Priya Ragu (34) macht einen selbstbewussten Eindruck. Die Sängerin aus St. Gallen sagt offen, was sie denkt, und wenn sie über ihre Musik spricht, merkt man schnell: Hier steckt Leidenschaft dahinter. Dennoch hatte sie jahrelang nicht den Mut, eigene Lieder zu veröffentlichen.
«Ich hatte Selbstzweifel und zu wenig Vertrauen in mich selbst», erzählt Ragu im Gespräch mit BLICK. «Ich habe immer viel gesungen, hatte allerdings lange nicht das Gefühl, dass ich eigene Songs schreiben kann.» Dabei kam die Schweizerin mit tamilischen Wurzeln schon früh mit Musik in Kontakt. Jeden Sonntag luden ihre Eltern die ganze Verwandtschaft in die kleine Wohnung in St. Gallen, um zusammen zu musizieren. «Auch als ich noch zu klein war, um selbst ein Instrument zu übernehmen, hat mich das beeinflusst», erinnert sich Ragu. «Als ich später mit meiner Familie singen konnte, habe ich entdeckt, dass ich eine Stimme habe.»
«Meine Eltern fielen aus allen Wolken»
Als in der jungen Sängerin allerdings Pläne reiften, ihr Hobby zum Beruf zu machen, reagierten ihre Eltern weit weniger wohlwollend. «Sie fielen aus allen Wolken. Sie hatten immer das Gefühl, dass Sängerin kein richtiger Beruf sei und ich nie davon leben könnte. Ihr Traum wäre stattdessen gewesen, dass ich früh heirate und irgendwo einen festen Bürojob übernehme», sagt Ragu. Den Wunsch mit dem Bürojob hat sie ihnen schliesslich erfüllt, den Drang zur Musik konnte sie aber nie ablegen.
Die St. Gallerin sang an verschiedenen Open-Mic-Events oder steuerte Backing Vocals für die Songs von Schweizer Rappern bei. Lange glaubte Ragu selbst nicht daran, dass sie mehr erreichen könnte. «In der Schweiz ist es schwierig, seine Träume zu verfolgen», schlussfolgert die Sängerin. «Das liegt auch an der Mentalität. Man redet sich selbst ein, dass man es niemals schaffen kann, von der Musik zu leben.»
Musikkarriere aus Trotz
Als sie immer mehr Leute darauf ansprachen, was eigentlich mit ihrer eigenen Musikkarriere sei, habe es Ragu schliesslich nicht mehr ausgehalten: «Das passierte so oft, dass es schon fast nervig wurde. Irgendwann sagte ich dann fast aus Trotz: Jetzt nehme ich was Eigenes auf.» 2017 kündete sie ihren Job und zog für einige Monate nach New York, um sich ganz auf ihr Songwriting zu konzentrieren. Zusammen mit ihrem Bruder Japhna, der sich per Skype einschaltete, stellte sie schliesslich zehn Songs fertig.
Als sie im März 2020 endlich ihre erste Single in Eigenregie veröffentlichte, ging plötzlich alles sehr schnell. Nachdem der Song im britischen Nationalradio BBC lief, klopften über 20 Labels bei Ragu an. Auffällig: Aus der Schweiz war kein Einziges dabei. Während andere sich im Lockdown langweilten, feilte Ragu an ihrer Weltkarriere: «Die Meetings fanden alle per Videocall statt, ich habe mein Management nie persönlich getroffen. Da gehört auch viel blindes Vertrauen dazu. Ich musste mich auf mein Bauchgefühl verlassen.»
Träume vom internationalen Erfolg
Warner London konnte die Musikerin schliesslich überzeugen. Für sie passe das Label, da sie sich nicht nur auf ihr Heimatland konzentrieren will. «Ich lege meinen Fokus auf die ganze Welt. Ich will in Indien erfolgreich sein, in der Schweiz, in England – in allen Ländern», erklärt Ragu.
Die St. Gallerin ist auf dem besten Weg, dieses Ziel zu erreichen. Ihre erste Single «Good Love 2.0» läuft weltweit in den Radios und befindet sich sogar auf den Soundtrack von «Fifa 21», dem jüngsten Ableger des erfolgreichen Fussball-Videospiels. Die potenzielle Hörerschaft liegt in den Millionen. Derzeit plant sie ausserdem ihren längerfristigen Umzug nach London, wo sie auch eine eigene Band zusammengestellt hat. Und auch ihre Eltern sind inzwischen begeistert: «Wenn sie jetzt sehen, was passiert in meinem Leben, sind sie sehr stolz auf mich. Sie sind überwältigt.»