, in denen ich überfordert war durch das Realisieren meiner eigenen Wünsche und Ideen. Aber vor allem durch die vielen Wünsche, die immer von aussen auf mich zukamen. Da entstanden oft Ballungen von Aufgaben. Und da hätte ich gerne oft längere Atemzüge machen wollen oder sogar mal einen Stopp gerissen. Aber die gestellten Aufgaben waren dann doch zu reizvoll.
Hat das Publikum ein Anrecht darauf, dass der Star immer weitermacht?
Das Publikum hat eine andere Optik als der Künstler und kann nicht beurteilen, was der Künstler erlebt und spürt, und muss deshalb seine Meinung und seine Wünsche denen des Künstlers unterordnen. Ein Pfarrer in Kriens meinte einmal in einer Sonntagspredigt, dass man verpflichtet sei, es auch auszuüben habe, wenn man so ein von Gott geschenktes Talent besitze wie der Emil. Aber eben: Auch ein Pfarrer kann so etwas nicht beurteilen und hat selbstverständlich auch die Geschichte der Kirche zu beachten.
Wie sehr gehört ein Künstler dem Publikum?
Dieser Gedanke ist mir fremd. Auf einen Ballkünstler Messi könnte es vielleicht zutreffen. Seine Persönlichkeit gehört scheinbar allen ArgentinierInnen. Ich möchte nicht tauschen mit ihm.
Kann und darf sich der Star dagegen wehren, vereinnahmt zu werden?
Sich zu wehren ist heikel, aber vielleicht notwendig. Man muss sehr diplomatisch vorgehen und versuchen, mit Feingefühl die Grenzen zu markieren.
Wenn Sie von der Bühne gehen und der Vorhang fällt: Was sind Sie eigentlich für ein Mensch?
Ich beschreibe mich nicht gerne selbst. Das könnte schnell falsch verstanden werden. Ich kann nur sagen, dass ich abseits der Bühne ein sehr interessierter, neugieriger Mensch bin. Die Trennlinie zwischen Bühne und Privatleben ist schwer zu ziehen. Schliesslich gehört zu den Bühnenauftritten auch immer sehr viel Vorbereitungsarbeit, von der das Publikum nichts mitbekommt. Bücher, vor allem auch über Erfindungen, haben mich schon in meiner Jugendzeit bestens unterhalten. Ich liebe es, Menschen Fragen zu stellen und dadurch mit neuen Ansichten konfrontiert zu werden oder neue Lösungsansätze kennenzulernen.
Was fällt Ihnen heute schwerer als noch vor zehn Jahren?
Meine selbst geschriebenen Texte auswendig zu lernen. Das fiel mir noch nie leicht, aber jetzt ist es noch mühsamer. Dafür aber fällt es mir leichter, früh aufzustehen, um Pendenzen zu erledigen.
Was bereuen Sie?
Ich bin nicht fehlerlos. Ich habe nicht immer clever auf private Lebenssituationen reagiert.
Was bereuen Sie?
Mich nicht an einer höheren Schule ausgebildet zu haben.
Der gebürtige Luzerner Emil Steinberger – seit 2008 ist er Ehrenbürger – ist seit den frühen 70er-Jahren als Kabarettist im ganzen deutschsprachigen Raum erfolgreich. Sketches wie «S'Chileli vo Wasse» oder «Der Kinderwagen» sind Teil des Schweizer Kulturguts geworden. Zur ungemein grossen Popularität des gelernten Postbeamten trugen auch seine legendären Knie-Gastspiele oder die Hauptrolle im Film «Die Schweizermacher» bei. Nach einem längeren Aufenthalt in New York (USA) heiratete er 1999 seine heutige Gattin Niccel (57) und kehrte mit ihr in die Schweiz zurück. Seit 2014 lebt das Ehepaar in Basel.
Der gebürtige Luzerner Emil Steinberger – seit 2008 ist er Ehrenbürger – ist seit den frühen 70er-Jahren als Kabarettist im ganzen deutschsprachigen Raum erfolgreich. Sketches wie «S'Chileli vo Wasse» oder «Der Kinderwagen» sind Teil des Schweizer Kulturguts geworden. Zur ungemein grossen Popularität des gelernten Postbeamten trugen auch seine legendären Knie-Gastspiele oder die Hauptrolle im Film «Die Schweizermacher» bei. Nach einem längeren Aufenthalt in New York (USA) heiratete er 1999 seine heutige Gattin Niccel (57) und kehrte mit ihr in die Schweiz zurück. Seit 2014 lebt das Ehepaar in Basel.
Manche Ihrer Künstlerkollegen, die viel jünger sind als Sie, haben bereits ihr Testament gemacht, ihr Begräbnis organisiert und ihren Nachlass geregelt. Wie sieht es bei Ihnen aus?
So etwas kann beruhigend sein. Für mich ist es viel beruhigender, dass ich mich nicht mehr als nötig mit dem Thema Tod beschäftige. Ich plane lieber meine künftigen Jahre. Es gibt noch viele Ideen zu realisieren. Und das ist das Gescheiteste, um dem Sensenmann keine Chance zu geben.
Wie spürt man überhaupt, dass man geliebt wird?
Das kann eine anerkennende, begeisterte Liebe sein von Drittpersonen. Das kann ein Wort sein oder ein besonderes Kompliment – zum Beispiel, wenn man mit mir über den Fussgängerstreifen läuft. Oder auch, dass Vater und Mutter mit ihren zwei Kindern viermal die gleiche Vorstellung besuchen. Ein chinesischer Restaurantbesitzer erzählte mir immer ganz begeistert, dass er seinem Vater in Hongkong Emil-DVDs mitbringt. Er könne immer lachen, auch wenn er kein Wort verstehe. Da muss fast etwas Liebe drinstecken. Aber Liebesbeweise zwischen Paaren haben natürlich andere Dimensionen, andere Tiefe und grosse Dankbarkeit. Oft habe ich das Gefühl, dass ich all die Zuneigungen meiner Frau, die stete Hilfsbereitschaft und Förderungen, gar nicht im gleichen Ausmass zurückgeben kann. Ich habe es wirklich gut!
Wo wären Sie heute ohne Ihre Ehefrau?
Vermutlich immer noch in New York – aber sicher nicht so glücklich, wie ich es heute bin. Unsere Geschichte, die einmalige Konstellation und der lange, kontinuierlich sich entwickelnde Entstehungsprozess unserer Beziehung haben absoluten Seltenheitswert. Eine Zeitschrift titelte mal «Eine filmreife Liebesgeschichte». Alles, was ich seit meiner Rückkehr in die Schweiz realisiert habe, war nur dank Niccels Unterstützung möglich. Wie in früheren Jahren fast alles im Alleingang zu machen, das hätte mich total überfordert. Niccel steckte ihre persönlichen und beruflichen, ehrgeizigen Ziele zurück und investierte all ihre Kräfte in mich. Jetzt ist es an mir, ihren grossen, kreativen Fähigkeiten die notwendige Aufmerksamkeit und Unterstützung zu geben. Sie ist eine Wundertüte … das kann ich nur immer wieder wiederholen.
Fürchten Sie sich manchmal vor der Endlichkeit?
Vermutlich finde ich gar nicht die Zeit dazu, all die fantasievollen Visionen einer Endlichkeit oder eines Lebens nach dem Tod einzuordnen, geschweige denn, deren Wahrheitsgehalt abzuklären. Vielleicht gibt ja eine Landung auf dem Mars den Gelandeten die Chance, eine mögliche Endlichkeit nachzuweisen.
Sind Sie glücklich? Und: Was ist Glück für Sie?
Glück kann man nicht bewusst anvisieren. Glück geschieht durch das Zusammenspiel verschiedener Konstellationen. Ich gestehe, ich bin ein Glücksmensch. Ich will hier nicht meine geglückten Arbeiten und Erlebnisse aufzählen. Das können Sie vielleicht dann in meiner Autobiografie nachlesen, die bald erscheint.